Harte Reden. Fritz Binde

Harte Reden - Fritz Binde


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weiß, die zittert und bebt, weil sie ihren ewigen Pol verloren hat, nach dem sie vibriert wie die Nadel des Kompasses nach dem magnetischen Pol schwankt.

      Diese Angst deiner Seele, die sich fürchtet, weil sie noch allein ist, übertragen auf das Gebäu deines von Millionen Sünden durchwurmten Leibes: siehe, das ist die Nervosität! Siehe, nun zittert dieses Leibesgebäu wie ein Baum, der bald fallen soll oder hängt träg wie der Zweig ohne Saft und Frucht. O, Bild von Millionen! Sorge dieser Welt, du krankes Kind der kranken Mutter, nun kannst du dich über den Herzensboden des armen Menschen hinwerfen und kannst stieren und heulen! Sorge dieser Welt, du wüstes Dornengewächs, nun kannst du auf bereitem Boden wühlen, wurzeln und wuchern! O, wie dunkel, dumpf und schwül ist es in dem Herzen, das da ist wie eine Dornenhecke! Wie dunstet die Stickluft, wie ragt der spitze Dorn! Du weißt es, du weißt es!

      Und die Plage flüchtet zum Betrug. Die Sorge dieser Welt hetzt hinein in den Betrug des Reichtums. Wenn man das und das hätte, dann hörte die Angst auf. Wenn man das und das besäße, dann hätte man keine Sorgen mehr. O Jammer des Betrugs! Die Augen gieren, der Fuß jagt, die Hand greift und umklammert, der Mund rechnet – und dein Herz zuckt; denn nur eine neue Dornenart ist seinem Boden entsprossen und hat angefangen, alles in dir wild und weh zu umstricken, und der neue Dorn sticht mit tausend Spitzen: Betrug des Reichtums! Wahn des Habens und Besitzens! Wie vieler Hörer Herz ist da gezeichnet! Der Reichtum als Erlöser aus der Angst und Sorge! Der irdische Reichtum: als freimachende Sicherheit! Der irdische Reichtum als höchstes Gut! Der irdische Reichtum als sättigendes Glück! O glitzerndes Blendwerk der Hölle! O armer Narr von Mensch! Denn reich will beinahe jedes werden. Reich an Geld! Reich an Ehre! Reich an Wissen! Reich an Geist! Und doch geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, ehe ein Reicher ins Himmelreich eingeht. Auch dieses Wort Jesu bleibt, wenn Himmel und Erde vergehen.

      Denn die da reich werden wollen, fallen noch heute wie damals in Versuchungen und Stricke, in Ungerechtigkeit und Sünde, in denen sie unfähig werden, ihr Herz ihrem Schöpfer zu schenken, und verderben; also geht es allen, die reich sind an Geld, aber nicht reich sind in Gott. Und die die Ehre bei Menschen mehr lieben, als die Ehre bei Gott, auch sie verderben. „Denn wie könnt ihr glauben, wenn ihr Ehre voneinander nehmt?“ lautet die göttliche Warnung. Wer also Ehre bei Menschen sucht, auch der erliegt dem Betrug des Reichtums. Höre es, du Geldliebender! Höre es, du Ehrliebender! Und die da reich werden wollen an allerlei menschlichem Wissen und die Furcht Gottes, die aller Weisheit Anfang ist, verachten, auch sie sind betrogen vom Betrug des Reichtums; denn indes sie sich für weise halten, sind sie gerade wie der Geldreiche Narren vor Gott. Höre es, du Aufgeblähter, der du dich reich dünkst in deinem eitlen, vor Gott ganz nichtssagenden Wissen!

      Und die da geistreich sein wollen im eigenen Geiste, um ihre Rolle zu spielen auf dem Markte, Komödianten, Heuchler, Pharisäer und Laodiceär, auch sie sind Betrogene vom Betrug des Reichtums; denn das Himmelreich gehört den geistlich Armen, den Unmündigen und Einfältigen, aber niemals ihnen. O Unmenge der vom Reichtum Betrogenen, vom in seine Milliarden verstrickten Milliardär bis herab zur ärmsten Kuhmagd im Dorfe, die da reich ist in allen Einbildungen der Selbstverliebtheit!

      Sie alle, alle tragen das Herz im Leibe, das der Dornenhecke gleicht. Sie alle, alle erweisen sich als untauglich für die gottgewollte Kultur ihres Herzens. Bestanden, bewachsen und überwuchert ist ihr Herzensboden vom Irdischen und Eitlen und trägt Gott, Menschen und ihnen selbst nichts als Dornen. Ja, auch ihnen selbst! Denn der spitze Dorn der Angst bleibt ihnen und bohrt sich gegen seinen eigenen Grund. Auch entkommen sie nimmermehr dem stachligen Dornengewirre der Sorgen dieser Welt. Je mehr sie sich mit ihren scheinbar reichen Mitteln herausarbeiten wollen, desto tiefer kommen sie hinein. Verstrickt und in der Verstrickung erstickt, das ist der meisten Ende.

      O Menschenkind, gleicht dein Herz der Dornenhecke, dann bist du ein bejammernswertes Geschöpf! Denn du bist unglücklich, was du auch sagen und haben magst. Niemand wird von dem Dornengewächs deines Herzensbodens mehr verwundet als du selbst. Die Angst hetzt, die Sorge quält, der Besitz trügt und versagt. Ach, welch eine Armut, welch ein Elend! Armes angsterfülltes, sorgenbeschwertes, immer wieder betrogenes Herz, kennst du dich? Was hat man dir nicht alles vorgegaukelt! Und was hast du nicht alles schon geglaubt? Geld sollte dir helfen, Menschen sollten dich erretten, wirtschaftliche Reformen würden dich erlösen, wissenschaftliche Ergebnisse dich befreien, soziale Arbeit dich heilen, Künste dich veredeln, ethisch-religiöse Ideale dich erneuern und die ganze reiche Kultur dich kultivieren – und bei alledem bliebst du, betrogenes Herz, doch, was du warst und noch bist: eine Dornenhecke! Sei ehrlich!

      Sieh, und nun bist du hier, um diesen Vortrag anzuhören. Denn, wenn du leidlich ehrlich bist, so sehnst du dich aus Verwundung und Armut heraus und begehrst endliche Heilung und wirklichen Besitz. Du hörst Gottes Wort. Ein Gleichnis Jesu redet zu dir. Die Worte gehen dir nach, suchen dich. Sie fallen in dich hinein. Du lässt es geschehen. Ach, du weißt ja, wie nötig du sie hast! Du bist ja kein hartgetretener Weg ohne Öffnung, kein gleichgültiges Herz mehr, sondern bereits ein armes verwundetes Herz. Bist auch nicht das Steinige, ohne Tiefe. O nein, die Angst zerriss längst deinen Boden, die Sorge furchte ihn, der Betrug zerbröckelte ihn. Aber du bist dennoch die Dornenhecke. Nun fallen die Worte in dich hinein. „Etliches fiel unter die Dornen.“ Höre, bei dir wird jetzt „unter die Dornen gesät“!

      Die Körner fallen. Öffnung und Tiefe nehmen sie auf. Heilige, himmlische Befruchtung! Der Same ist gut! Der Same ist gut! Und bei dir da tief drinnen ist's schwül und warm, o so dumpf schwül und warm. Feuchte Wärme, sagt man, sei die gewöhnliche Bedingung für gutes Wachstum. Diese Bedingung ist erfüllt. Die aufgenommenen Worte tun dir so wohl. Du hoffst auf ihren Wert. Du erwartest von ihnen irgendeine Lösung und Erlösung. Denn du weißt, sie sind wahr, sie sind mehr als wahr: sie sind Gottes Wort an dich; Gottesgut, das dir zuteilwerden soll, das du heimtragen sollst als wirklichen Besitz. Und du tust es. Anders als sonst legst du dich schlafen, reicher, ruhiger. In der Nacht erwachst du. Ein Glanz ist in dir: das Leuchten der Worte vom Abend. Das Gefilde deines Gemütes liegt so hell unter der inneren Sonne. Klarer Himmel. Fruchtbares Gedeihen. Seliger Friede. Es ist dir, als müsstest du gläubig danken und beten. Da, gerade da, steigt eine Wolke auf. Ein verdunkelnder Zweifel. Ein trübendes Bedenken. Etwas vom alten Grauen, vom bangen Sorgen. – Die Naturforscher berichten, dass über Nacht Inseln im Meere auftauchen und ihre Berge übers Wasser recken. Aber ich glaube kein Berg ist plötzlicher da und türmt sich schneller als ein Sorgenberg.

      Da ragt er mitten in der Nacht unter der wachsenden Zweifelswolke am jäh sich trübenden Himmel deines Gemüts und nimmt dir Aussicht und Atem. Wie, du solltest Gott dein Herz geben? Was würden die Leute dazu sagen? Besonders die, von denen du materiell abhängig bist. Sie würden dich ruinieren, bankrott machen. Wie, du solltest Gott deinen Willen, solltest Jesu dein Leben geben? Die Herrschaft auf seine Schultern legen, nicht mehr selbst regieren und kutschieren? Wie, du solltest nicht mehr so frei mitlaufen können im Wettlauf um die Güter dieser Welt, um das so nötige Geld, um die so wohltuende Ehre? Ei, da müsstest du ja das lassen, gerade das! Und nun lässt der Arge den schwarzen Sorgenberg, der inzwischen seine Schuldigkeit getan hat, verschwinden und zeigt dir irgendetwas Glitzerndes, Flimmerndes, Schimmerndes aus dem Reichtum dieser Welt – du weißt selbst am besten, was – und so jäh, wie vorhin der Sorgenberg wuchs, so jäh gleißt dich nun der Betrug deines Schatzes, deines Abgottes an, den du nicht lassen kannst nein, nein, nein, den du nicht lassen darfst, es wäre ja unverantwortlicher Leichtsinn, nein, Blödsinn, ja, Wahnsinn wäre es! Siehe, und du bist entschlossen, ängstlich, sorgenvoll, aber fest entschlossen: es soll doch lieber alles beim alten bleiben. Wie könntest du auch dein Ein- und Auskommen, dein Geld und Geschäft, deine Schätze und deine Bedürfnisse, deine Pläne und deine Ziele so ohne weiteres in die Hand dieses vielleicht doch zweifelhaften Jesus und fernen ungewissen Gottes legen? – Merkst du, was ich sagen will? Ich will sagen: Deine Dornen, o Herz, werden diese Nacht wachsen und werden dem ebenfalls in dieser Nacht wachsenden Pflänzlein, dessen Same soeben in dich fiel, hart und spitz nach dem Leben trachten, werden mit gewundenem Arm es umschließen, ihm den Atem nehmen und es ersticken. –

      Ersticktes, gemordetes Gotteswort! Erwürgter Gotteshauch! Gleichsam dem göttlichen Geiste, der im göttlichen Worte pulsiert, an die Kehle gegriffen und – zugedrückt! – Mir bekannte vor Jahren ein fremdländischer Arbeiter, dass er in seiner Jugend mit rohen Gefährten


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