Die List der Schildkröte. Elisabetta Fortunato

Die List der Schildkröte - Elisabetta Fortunato


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Einem Dominospiel gleich, gingen die Lichter in den vor ihnen liegenden Quartieren nacheinander wieder an. Im Raum wurde es schlagartig so hell, dass es in den Augen schmerzte. Die Leute standen verunsichert herum, einige Frauen prüften ihr Make-up, während ein paar Männer versuchten, ihre Angst durch Prahlerei zu vertuschen.

      Giovanna löste die Finger von Tommasos Jackett, an das sie sich festgekrallt hatte, und strich ihm den zerknüllten Ärmel glatt. Sofort holte er sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche.

      »Kontrolliert lieber eure Wertsachen.«

      Joschka schüttelte den Kopf.

      »Er hat recht !«, sagte Giovanna.«In Neapel hättest du dich nach einem solchen Blackout in der Unterhose wiedergefunden«.

      »Unsere Landsleute wissen halt noch, wo die moralische Grenze liegt. Andere hingegen«, voller Abscheu schaute Tommaso zu den Bankern hinüber, »lassen dir nicht einmal den Slip.«

      »Ein Glück also, dass ich meinen heute Abend nicht angezogen habe«, antwortete Giovanna prompt.

      Unter Gelächter stießen sie an. Die Männer neben ihnen packten ihre Sachen und flüchteten an die Fensterfront.

      »Ahhh, endlich haben wir Platz«, sagte Joschka.

      Ihre Freunde wechselten zu Grappa über und sprachen übers Geschäft. Giovanna unterdrückte ein Gähnen. Interessiert beäugte sie die Gesichter der zwei Blondinen. Botox ohne Ende, aber von kundiger Hand gespritzt. Ob sie nach dem Arzt fragen sollte?

      Plötzlich machte sich eine unterschwellige Unruhe breit, während gleichzeitig der Geräuschpegel sank. Sämtliche Gäste drehten sich zu etwas um, was hinter ihrem Rücken passierte. Auch Tommaso verstummte und starrte mit großen Augen und leicht geöffnetem Mund über ihre Schulter. Giovanna stellte ihr Glas auf die Theke und tat es den anderen gleich.

      Ein schlanker Schwarzafrikaner hatte soeben die Bar betreten. Die rechte Hand in der Hosentasche, schaute er sich zuerst um und kam dann mit ruhigen Schritten in ihre Richtung. Er schlängelte sich nicht zwischen den stehenden Gruppen hindurch, die Gäste machten ihm freiwillig Platz. Der Mann kam näher. Gerader Rücken, gestraffte Schultern, in den Bewegungen die trainierte Geschmeidigkeit der Muskeln erkennbar. Ein ehemaliger Athlet?

      »Macht Platz für den Zuhälter«, flüsterte ihr Tommaso ins Ohr.

      Der Unbekannte trat an die Theke und bestellte sich etwas zu trinken. Ein allgemeines Aufatmen ging durch die Bar, der Geräuschpegel normalisierte sich wieder.

      Zwischen ihren Freunden entspann sich eine lebhafte Diskussion über die italienische Steuerpolitik, ihr Lieblingsthema. Versteckt hinter Tommasos massiger Gestalt beobachtete Giovanna den auffälligen Mann. Er hatte sich mit einem Perrier in der Hand zum Raum umgedreht, ein Unterarm lag lässig auf dem Tresen. Der Schwarze trug Diamantenohrstecker, drei Halsketten, die über dem V-Ausschnitt des Kaschmirpullovers hingen, an der linken Hand eine schwere Uhr und zahlreiche Ringe, an einzelnen Fingern sogar mehrere. Im Gegensatz dazu waren der anthrazitfarbene Maßanzug, die eleganten Schaftstiefel und der Gürtel mit kleiner Schnalle reines Understatement. Der Kontrast brachte den hochwertigen Schmuck noch mehr zur Geltung. Der Mann trug ihn mit Stolz wie ein Krieger seine Kriegsbemalung. Tommaso irrte sich. Dieser Mann sah nach vielem aus, nur nicht nach einem Zuhälter.

      Sie gab dem Barkeeper ein Zeichen. Während sie auf ihren Wein wartete, aß sie die Reste in den Schälchen auf. Mit der Gabel pickte sie eine besonders dicke Olive auf und begann sie beherzt abzunagen. Tommaso und Joschka diskutierten nun über die Haushaltslage der südeuropäischen Staaten, ob sie noch wussten, dass sie da war? Der Mann schien sich hingegen für die zwei Blondinen zu interessieren. Nach seinem furiosen Auftritt eine Enttäuschung. Am liebsten hätte sie ihm den Olivenkern in den Kragen gespuckt. Schlagartig fühlte sie sich fehl am Platz.

      Der Barkeeper stellte den Wein hin. Salute, prostete sie sich zu. Sie dachte an ihre leere Wohnung. Ihr Mann war in Hongkong, niemand wartete auf sie. Moment, da war ja noch der Professor. Vielleicht hatte er doch auf ihren Rat gehört und mit dem Museumsdirektor gesprochen, obwohl er sich im Liebieghaus noch kategorisch geweigert hatte. Oder die Londoner Expertin, auf die er so viel hielt, hatte es trotz des schlechten Wetters noch rechtzeitig zu der Vernissage geschafft. Da er mehr über den Anrufer erstaunt, als über die Nachricht selbst beunruhigt gewirkt hatte, hatte sie ihn zu nichts gedrängt. Sturköpfig wie er war, tat er eh, was er für richtig hielt.

      Sie aß das letzte Mozzarellabällchen, leerte das Schälchen mit den getrockneten Tomaten und tupfte mit einem Stück Brot das aromatisierte Öl auf. Sie würde gleich nach Hause gehen und dort auf von Schachts Rückkehr warten, entschied sie. Sie musste sich die apulische Warnung selber anhören, sonst würde sie nicht schlafen können. Giovanna leerte ihr Glas und kramte ihre Sachen zusammen.

      Da trat der Barmann an sie heran, in der Hand ein neues Glas Wein. »Mit den besten Empfehlungen vom Herrn an der Bar.«

      Ohne große Erwartungen an den sogenannten Herrn an der Bar und ein bisschen belästigt, beugte sich Giovanna über die Theke und schaute geradewegs in das Gesicht des gut aussehenden Afrikaners, der ihr mit seinem Perrier zuprostete. Ein gelber Klunker blitzte bei der Handbewegung einladend auf.

      Erschrocken federte sie zurück. Sofort reichte ihr der Keeper eine Visitenkarte nach. Auf der Vorderseite edel gedruckte Buchstaben, auf der Rückseite handgeschrieben auf Englisch: »Sie haben eine sinnliche Art zu essen. Das gefällt mir. Sonny Omowura.«

      Langsam stellte sie die Tasche auf die Theke zurück.

      Der Professor konnte noch einen Moment warten.

K4

      Zufrieden stand Giovanna vor dem Schlafzimmerspiegel und band die noch feuchten Haare zusammen. Sie sah gut aus, trotz der schlaflosen Nacht. Ihre Augen leuchteten wie frisch gewaschene Wäsche und ihre Haut – die robuste der väterlichen Linie – hatte die verräterischen Spuren von männlichen Bartstoppeln schon verschwinden lassen. Auch an diesem Morgen hätte sie die Botox-Blondinen vom Vorabend um Längen geschlagen.

      Sie dachte an ihre Trophäe, Sonny Omowura. Allein der Gedanke an seine entdeckungsfreudigen Hände ließ ein lustvolles Schaudern ihren Rücken hochrollen. Leider verwandelte es sich augenblicklich in ein Schaudern des Schreckens. Marias Misstrauen kam ihr wieder in den Sinn. Ihre Putzfrau, eine ficcanaso – eine Schnüfflerin in der besten neapolitanischen Tradition –, würde so lange in der Wohnung suchen, bis sie einen Beweis dafür fand, dass sie richtig gesehen hatte. Jetzt ging es darum, schlauer zu sein als die Neapolitanerin. Diese so weit zu verwirren, dass sie am Ende glaubte, die schwarze Hand nur geträumt zu haben. Also musste sie etwas tun, was sie, seit sie Giovanna Greifenstein hieß, noch nie getan hatte: Sie würde ihr Schlafzimmer selber in Ordnung bringen.

      Die Bettwäsche war gewechselt und nun wartete sie bibbernd vor dem geöffneten Fenster, dass frische Luft hereinströmte. Merkwürdigerweise hing im Zimmer der Hauch eines fremden Parfums fest. Es war nicht von Sonny. Seine nackte Haut hatte nur nach ihm gerochen, was ihr gefallen hatte. Wahrscheinlich war der unbekannte Geruch im Verlauf des Abends an ihren Kleidern hängen geblieben und auf diese Weise in die Wohnung gekommen.

      Wie ein blinder Passagier, fand Giovanna.

      Neugierig schnupperte sie an den schwindenden Duftfetzen und korrigierte sich. Es war eindeutig eine Passagierin. Was nach so vielen Stunden vom Parfüm geblieben war, roch nach einer kleinen, zarten Blume. Schon einmal hatte dieser Duft am Vorabend ihre Nase gestreift, da war sie sich sicher. Nur, wer hatte ihn getragen?

      Giovanna schloss das Fenster. Dabei passte sie nicht auf und stieß gegen das Nachttischchen. Einer ihrer Ohrstecker rollte weg, fiel klirrend zu Boden, direkt unter das Bett. Während sie auf die Knie ging und fluchend das Parkett abtastete, fiel ihr auf, dass sie mit einem nigerianischen Diamantenhändler mehr gemeinsam hatte, als nur die Lust auf Sex; sie hatten auch beide Lust auf Fluchen. Giovanna lachte auf. Hatte nicht ihre Oma immer gesagt, dass auch große Lieben mit wenig anfangen konnten?

      Da bekam sie etwas zu fassen.


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