Das große Buch vom Gelben Saft. Eva van Mayen
Dann schaute sie Fabian an.
„Ups!“
Der lachte.
„Ups beschreibt es vermutlich ganz gut. Ich möchte nicht wissen, was die anderen Gäste denken, wenn sie mich so sehen.“
„Och!“, meinte die Kunststudentin und grinste unverschämt, „also ich würde es gerne wissen wollen. Von jedem Einzelnen.“
Sie verließen gemeinsam die Toilette und betraten den Gastraum. Ausnahmslos jeder schaute sie an, auch wenn einige es möglichst unauffällig taten. Einige grinsten anzüglich, andere schauten ein wenig pikiert. Beide gingen hocherhobenen Hauptes, ohne sich etwas anmerken zu lassen, zu ihrem Tisch, wo Antonia ihr Buch holte, welches sie dort hatte liegenlassen.
Dann wandten sie sich zur Theke, an der Antonia kurz mit ihrer Freundin sprach und die Rechnung bezahlte. Diese grinste breit wie ein Honigkuchenpferd, nickte und zwinkerte Ihnen zu. Fabian sah, dass seine neue Freundin ein gehöriges Trinkgeld obendrauf legte. Der Wirt, der am anderen Ende der Theke ein Glas abtrocknete, musterte sie zwar reichlich misstrauisch, machte aber keine Anstalten etwas zu sagen.
Arm in Arm verließen sie das Bistro, ohne auf die Blicke zu achten, die sich in ihre Rücken bohrten. Als sie auf der Straße standen, meinte Antonia mit einem Lächeln auf den Lippen zu Fabian: „Das war toll. Das müssen wir öfters machen… Du riechst übrigens zehn Meilen gegen den Wind nach meiner Fotze. Sehr geil!“
Fabian grinste und nickte. Nach diesem Erlebnis war er zu allem bereit.
*
Fabian war froh, als sie seinen Parkplatz erreicht hatten und endlich ins Auto eingestiegen waren. Nicht wenige Passanten auf dem Weg dorthin hatten sie reichlich misstrauisch beäugt.
„Ah, ich sehe, Du hast ein Navi“, meinte Antonia zu ihm, nachdem sie sich angeschnallt hatte. „Wie praktisch. Na, dann brauchst Du nun wohl meine Adresse.“
Sie nannte sie ihm und er programmierte sie ein. Laut Angaben vom Navigationsgerät war es nur eine knappe Viertelstunde bis zu ihrer Wohnung.
Fabian startete den Wagen und sie fuhren los.
„Ich muss Dir übrigens, bevor ich Dich mit zu mir nehmen kann, ein paar Dinge erklären.“
Der Techniker zog fragend die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Was mochte nun kommen? Weitere Überraschungen? Eigentlich war sein Bedarf für den Tag gedeckt.
„Äh, zuerst solltest Du wissen, dass ich in einer WG wohne. Hoffentlich hast Du kein Problem damit?“
Fabian schüttelte den Kopf. „Nein, habe ich nicht. Kenne ich aber auch nicht. Gibt es da besondere Regeln zu beachten?“
Antonia kicherte verhalten.
„Ja, das könnte man so sagen.“
„Okay, dann erklär´ sie mir am besten jetzt während der Fahrt, damit ich Bescheid weiß.“
„Jaaa … nun, okay“, entgegnete sie gedehnt. Fabian wunderte sich ein wenig, dass sie so herumdruckste, da sie sonst ja kein Blatt vor den Mund nahm.
„Also - es ist eine reine Frauen-WG. Aber eine reichlich spezielle. Wir sind eine Studentenverbindung.“
„Aha?“, wunderte sich Fabian. „Ich dachte, so etwas gibt es nur bei den Männern?“
„Nein. Ja“, antwortete Antonia. „In Deutschland sind sie selten, aber es gibt sie hier auch.“
„Okay, verstehe. Wie viele seid ihr?“
„Mit mir zusammen – fünf. Mareike hast Du ja schon kennengelernt.“
Fabian stutzte und schaute seine Beifahrerin verwundert an. „Habe ich?“
Antonia grinste schelmisch. „Ja, das ist die Blondine, die Du auf der Toilette in den Arsch gefickt hast.“
„Aaaah. Okay“, meinte er mit einem süffisanten Lächeln, „kennengelernt ist gut. Ich kannte ja nicht einmal ihren Namen.“
Er mochte sich täuschen, aber es sah beinahe so aus, als ob ein Schimmer Röte auf ihrer Wange erschien. Vielleicht hatte sie doch die Spur eines schlechten Gewissens, weil sie ihn so übel hereingelegt hatte.
„Und wer sind die anderen?“
„Nun, wir sind ziemlich multikulturell. Da ist einmal Neyla, sie ist eine Afro-Deutsche, und Florence, unser französischer Import. Die letzte im Bunde ist Mai Lin aus Thailand. Mareikes Mutter kommt übrigens aus Schweden. Du brauchst Dir aber keine Sorgen zu machen, alle sprechend fließend Deutsch, denn jede ist hier aufgewachsen.“
„Gott, was für eine exotische Mischung. Wie habt ihr denn in einer solchen Konstellation zusammengefunden?“
„Vor knapp zwei Jahren auf einer Party. Du musst dazu wissen, dass wir alle Diplomatenkinder sind. Mein Vater arbeitet in der deutschen Botschaft. Wir haben uns dort gesucht und gefunden und festgestellt, dass wir alle ziemlich ähnlich ticken. Und nur wenige Monate später haben wir beschlossen, eine gemeinsame WG aufzumachen. Nur Mareike ist später zu uns gestoßen.“
„Wahnsinn. Was es nicht alles gibt…“, meinte Fabian ungläubig. „Und inwiefern tickt ihr alle ähnlich?“
„Sex.“
„Sex?“
„Ja, wir sind alle, sagen wir mal, sehr aufgeschlossen. Und das solltest Du auch möglichst schnell werden. Um genau zu sein - beim Eintritt ins Haus.“
Fabian schluckte. „Ähm. Ich werde mein Bestes geben. Was erwartet mich dort?“
Antonia kicherte und antwortete: „Eine Höhle des Lasters, dagegen waren die Orgien im alten Rom Kinderkram.“
Dann wurde sie wieder ernst.
„Nein, Spaß beiseite. Es gibt einige Regeln, denen Du Dich unterwerfen musst, wenn Du das Haus betreten möchtest. Du hast natürlich die Wahl und wenn Du es nicht möchtest, dann kann ich auch immer zu Dir in Deine Wohnung kommen.“
Fabian dachte an seine kleine, unaufgeräumte Junggesellenbude von 20 Quadratmetern. Vermutlich würde sie jeden Gedanken an Sex in Antonia absterben lassen.
„Nein, nein,“ erwiderte er hastig, „das klingt spannend. Erklär´ mir bitte die Regeln. Das kriege ich bestimmt hin.“
Seine Beifahrerin schaute ihn ein wenig skeptisch an.
„Sei lieber nicht zu voreilig, Süßer. Du weißt noch nicht, was Dich erwartet. Ich habe schon gestandene Männer fluchtartig das Haus verlassen sehen. Aber – nun gut. Versuchen wir es. - Zu Allererst musst Du schwören, dass nichts von dem, was ich Dir nun erzähle oder von dem, was im Haus passiert, jemals nach außen getragen wird. Wir verlangen absolute Diskretion, bieten sie Dir im Gegenzug aber auch. Jede von uns hat einen Ruf zu verlieren, teilweise stehen wir oder unsere Eltern im Licht der Öffentlichkeit. Diesen Schwur wirst Du, sobald Du im Haus bist, auch schriftlich als eidesstattliche Erklärung abgeben müssen, denn wir müssen uns absichern. Ist das für Dich okay?“
Fabian nickte.
„Ja. Das kann ich verstehen und ich schwöre, dass ich keiner Menschenseele jemals etwas erzählen werde.“
„Okay. Das ist die wichtigste Regel überhaupt. Nun zu den Verhaltensregeln. Diese werde ich Dir jetzt nur grob skizzieren. Du wirst dann aber, zu gegebener Zeit, noch eine genauere Einweisung bekommen. Okay?“
„Ja, fahr fort.“
„Im Domizil selbst und in dem angrenzenden Garten wird ausschließlich erotische Kleidung oder gar nichts getragen. Jedes primäre oder sekundäre Geschlechtsteil muss immer entblößt und ständig frei zugänglich sein. Der Bereich zum Umziehen ist direkt im Eingangsbereich. Da Du vermutlich nichts Entsprechendes dabei hast, wirst Du nackt sein müssen, oder wir stellen Dir etwas Geeignetes.“
„Sehr interessant. Geht klar.“