Harte Reden. Fritz Binde

Harte Reden - Fritz Binde


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der Brust? Und immer wieder werden sie als letzte und einzig befriedigende Antwort „Gott“ denken und erkennen müssen; jede andere Antwort muss sich als furchtbare Hoffnungslosigkeit erweisen.

      Denn aufs engste hängt mit der ersten Frage nach dem Woher? die zweite Frage zusammen, die Frage nach dem Wozu?

      Wozu lebte ich? Wozu lebt die Menschheit? Wozu lebt das Weltall?

      Auch diese Fragen wird der Mensch nicht los, obgleich er sie nicht liebt. – Nein, er liebt sie nicht; denn es sind ja so unbehagliche und scheinbar auch so schwierige Fragen … So geht ihnen der gedankenlose Durchschnittsmensch am liebsten aus dem Wege, denn sie stören sein Tun und fordern sein Denken; beides ist ihm unbequem. Darum überlässt er die Beantwortung dieser Fragen gerne den grübelnden Gelehrten, den Philosophen, und – wie es heute Mode ist – der Wissenschaft. Diese wiederum lehnt die Beantwortung der Wozu?-Frage ebenfalls am liebsten als nicht streng wissenschaftliche, weil der wissenschaftlichen Methode eigentlich ganz abseits liegende Frage, glatt ab. Indes bleibt doch jedes Menschlein, ob gelehrt, ob ungelehrt ein kleiner Philosoph und Wissenspraktiker, der sich für alles sein Sprüchlein zurechtmacht. Denn die unbequeme Frage nach dem Wozu? lebt nun einmal in und mit uns, obgleich wir zehntausendmal versuchen, nicht mit ihr leben zu wollen. So muss sich der Mensch, schon um ihre lästige Aufdringlichkeit ein klein wenig loszuwerden, irgendeine billige Antwort bereithalten, mit der er ihr zu entweichen sucht. Ja, eigentlich sind alle unsere Moralsprüchlein und ethischen Systeme nichts weiter als der fortgesetzte Versuch des Menschen, sich die unerträgliche Schwere der Frage: Wozu leben wir eigentlich? auf eine annehmbare Weise vom Halse zu schaffen.

      Ich stand einmal vor dem Schaufenster eines Graveurs. Ins blanke Messingschild eingegraben, las ich da:

      „Das einzige Glück – die Pflicht,

      Der einzige Trost – die Arbeit,

      Der einzige Genuss – die Schönheit“

      Siehe da, sagte ich mir, da hat sich jemand der Frage nach dem Wozu? seines Lebens in idealster Weise zu erledigen gesucht. Ein Moralsätzlein in drei Zeilen, lasst uns sehen was sie zur Beantwortung der Frage nach dem Wozu? unseres Lebens wert sind!

      „Das einzige Glück – die Pflicht.“

      Also man lebt auf Erden, um seine Pflicht zu tun, seine Pflicht in der Familie, im Beruf, in der Gesellschaft, im Staats- und Vaterlandsdienst, in der Menschheit. Pflichterfüllung ist etwas unbedingt Notwendiges und Löbliches. Aber wie unzulänglich wird das Pflichtgebot, wenn es zur Beantwortung unserer Frage ausreichen soll! Warum lebt man? Antwort: Um seine Pflicht zu tun! Ist damit unsere Frage beantwortet? Keineswegs! Denn die noch so ideale Betonung eines noch so nötigen Gebotes ist doch noch keine Daseinserklärung. Und warum soll ich meine Pflicht tun? fragt der Mensch. Hier wird ihm geantwortet: Die Pflichterfüllung sei dein Glück. Also wäre sittliches Glück der Zweck unseres Daseins. Schön, die Antwort erhebt unser Gemüt, aber sie befriedigt nicht unser Denken; denn Glücksempfinden ist doch keine Erklärung unseres Daseins. Zudem, wenn unser einziges Glück die Pflicht ist, dann ist es kein Wunder, dass sich die Menschen durchweg so unglücklich fühlen; denn wer tut allezeit seine Pflicht?

      Ja, man muss sogar so sagen: Wenn unser einziges Glück die Pflicht ist, so haben wir alle miteinander nur eine Pflicht, nämlich die, uns allesamt unglücklich zu fühlen; denn niemand tut allezeit seine Pflicht. Prüfe dich nur einmal! Hast du gestern, hast du heute wirklich und wahrhaftig deine Pflicht getan? Das heißt: Hast du alles getan, was du nicht nur tun musstest, sondern tun konntest, und hättest du nicht noch mehr tun können? Und umgekehrt: Hast du alles unterlassen, was du nicht hättest tun sollen? Denn auch das gehört zur Pflicht. Ich suche jetzt schon seit Jahren den Mustermenschen, der wirklich und allezeit seine Pflicht getan hat. Bedenke doch: er wäre der einzig zum Glück Berechtigte unter uns allen! Man müsste ihn durch alle Straßen führen und auf allen Weltausstellungen prämieren. Er wäre der beneidenswerteste „Glückspilz“, den es gäbe.

      Aber ich habe ihn leider noch nicht gefunden. Vielleicht ist er hier. Er melde sich doch! – Niemand? Ich habe es mir gedacht. – Fern sei mir der bloße Scherz. Aber auch hier gilt es, das Lächerliche als Lächerlichkeit bewusst zu machen und zu töten. Nie und nimmermehr ist ernste Pflichterfüllung und jedes ehrliche Ringen nach Pflichterfüllung lächerlich; und ideal und schön mag auch der Gedanke genannt werden: „Mein einziges Glück – die Pflicht.“ Aber soll dieser Gedanke mit allem Lebensernst zur wirklichen Lebenstat werden, dann bleibt uns allen – ich wiederhole und betone es – nur die eine Pflicht übrig, uns bitter unglücklich zu fühlen. Und soll gar vollendete Pflichterfüllung unser Lebenszweck sein, so haben wir allesamt unseren Lebenszweck verfehlt; unser Urteil hat dann zu lauten: Hoffnungslos!

      Aber so geht es: der Unglaube fabriziert sich als Ersatz für den Glauben niedliche Moralsprüchlein, mit denen er sein Leben schmücken und inhaltsvoll machen möchte, und gerät ihm, wenn er nachdenklich ehrlich wird, doch nichts anderes als das, was sein Wesen ist, nämlich: Hoffnungslosigkeit! Hoffnungslos heißt hier aber nicht nur „antwortlos“, „aussichtslos“, sondern auch „gedankenlos“. Es kann ja gar nicht anders sein, fehlt doch dem Unglauben die Furcht Gottes, die jeder wahren Weisheit Anfang ist!

      Sehen wir uns das zweite Moralsätzlein an:

      „Der einzige Trost – die Arbeit.“

      Ein recht modernes Sprüchlein! In unserer Zeit der Kulturüberschätzung gibt es ja beinahe nichts unbestritten Wertvolleres als die Arbeit. Man braucht nur die Probe zu machen. Frage irgendeinen regelrecht tätigen Menschen, wozu er eigentlich lebe. Er wird antworten: „Um zu arbeiten!“ Er hat damit der reellen Ernsthaftigkeit seiner Lebensauffassung Ausdruck gegeben; denn er kennt nichts Reelleres als die Arbeit; mithin erhebt er sie zum Lebenszweck. Frage ihn weiter: „Und wozu arbeiten Sie?“ so sieht er dich verwundert an und platzt heraus: „Na, um zu leben!“ Also er lebt, um zu arbeiten, und arbeitet, um zu leben. Das ist vieler moderner Kultursklaven einzige Lebensweisheit. Welch eine Hoffnungslosigkeit!

      Sicherlich ist die Arbeit eine Lebensnotwendigkeit; aber sie bedeutet keine Lebenserklärung. Vielmehr ist die Arbeit eine fluchvolle Folge der Lebensbeeinträchtigung, die dem biblisch geoffenbarten Sündenfall auf dem Fuße folgte. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist“ (1.Mose 3,19). Welch ein unseliges Verhängnis! Aber der gottentfremdete Mensch empfindet diesen fluchbeladenen, verhängnisschweren Ursprung und Charakter der Arbeit gar nicht mehr. Im Gegenteil, er rühmt sich durch die Jahrtausende seiner Arbeitsleistung, ja, glaubt sogar durch sie zu werden wie Gott. Und doch ruht der Fluch auf aller menschlichen Arbeit. Sie bleibt mühevolle, Schweiß erfordernde, den brüchigen Erdenleib aufreibende Plage. Was diese Plage mühsam gebiert, bleibt unvollkommenes Stückwerk, das bald wieder in Trümmer fällt. Und sie ist kein Weg zu Gott zurück; denn niemand kann sich das Himmelreich erarbeiten. Das ist und bleibt der dreifache Fluch, der nicht vom menschlichen Tun weicht, was auch Menschenruhmredigkeit dagegen schreit. Heute, wo die Kulturleistung vergöttert und als Mittel zur Selbsterlösung der Menschheit über alles gepriesen wird, heute, wo ein Geschlecht, das bewusst ohne Gott in der Welt sein will, die stolzen Hoffnungen seines Unglaubens ganz auf den Ruhm seiner Arbeit stützt, muss es biblisch klar gesagt werden: Die Arbeit erklärt und erlöst unser Dasein nicht!

      Sie ist und bleibt eine fluchgeborene Not, die Gott zur Erziehung der Menschen zur Tugend erhoben und gesegnet hat – denn der Müßiggang ist noch ungleich fluchbeschwerter, und das apostolische Gebot heißt: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, ja, wehe dem, der sein Pfund vergräbt ins trockene Schweißtuch! Er kann vor Gott nicht bestehen – aber die Arbeit darf nicht abgöttisch zum rettenden Lebenszweck umgestempelt werden; und das geschieht überall, wo sie nicht mehr nach dem Worte Gottes unter dem Auge Gottes geschieht. Dämonische Leidenschaft ist sie da für unzählige, ein Geißelhieb für alle Geld- und Ehrgeizigen. Und satanische Betäubung ist sie da für alle, denen das Wort Pascals gilt: „Der Mensch sucht nichts so sehr als sich selbst, und er flieht zu gleicher Zeit nichts so sehr als sich selbst.“ Und furchtbarstes, trostlosestes, hoffnungslosestes Joch ist sie da für alle, die im Schweiße ihres Angesichtes sich auf Erden abmühen müssen.

      Wer nicht


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