Pappelallee. Andreas H. Apelt

Pappelallee - Andreas H. Apelt


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nur der Sohn des Chefs. Nicht mal den Spitzbart hat er in das Luftikus gelassen. Und da waren die vom Stadtbezirk mindestens drei Mal da.

      Nein, hat er gesagt, so was hing hier noch nie. Das Bier schmeckt deshalb auch nicht besser.

      Eine kühne Behauptung. Aber glauben wollte das keiner, erzählt er später. Angeblich sind die Männer dann trotzdem unverrichteter Dinge gegangen. Er selbst hat nur mit ein paar Doppelten nachgeholfen. Kann ja sein, manchmal passieren so Wunder.

      Egal ob wahr oder nicht. Fakt ist, dass schon der alte Chef, dem das Luftikus bereits vor dem Krieg gehörte, nicht mal den Führer an die Wand ließ. Und das wollte schon was heißen. Mitten in der Reichshauptstadt. Und damals haben sogar die Leute das Lokal boykottiert, weil der Führer nicht über dem Stammtisch hing und beim Biertrinken zuschaute.

      Also warum sollte er später die Kommunisten hängen? Im Bilderrahmen versteht sich. Oder gar den Generalsekretär. Noch dazu wo gar keiner mehr auf die Idee kommen würde, das Lokal dafür zu boykottieren. Eher das Gegenteil wäre der Fall. So ändern sich eben die Zeiten. Der Wirt ist doch nicht verrückt. Und der Chef, sein Vater, erst recht nicht.

      Nein, das machen die nicht. Und jetzt schon gar nicht mehr.

      Ein Generalsekretär, der über dem Tresen hängt und von hinten dem Wirt über die Schulter schaut. Nein, das geht doch nicht. Am liebsten noch über dem Stammtisch! Wo denken Sie hin? Da kann dann keiner mehr sein Bier ruhig trinken.

      Nein, das kann man nicht.

      Nicht mal auf dem Klo?

      Nicht mal da. Lieber pissen die Leute gleich in die Bordsteinrinne auf der Straße. Und die ist sogar eine Allee, jedenfalls heißt sie so: Pappelallee.

      So ist es. So und nicht anders. Leute wie Lothar Laurisch würden den Generalsekretär ohnehin verhindern. Oder wie Micha Schüller. Da müsste sich der Wirt dann entscheiden. Die Stammkunden oder der Kommunist!

      Denn auf Kommunisten sind die Leute gar nicht gut zu sprechen. Aber wer ist das schon im Luftikus.

      Die da oben sollen uns mal schön in Ruhe lassen, sagt der dicke Wirt mit den tätowierten Unterarmen und versucht dann immer zu beruhigen. Seine Hände hält er dabei in die Höhe. Und das ist freundlich gemeint. Die Tätowierungen könnten da auch was anderes verraten: Segelschiff mit drei Kanonen. Und wie kann es anders sein, mit Totenkopf. Aber gut, da sind ja auch noch die vollbusigen Wassernixen.

      Warum das Lokal Luftikus heißt, kann keiner sagen, denn das Eingangsschild fehlt seit Jahren. Was nicht fehlt, ist der stechende Geruch, wie Moder. Vielleicht nach kaltem Rauch. Und dem weißen Schimmel, der manchmal kniehoch an den feuchten Ölpaneelen klebt. Da soll man dann besser die Tür zur Straße auflassen.

      So ist es. Und die steht dann auch wirklich offen. Luft! Selbst heute, wo doch gar kein Tanz ist und man sogar noch am Tresen Platz bekommt.

      Es stinkt eben nach Untergang, sagt Michael Schüller und freut sich. So wie im Kommunismus. Da muss es auch so riechen!

      Aber da hören dann schon welche nicht mehr zu. Denn der Schüller, den alle nur Micha nennen, redet gern von Politik. Dabei ist der kleine dicke Kerl in der schwarzen Zimmermannsmontur Brigadier in einer Zimmereikolonne. Aber mit diesem russischen Wort, das den Vorarbeiter einer sozialistischen Brigade beschreibt, kann man den Micha mal. Brigadier! Wie sich das schon anhört. Da rutscht schon die Zunge dreimal aus.

      Nun also, der Sozialismus hat es im Luftikus wirklich schwer. Und das nicht nur, weil der ewig lächelnde Generalsekretär nicht über dem Tresen hängen kann. Im Luftikus heißen Brigadiere Schieber. Das ist die Sprache der Zimmerleute, der Maurer, Tischler, Gerüstbauer, Müllfahrer, Schlosser, Bierfahrer, Kohlenträger, Hausmeister und Kneiper. Und die versteht jeder.

      Genau!

      Da hat dieses Besatzergesäusel des großen Freundes nichts zu suchen. So sagt es jedenfalls Micha Schüller. Soll sich die russische Zunge daran brechen, aber keine deutsche. Schieber ist Schieber!

      Und was den Hut betrifft, den trägt der Schüller, wenn auch ziemlich schmutzig und eingedrückt, wirklich. Unter diesem schwarzen Ding, das einem Cowboyhut ähnelt, versteckt er eine Glatze. Sieht man mal von den paar blonden Pflaumenhaaren ab, die sich seitlich über die Ohren ziehen. Aber auch die verdeckt der Hut gänzlich. Und auf den verzichtet der Micha nicht mal am Sonntag.

      Unmöglich, am Sonntag!, findet der lange Lothar und schüttelt dann immer den Kopf. Seine Alte würde ihn so nicht auf die Straße lassen. Aber die lässt ihn ja auch nicht zum Tanz.

      Der Micha hat das Problem nicht. Denn er hat gar kein Weib, dafür aber das Luftikus. Und das ist wie Wohnzimmer und Weib zusammen.

      Nur dass es mehr stinkt, sagt Lothar und hält sich die Nase zu.

      Nicht wieder auf den Kommunismus schimpfen, ermahnt der Wirt und zieht dafür die tätowierten Unterarme aus dem Spülbecken. Will ja auch keinen Ärger wegen der Gäste. Schon gar nicht wegen Micha und Lothar, die immer die große Klappe riskieren.

      Nein, nein, verspricht der lange Lothar. Elektrikerehrenwort also. Und das zählt eben auch noch was.

      Der muss man aufpassen, dass der nicht am nächsten Stromkabel klebt, sagt Schüller und lacht. Solche Versprechen sind lebensgefährlich, noch dazu im Luftikus.

      Also beruhigt euch mal, sagt da der Wirt. Für Politik ist hier kein Platz.

      Nein, bestätigt Lothar, und wischt sich den Bierschaum von den Lippen. Die Herren sollen mit ihrem Sozialismus bleiben, wo der Pfeffer wächst. Also Prost.

      Prost.

      Womit wieder genug Bier fließt. Berliner Pilsner!

      Gut, also noch einmal: Das Leben geht weiter. Das ist so ein Satz, wie man ihn so dahinspricht, wenn man wie Lothar am Tresen steht und die Hände in den Hosentaschen vergräbt. Und wenn man sonst nichts weiter zu sagen hat. Und doch erschließt sich im Satz für Hülsmann eine besondere Bedeutung, denn trotz aller Gedanken, die dem jungen Mann durch den Kopf gehen, wäre es manchmal gut zu wissen, dass das Leben weitergeht. Und das am besten jenseits des Blickfeldes des Generalsekretärs. Aber Hans Hülsmann hört ihn ja nicht, diesen Satz. Noch nicht, denn er wartet noch immer in diesem Gebäude der Volkspolizeiinspektion Prenzlauer Berg. Später, ja später wird er ihn hören, wenn er das gelbe Backsteingebäude wieder verlassen kann. Der Weg wird ihn die Schönhauser Allee entlang, dann an der Dimitroff halb rechts in die Pappelallee führen.

      Wohin denn auch sonst?

      Luftikus, um genau zu sein, hinterer Tisch in der äußersten Ecke noch genauer. Und er wird bei Angie, der einzigen Kellnerin des Luftikus, ein Bier bestellen. Am besten ein großes.

      Nun also Angie. Was für ein Name!

      Aber schön ist er trotzdem.

      Nur dass er gar nicht in das Luftikus passt. Angie! Schreiben kann das keiner. Jedenfalls nicht im Luftikus. Schon weil es ausländisch ist. Egal.

      Aber Angie passt ja auch nicht ins Luftikus.

      Das will nur niemand zugeben. Vielleicht der Hülsmann, der würde es sagen, aber nur weil er immer sagt, was er denkt. Und das auch noch so unverblümt, dass manch einem da schon die Nackenhaare hochstehen. Und zwar richtig!

      Dabei braucht es der Hülsmann gar nicht zu sagen. Er könnte es auch schreiben, denn Hülsmann schreibt viel. Ein richtiger Schreiberling, sagen die Leute.

      Doch Hülsmann ist noch lange nicht da. Er sitzt nun schon die vierte geschlagene Stunde in der Volkspolizeiinspektion. Und wartet. Wartet auf die Klärung eines Sachverhalts. Das hört sich dann verdammt nach Verhör an. In Gesprächen lassen sich nämlich keine Sachverhalte klären. Nicht in der Schönhauser Allee 22.

      Also dann doch so ein Verhör. Da kennen die sich aus mit. Die, in der Schönhauser. Das weiß doch jedes Kind.

      Auch


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