Führerin. Gregor Eisenhauer

Führerin - Gregor Eisenhauer


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den Bauwerken, den Plastiken, den Gemälden, dass ihr das Herz überging vor Gefühl.

      Sie fühlte sich wie eine Prinzessin, die ihr neues Schloss bezog. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass er sie bewusst weich stimmte, auf dass sie schneller für Kinder bereit war. Er wollte ihre Liebe nicht für sich, es ging ihm um Kinder, drei an der Zahl, rasch geboren, deswegen tat er alles, sie romantisch zu stimmen, weich, aufnahmebereit. Er war berechnend auf eine Art, die sie nie für möglich gehalten hatte.

      ‹Du spinnst›, dachte sie, als ihr das erste Mal der Verdacht kam, dass er gar nicht sie meinte. ‹Du spinnst, er liebt dich, unglaublich aufrichtig altmodisch liebt er dich!›

      Aber so war es nicht. Im ersten Jahr konnte sie es verdrängen. Sie wurde schwanger und die Freude über die Schwangerschaft verdrängte die Erinnerung an das körperliche Zusammensein mit ihm. Die zweite und dritte Schwangerschaft folgten rasch darauf. In den ersten fünf Jahren ihres Zusammenseins kam sie kaum einmal zum ruhigen Nachdenken.

      Nach dem dritten Kind schlief er nicht mehr mit ihr. Es fiel ihr erst gar nicht auf, dann, als sie nachrechnete, wie lange er nicht mehr in ihr Schlafzimmer gekommen war, hielt sie es für normal. Väter sind zuerst Väter, dann Liebhaber. Aber er sah seine Kinder kaum an, und er sah sie nicht mehr an. Zugegeben, sie hatte keine sonderliche Freude daran gehabt, mit ihm zu schlafen. Es war nicht widerlich gewesen, wie mit dem Journalisten, es war seltsam, mit ihm intim zu sein.

      Mit siebzehn war sie noch Jungfrau gewesen, dann entschloss sie sich, dem rasch ein Ende zu machen, und so war es auch gekommen. Es war die Umsetzung eines Entschlusses, mehr nicht. Ihr Freund damals war auch Schauspieler, sie selbst hatte gerade ihren ersten Auftritt in einer Daily Soap, es fiel ihnen beiden nicht schwer, eine glückliche Beziehung zu schauspielern. Aber der Sex war es nicht, er war nicht schön, er war nicht unschön, es war Gymnastik mit Wohlfühlgarantie. Er hatte Affären, sie hatte Affären, das war so verabredet und sicherte den Marktwert, aber keinen Mann hatte sie je mit Liebe berührt, und nie hatte ein Mann ihr Herz zum Beben gebracht. So wünschte sie es sich, ein wenig kitschig. Und auch wieder nicht. Eigentlich hatte sie absolut keine Vorstellung davon, was sie wirklich wollte. Als dann von Hausen in ihr Leben trat, wusste sie, sie wollte ihn. Mit ihm würde sich alles andere von selbst ergeben. Anfangs dachte sie auch wirklich, dieses Verliebtsein im Kopf würde automatisch irgendwann auch ihr Herz erreichen und ihren Körper erwärmen. Das war ein Irrtum. Mit ihm schlafen hieß intim werden. So drückte er sich aus. So gab er sich. Fehlte nur, dass er sich davor und danach in ihrer Gegenwart die Hände wusch. Anfangs schien es ihr nur eine Eigenart, dass er immer mit geschlossenen Augen dalag. Immer schien er an etwas anderes zu denken. An eine andere? Er dachte nichts, wenn er die Augen schloss. Schon gar nicht an eine andere Frau, oder an Männer, Knaben, Mädchen, was auch immer. Er dachte gar nichts. Es war ihm einfach nur zuwider. Aber das wurde ihr erst viel später klar.

      Ihre Neugier wich langsam einem immer größer werdenden Groll, nicht gegen ihn, gegen die Liebe im Allgemeinen. Ihr Wille, alles gut machen zu wollen, machte sie blind für seine Reserviertheit. Sie gab sich selbst wie immer die Schuld an allem. Dank ihrer Mutter.

      Er hatte von Anfang an Wert auf getrennte Schlafzimmer gelegt, die zwei Kindermädchen taten alles, um die Kinder von ihm fernzuhalten – das war sein ausdrücklicher Bescheid bei ihrer Einstellung gewesen. Und sie selbst – sie war nicht mehr da für ihn, einfach nicht existent. Anfangs tat sie das, was ihre Mutter sie gelehrt hatte. Sie zog sich hübsch an, elegant, verwegen, verrucht, streng – keine Rolle, die sie erprobte, verlockte ihn zum Applaus. Sie schmollte, zog sich zurück, begann ihm Szenen zu machen – nichts. Erst dann, nach Monaten, suchte sie das Gespräch.

      «Warum …», sie hatte sich die Worte vorher sehr sorgfältig zurechtgelegt und die einfachsten gewählt, um sich nicht selbst zu verwirren, «warum lieben wir uns nicht mehr?»

      Er stand mit dem Rücken zu ihr, am Schreibtisch, in seinem Arbeitszimmer, das einen so schönen Blick auf den Garten bot. Er drehte sich langsam um, elegant gekleidet, wie immer im dunklen Anzug, selbst an einem Samstag, da er nur zur Hause arbeiten musste.

      «Was ist, mein Schatz», fragte er sie in sehr freundlichem Ton und sah sie eindringlich an. Es war klar, er hatte ihre Frage gehört, er hatte sie verstanden, er hatte sie sehr gut verstanden, aber er machte nicht die geringsten Anstalten, sie zu beantworten, er machte gute Miene zum bösen Spiel.

      Sie war Schauspielerin genug, um ihn vollends zu durchschauen. Er hatte eine Rolle gespielt, er hatte sie gut gespielt, und sie war darauf hereingefallen. Sie hatte ihm vertraut, und sein Blick sagte nicht mehr und nicht weniger als: Spiel weiter! Keine Drohung, die Drohung lag nicht in seinem Blick oder seiner Gebärde, die Drohung stand im Raum, das Haus war die Drohung, alles um sie herum war Drohung, selbst ihre Kinder schienen jetzt zur Bedrohung zu werden, denn sie fesselten sie an diesen Mann, der ihr Unglück wollte. Sie spürte das erste Mal, was sie anfangs für Leidenschaft gehalten hatte, nun in seiner absoluten Reinheit: Sie spürte nur Hass in diesem Mann. Jede Faser war erfüllt davon, er war böse, so böse, dass er jeden anderen täuschen konnte, denn das war unmöglich, dass ein Mensch so ganz und gar böse war.

      «Was ist, mein Schatz?» Das war die einzige Perfidie, die er sich erlaubte, ihre Frage zu wiederholen.

      «Ach nichts», erwiderte sie, als hätte sie gerade nach seinen Wünschen fürs Abendessen gefragt, «nichts ist.»

      Sie ging aus dem Zimmer, ohne die Tür hinter sich zu schließen, eilte in den Garten, umschlang einen Baum und rieb ihre Wange an der Rinde, bis sie Schmerz empfand.

      Sie nahm den Kampf an. Mit ihrer Mutter konnte sie über ihre Gefühle nicht reden. Ihr Vater war ein Jammerlappen, was man von Ludwig wirklich nicht sagen konnte. Das war die Falle, in die ihr Stolz sie führte. Ludwig von Hausen war ein schlechter Mensch, der Teufel in Menschengestalt, so schien ihr, aber warum hatte er dann sie gewählt? Ausgerechnet sie? Die verzogene Tochter eines drittklassigen Schauspielerehepaars? Er war ein ganz besonderer Mann, anders als alle anderen, also musste sie eine ganz besondere Frau sein, anders als alle anderen Frauen. Das erfüllte sie zunehmend mit Stolz, je länger sie darüber nachdachte. Ihr Tatendrang regte sich. Sie wollte es ihm gleichtun. Anfangs nur in ihren Träumen.

      Sie fragte sich zu keiner Zeit, worin denn nun seine Schuld genau bestand. Ob er Steuern hinterzog, Verbrecher deckte, in Drogen- oder Waffenkartellen tätig war, interessierte sie nicht. Sie wollte es einfach nicht wissen. Seine Schuld war in ihren Augen allein die, sie hintergangen zu haben.

      Das würde sie ihm heimzahlen. Aber sie schwor sich, es – anders als ihre Mutter – nicht auf dem Rücken ihrer Kinder auszutragen. Sie tat alles, um ihren zwei Söhnen und der Tochter ein Heim zu geben. Klaus, dem Erstgeborenen, den es schon als Kleinkind zum Computer zog; Helmar, dem Introvertierten, der malte und musizierte, und Lisa, die ihr persönlich als Mädchen so fremd war, weil sie sich völlig normal entwickelte und so uneitel war. Gute Kinder, aber ein herzliches Gefühl empfand sie für keines von ihnen. Am ehesten vielleicht noch für Helmar, er war viel femininer als Lisa, aber er gab ihr auch deutlich zu verstehen, wie sehr er sie dafür verachtete, dass sie ausgerechnet diesen Mann geheiratet hatte. Seinen Vater, den er so abgrundtief hasste, dass er Akne davon bekam. Helmar begriff gar nicht, dass sie Komplizen waren. Noch nicht. Aber er würde es schon noch begreifen.

      Fünfzehn Jahre hatte sie damit verbracht, die Kinder vergessen zu lassen, dass ihr Vater nicht für sie da war. Nicht weil er so viel arbeitete, sondern weil er als Vater gar nicht existierte. Es war ihr gelungen. Jetzt war es an der Zeit, an sich selbst zu denken.

      Ludwig Müller von Hausen schloss die Haustür auf. Er stand still im Atrium und lauschte. Die Kinder waren noch in der Schule. Sie besuchten ein Tagesinternat in der Nähe von Potsdam und kehrten erst spätnachmittags heim. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie dort auch wohnen können – aber das wäre ihnen und seiner Frau nur schwer zu vermitteln gewesen.

      Die Haushälterin kam erst gegen vier wieder, wenn es das Abendessen zu richten galt. Er stellte seine Aktentasche ab, zog den leichten Sommermantel aus und hängte ihn in die Garderobe.

      Er war sich sicher, dass seine Frau zu Hause war und mit einer Überraschung aufwartete. Sie überraschte ihn gern, und er kam nicht umhin,


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