Auswahlband 4 Krimis: Von Huren, Heiligen und Paten - Vier Kriminalromane in einem Band. Alfred Bekker
herumfahren.
"Kommt her, ich hab' hier was!"
Ich steckte die Broschüre in die Jackentasche. Mit der Waffe in der Hand eilten wir ins Schlafzimmer, von wo Leslies Ruf zu hören gewesen war.
Unser Kollege war gerade dabei, einen schweren Wandteppich zur Seite zu reißen.
Dahinter kam etwas zu Tage, das mir für eine Sekunde den Mund offen stehen ließ.
Ein Lastenaufzug!
"Verflucht!", knurrte Jay.
Über das Mikro an meinem Hemdkragen verständigte ich die Kollegen. Der Lastenaufzug endete vermutlich in der Tiefgarage oder ein Deck darunter in der zum Gonzales Building gehörenden Subway-Station.
Einige unserer Kollegen waren dort unten postiert. Für alle Fälle. Ich hoffte nur, dass sie schnell genug waren.
"Wir haben Jacky Tasso offenbar unterschätzt, Jesse", meinte Milo.
"Wem sagst du das!"
14
Wir ließen uns mit dem Lastenaufzug hinunter ins Parkdeck fahren. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Liftkabine endlich oben im Penthouse war.
"Wir haben von Tasso und seinen Leuten nichts gesehen!", meldete sich Agent Ross Gordon aus dem Parkdeck.
Ein schlechtes Zeichen.
"Wir sind gleich bei euch!", sagte ich.
"Ich fürchte, ihr kommt zu spät. Weder hier noch ein Deck tiefer, wo es zur Subway geht, sind die Typen aufgetaucht", war Ross Gordons Antwort.
"Sie könnten unterwegs ausgestiegen sein!", vermutete Leslie Morell.
"Um dann über das Treppenhaus zu flüchten?" Ich schüttelte den Kopf. "Sieht mir nicht sehr logisch aus."
Milo zuckte die Achseln. "Wieso nicht? Wenn es ihm gelingt, in die Einkaufspassagen zu gelangen, haben wir keine Chance mehr!"
"Vielleicht könnte hier jemand mal etwas Optimismus verbreiten!", mischte sich Jay Kronburg ein.
Über das Funkmikro an meinem Hemdkragen wies ich unsere Agentin Josy O'Leary an, sich nun doch mit dem Security Service des Gonzales Building in Verbindung zu setzen. Wir brauchten die Gebäudepläne, mussten genau wissen, wie der Schacht des Lastenaufzugs verlief.
Währenddessen trug uns der Lift in die Tiefe.
"Jacky Tasso hat wirklich an alles gedacht", sagte Milo.
"Selbst, wenn ihn jemand im Schlafzimmer überrascht, hat er noch eine Fluchtmöglichkeit!"
"Beneidenswert!"
Die Schiebetür des Lastenaufzugs öffnete sich.
Die Kollegen um Special Agent Ross Gordon erwarteten uns mit der Waffe im Anschlag.
Die Mündungen der SIGs senkten sich.
"Die sind über alle Berge!", war Ross Gordon überzeugt.
Über Funk erkundigte ich mich bei den Kollegen, die ein Deck tiefer auf der Lauer klagen. Auch dort hatte niemand etwas von Jacky Tasso gesehen.
"Verdammt!", zischte ich.
Milo hob die Augenbrauen. "Da hast du mal die Einsatzleitung und alles geht schief!"
"Sehr witzig!"
"Mach dir nichts draus, die werden uns schon ins Netz gegen."
"Mit einer oder zwei Hundertschaften von City Police-Leuten könnten wir jetzt die Geschäftspassagen des Gonzales Building durchkämmen und würden in dem Gewühl wahrscheinlich auch niemanden finden", sagte Jay resigniert.
Ich atmete tief durch, verließ die Liftkabine. Ich versuchte mir vorzustellen, was passiert war und mich in meine Gegner hineinzuversetzen.
Sie hatten nur wenig Zeit gehabt. Es dauerte einige Minuten, bis der Lift die zwanzig Stockwerke hinter sich hatte. Und es hatte ziemlich lange gedauert, bis die Kabine wieder oben im Penthouse gewesen war. Vielleicht war zu dem Zeitpunkt, als ich mit Ross Gordon Kontakt gehabt hatte, die Liftkabine sogar noch in Richtung Parkdeck unterwegs gewesen!
Tasso und seine Leute waren also hier angekommen.
Vielleicht auch ein Deck tiefer. Und sie hatten sofort gecheckt, dass sich G-men in der Nähe befanden. Die Schiebetür hatte sich vielleicht nur einen Spalt geöffnet.
Sie hatten dafür gesorgt, dass sie sich gleich wieder schloss. Und dann...
Ich ging zurück in die Kabine.
Wir hatten im Penthouse einen Knopf gedrückt, damit die Kabine sich wieder hinaufbewegte. Aber ich hielt es für ausgeschlossen, dass sie sich hatten mitnehmen lassen.
"Mach mal eine Räuberleiter!" wies ich Leslie an, der sich noch in der Liftkabine befand.
Leslie sah mich überrascht an.
"Na, los!"
Ich stieg hinauf, berührte die Decke der Liftkabine.
Eine der Kunststoffplatten war lose.
Ich schob sie zur Seite.
"Habe ich es mir doch gedacht!", meinte ich und zog mich mit einem Klimmzug empor, saß einen Augenblick später auf der Liftkabine. Von hier aus einen zweiten Mann hochzuziehen war kein Problem. Jedenfalls nicht für jemanden, der durchtrainiert war.
"Glaubst du wirklich, dass Tasso dorthin..."
Leslie kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden.
Von oben wurde auf mich geschossen.
Die Kugel zischte dicht an mir vorbei.
Ich wirbelte herum, riss die SIG hervor. Ich befand mich am Fuß eines gewaltigen Schachts, in dem mindestens ein Dutzend Aufzugskabinen an Stahlseilen emporgezogen wurden.
Dieser Schacht wurde nur spärlich beleuchtet. Normalerweise hatte hier auch niemand etwas zu suchen, es sei denn er gehörte einem Wartungsteam an. Etwas Licht fiel durch Glasbausteine in den Wänden herein. Genug, um sich einigermaßen zu orientieren.
Tassos Schlafzimmer lag offenbar so, dass es an den großen Schacht angrenzte. Nur, dass der spezielle Aufzug, mit dem er geflohen war, nicht über die allgemeinen Liftzugänge zu betreten war.
Ich bemerkte mehrere Gestalten, die auf dem Dach einer Liftkabine emporgezogen wurden.
Drei Männer. Einer feuerte auf mich, die beiden anderen waren offenbar damit beschäftigt, eine der Platten zu lösen, um ins Innere der Kabine zu gelangen.
Das war auch dringend notwendig.
Auf einer Liftkabine zu 'surfen' war nämlich brandgefährlich. Immer wieder kam es in New York vor, dass jugendliche Kids so etwas als Mutprobe durchführten. Schon so mancher dieser Mutigen war zwischen Liftkabinen buchstäblich zerfetzt worden.
"Seht zu, dass der Strom unterbrochen wird!", rief ich Leslie Morell zu.
"Jesse!"
Ich duckte mich zur Seite.
Eine Kugel streifte eines der Stahlseile, die diese moderne