Auswahlband 4 Krimis: Von Huren, Heiligen und Paten - Vier Kriminalromane in einem Band. Alfred Bekker
großen Bissen seines Hot dogs hinunter und verschluckte sich fast daran.
Der Fernseher lief. Der Mann hinter dem Tresen achtete kaum darauf. Es liefen gerade die New Yorker Lokalnachrichten auf NYTV. Eine Reporterin stand vor dem Saint David Hospital in Brooklyn und berichtete über eine unerklärliche Anhäufung medizinisch-technischer Pannen.
'Sarah Boskovich für NYTV' stand darunter.
In einem Fenster wurde ein grauhaariger Mann mit scharfem Profil eingeblendet, darunter die Untertitelung 'Jeff McCoon im Studio'.
"Was sagt die Klinikleitung zu dem Vorwurf, dass möglicherweise bei der Wartung der medizinisch-technischen Geräte gespart wurde?", erkundigte sich John McCoon.
Sarah Biskovich hob ihr Mikro um ein paar Zoll an.
"Jeff, das ist genau der Punkt, auf den hier alles hinausläuft. Ich sprach gerade mit Dr. Ray Gerringhaus, einem der Oberärzte des Saint David, und er sagte uns, dass gerade die Gynäkologie von drastischen Einsparungen betroffen gewesen sei..."
"Sarah, viele Zuschauer fragen sich, ob man zur Zeit überhaupt noch ein sicheres Krankenhaus in New York findet. Es soll ja auch in anderen Kliniken ähnliche Fälle von Schlamperei bei der Wartung gegeben haben."
"Mein Eindruck ist, dass die Verantwortlichen mit der vollen Wahrheit nicht herauskommen. Die Öffentlichkeit soll hingehalten werden, um das wahre Ausmaß dieses Skandals zu verschleiern. Ich sprach heute Mittag mit dem Mitarbeiter einer Firma für Medizin-Technik. Wir könnten das Interview mal einspielen, Jeff. Ich muss sagen, da sträuben sich einem die Nackenhaare..."
Jeff McCoons Studio-Fenster vergrößerte sich jetzt, nahm den ganzen Bildschirm ein.
"Vor dem Interview erst einmal ein paar wichtige Informationen für Verbraucher! Bleiben Sie dran!"
Sekunden später war Reklame für Cornflakes zusehen.
Darunter die News-Headline als Laufschrift: KLINIK-SKANDAL - WEITERES TODESOPFER!
Danach die Börsenkurse von Wall Street.
Der Heilige sagt, dass es richtig ist, durchzuckte es Rob Davis. Also quäle dich nicht! Es hat keinen Sinn! Vertraue dem Heiligen. Es sind nur die Einflüsterungen Babylons, die dich verunsichern sollen!
Rob Davis spürte, wie ihm der Puls bis zum Hals schlug.
Er war bereit alles für seinen Glauben zu tun. Er hatte tagelang vor irgendwelchen Abtreibungskliniken ausgeharrt, Transparente hochgehalten, sich verhaften und abführen lassen. Aber die Tatsache, dass bei dem, was er zur Zeit unternahm, Menschen starben, machte ihm doch mehr zu schaffen, als er zunächst geglaubt hatte.
Was unterscheidet dich denn von einer dieser ruchlosen Sünderinnen, die nur ihren körperlichen Genuss gesucht haben und die Frucht ihres Leibes so sehr verachten, dass sie sie bedenkenlos töten?, meldete sich eine Stimme aus seinem Hinterkopf. Eine Stimme, die Rob Davis liebend gerne endgültig zum Schweigen gebracht hätte.
Aber das war ihm bislang nicht gelungen.
"Hey Mann, schmeckt's nicht?", riss ihn eine heisere Stimme aus den Gedanken heraus.
Der Mann hinter dem Tresen sah ihn stirnrunzelnd an.
Rob Davis schluckte.
"Ist irgendetwas mit dem Hot dog nicht in Ordnung, Mister?"
"Nein."
"Sie machen ein Gesicht..."
"Ich habe keinen Hunger mehr, das ist alles."
Rob Davis bezahlte und verließ die Snack Bar. Er trat ins Freie. Die frische Luft tat ihm gut, machte den Kopf etwas klarer.
Was wirst du antworten, wenn der Heilige dich das nächste Mal fragt, ob du eine Mission für ihn erfüllen wirst?, ging es Davis durch den Kopf.
Er biss sich auf die Unterlippe.
Das Wort des Heiligen ist das Gesetz!, ging es ihm durch den Kopf. Er ist Gottes Stimme! Wie kannst du an ihm zweifeln, Rob Davis? Wie kannst du nur in Erwägung ziehen, dass das, was er befiehlt, BÖSE sein könnte?
Davis wischte sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht, so als könnte er damit die Gedanken verscheuchen, die ihn quälten. Ein Zwiespalt klaffte in seiner Seele wie eine blutende Wunde.
Du wirst dich entscheiden müssen!, wurde ihm klar.
Irgendwann...
Die Worte John Nathanael Broxons fielen ihm wieder ein.
Worte, die an Unmissverständlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen.
"Siehe, der Herr spricht: Entweder, du bist gegen mich oder für mich! Deine Rede sei ja ja oder nein nein. Dazwischen gibt es nichts, mein Sohn! Unentschiedenheit heißt, dem BÖSEN zu dienen..."
17
Isabel Norales stand unter der Dusche, ließ das Wasser an ihrem perfekt geformten Körper abperlen und schloss für einige Augenblicke die Augen.
Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht war sie nicht mehr im !VENGA! erschienen. Wenn Jacky Tasso dort auftauchte, konnte es nur Ärger geben. Und dann hatte sie in den Nachrichten von einer Schießerei gehört, die sich dort ereignet hatte, inklusiv Großeinsatz des FBI.
Sie atmete tief durch.
Ihre vollen Brüste hoben und senkten sich dabei.
Ich hätte mich nie mit Dale Johnson, diesem Schweinehund einlassen sollen!, ging es ihr durch den Kopf. Jemand, der so charakterlos war, seinen Boss zu hintergehen, taugte auch als Geschäftspartner wenig.
Du hättest es wissen müssen!, dachte sie.
Aber jetzt war es zu spät, um darüber zu lamentieren.
Jetzt musste sie sehen, dass sie mit heiler Haut aus dieser Sache herauskam.
Sie drehte die Dusche ab, lauschte.
Für einen Augenblick glaubte sie, ein Geräusch gehört zu haben.
Aber dann schalt sie sich eine Närrin.
Sie hatte die Wohnungstür sorgfältig verriegelt. Und auf andere Weise in das im 13. Stock gelegene Apartment zu gelangen war so gut wie ausgeschlossen.
Du wirst langsam vollkommen hysterisch!, überlegte sie.
Das Wichtigste war jetzt, die Ruhe zu bewahren.
Isabel trat aus der Dusche heraus, nahm ein Handtuch, frottierte sich damit ab.
Vielleicht solltest du dich an einen dieser G-men wenden, die du in Roy Ortegas Wohnung angetroffen hast!, überlegte sie. An diesen Agent Trevellian zum Beispiel...
Sie schlang sich das Handtuch um den Körper, ging so in das Wohnzimmer des Apartments und erstarrte.
In einem der tiefen Ledersessel saß ein Mann mit übereinandergeschlagenen Beinen.
Er hatte ein hart geschnittenes Gesicht und eine V-förmige Narbe am Kinn.
Ein dreckiges Grinsen spielte um seine aufgesprungenen Lippen.
Ein Blick zur Seite zeigte Isabel, dass die Apartment-Tür unversehrt war.