Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach

Bangkok Rhapsody - Thomas Einsingbach


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      Ein kalter Nordostwind peitschte durch die Washingtoner Constitution Avenue, auf der an diesem unwirtlichen Morgen die ersten der vielen tausend Angestellten, in dicke Mäntel gehüllt und mit dampfenden Kaffeebechern in den Händen, in die Ministerien des Regierungsviertels strebten.

      Die Chefetage des Justizministeriums war, wie üblich, schon seit geraumer Zeit hell erleuchtet. Melinda Rodriguez, die erste Frau in der amerikanischen Geschichte, die den Titel United States Attorney General trug, betrachtete versonnen ihren Kaffeebecher mit dem Amtssiegel und dem Aufdruck „Qui Pro Domina Justitia Sequitur“, was so viel wie „Derjenige, der die Angelegenheiten Justitias erledigt“ heißen sollte. Ein merkwürdiges Motto, dachte sie. In den letzten zwei Jahren hatte Melinda lernen müssen, wie viele Widerstände sich ihrem Kampf für Recht und Gesetz entgegenstellten. Nicht allen ihrer Gegner ging es dabei um sachliche Auseinandersetzungen, vielmehr zielten die Angriffe auf ihre Person. Nicht alle des Washingtoner Establishments konnten sich mit der Tatsache anfreunden, dass mit Melinda Fortuna Rodriguez ein neuer Stern am Firmament der amerikanischen Machtpolitik aufgegangen war.

      Sie nippte an dem Getränk. Dünner Behördenkaffee. Eine schreckliche Brühe. In jeder mexikanischen Dorfkneipe gab es bessere Qualität. Melinda erhob sich aus ihrem Chefsessel und betrat ihre private Rückzugsmöglichkeit, ein Bade- und ein Schlafzimmer, die sich hinter einer holzvertäfelten Tür versteckte. Sie schaltete die Beleuchtung über dem Schminktisch ein und entdeckte in ihrer brünetten Löwenmähne ein paar graue Haarbüschel. Ein Termin beim Friseur zum Nachfärben war dringend erforderlich. Mit einem weinroten Lip Stylo frischte sie ihr Lippen-Make-up auf. Anschließend tupfte sie mit einem transparenten Gel ihre getrimmten Augenbrauen ab, die mit ihrer gradlinigen Ausrichtung gut in ihr rundliches lateinamerikanisches Gesicht passten. Melindas Vater war ein mexikanischer Farmarbeiter indianisch-spanischer Abstammung gewesen. Auch seiner Tochter sah man an, dass sie die Gene der Nahua-Indianer, Nachkommen der stolzen Azteken, in sich trug.

      Die antike Standuhr in Melindas Amtszimmer zeigte sechs Uhr dreißig, als ihr Büroleiter Jonathan Robson mit einem triumphierenden Lächeln den Raum betrat. In der Hand balancierte er ein Tablett mit zwei Latte macchiato und einer Gebäckauswahl aus dem italienischen Bistro im Erdgeschoss des Justizministeriums.

      „Melinda“, strahlte Jonathan, „es gibt erfreuliche Neuigkeiten. Sichere Informationen aus verlässlicher Quelle.“

      „Wo ist er diesmal untergetaucht?“ Melinda griff nach einem Pappbecher und einem Brownie.

      „Alles deutet darauf hin, dass er sich in Bangkok aufhält.”

      „Bangkok? Eine Stecknadel im Heuhaufen dürfte leichter zu finden sein.“

      „Sechzehn Millionen Einwohner, davon ein paar zehntausend weiße Ausländer mit dauerhafter Aufenthaltserlaubnis, dazu eine unbekannte Anzahl Illegaler. Nicht einfach, aber auch nicht unmöglich.“

      „Seine Tarnung ist immer perfekt. Sein Netzwerk von Unterstützern reicht bis in höchste CIA-Kreise.“

      „Das mag stimmen, aber ein professioneller, mit Bangkok vertrauter Exposer und ein wenig Glück …“, gab sich Jonathan zuversichtlich.

      „Was schlägst du vor?“

      „Wir operieren zunächst inoffiziell. Je weniger Leute von unserem Plan wissen, desto besser. Wir können keinen Agenten aus dem aktiven Dienst einsetzen. Dann werden Vorgesetzte eingebunden, thailändische Behörden erhalten Vorabinformationen …“

      „ … und auf wundersame Weise ist das flüchtige Reh wieder verschwunden. Du erinnerst dich an die Beerdigung seiner Mutter in Chicago vor fünf Jahren?“, unterbrach Melinda. Natürlich erinnerte sich Jonathan. Melinda war damals noch Abteilungsleiterin und er selbst gerade aus dem FBI-Dienst ausgeschieden und als Berater ins Justizministerium gewechselt. Sie hatten den Fisch schon an der Angel gehabt. Dann führte eine Indiskretion zur Katastrophe. Die Zielperson schien sich in Luft aufgelöst zu haben und drei FBI-Agenten wurden tot in einem stillgelegten Bergwerk gefunden. Nur mit Mühe und Not konnte verhindert werden, dass diese misslungene Aktion an die Öffentlichkeit drang.

      „Ich habe einen Mann im Sinn, der passen könnte. Er ist asienerfahren und der beste Ermittler, den ich kenne. Er riecht seine Klienten, Erfolgsquote nahe einhundert Prozent.“

      „Wo viel Licht, da hat’s auch Schatten.“ Melinda blickte Jonathan skeptisch an.

      „Ich kenne ihn seit seiner Kindheit und habe lange mit seinem Vater zusammengearbeitet. Der Junge ist besser als sein Dad und war bereits in Thailand im Einsatz. Vor ein paar Jahren hat er aus persönlichen Gründen das FBI verlassen und in New Jersey eine private Ermittlungsagentur eröffnet.“

      „Ich hatte nach dem Schatten gefragt“, erinnerte ihn Melinda.

      „Schatten?“

      Jonathan schob seine grauschwarze Hornbrille auf seiner flachen Nasenwurzel zurecht. „Der Junge ist instinktgesteuert, hoch emotional, aber in jeder Hinsicht loyal. Das garantiere ich.“

      „Jonathan, wenn wir inoffiziell und mit einem Freelancer arbeiten, lautet die entscheidende Frage: Ist dein Mann kontrollierbar?“

      Der Nacht-Express verlies um drei Uhr fünfzehn die Union Station in Richtung New York. Jonathan Robson sah hinauf zu einem scharf konturierten Novembervollmond, dessen Leuchtkraft in der kalten, wolkenlosen Nacht das schlafende Washington mit einem goldenen Schimmer überzog. Nachdem er sich eine Weile mit dem Studium einiger Akten wachgehalten hatte, döste er nun in seinem komfortablen Business-Class-Sessel vor sich hin. Pünktlich kurz nach halb sieben rollte der Zug in New Yorks Pennsylvania Station ein.

      Jonathan wusste, dass William ein early bird, ein Frühaufsteher, war. Er hatte seinen Besuch nicht angekündigt und erinnerte sich an ihr letztes Telefonat vor etlichen Wochen, in dem sich William angespannt und auf eine ungewohnte Art abweisend gezeigt hatte. Jonathan durchschritt die Schalterhalle und sprang kurz darauf in ein gelbes Taxi, wo ihn der Fahrer mit „Bruder“ ansprach. Er nannte Williams Adresse in Hoboken, was dem schwergewichtigen Afrikaner ein zufriedenes Lächeln entlockte. Ein angenehmer Auftrag um diese Zeit, wo alles nach Manhattan strebte und die Gegenfahrbahnen, hinaus aus dem Herzen des Big Apple, zu einem entspannten Ritt einluden. In zügiger Fahrt ging es zum Lincoln-Tunnel, durch den sie den Hudson River unterquerten. Ein paar Meilen weiter stoppte der Wagen an einer Ecke von Hobokens Park Avenue, wo Jonathan ausstieg und in einem vietnamesischen Deli-Shop zwei Portionen starken Kaffee zum Mitnehmen bestellte. Wenig später stand er vor dem Eingang eines vierstöckigen Backsteingebäudes. Neben einem Dutzend Klingelknöpfen prangte ein Messingschild mit der Aufschrift „William H. LaRouche – Private Investigator“. Jonathan presste seinen kalten Zeigefinger auf die Klingel. Nichts geschah. Er bemerkte, dass die Haustür nur angelehnt war, schob sie auf und trat in ein Treppenhaus, in dem es nach gebratenem Fisch und Katzenurin roch. Er kletterte die ausgetretene Holztreppe bis in die letzte Etage hinauf, ehe er eine verkratzte Wohnungstür erreichte, an der ein laminierter Computerausdruck befestigt war, dessen Text sich mit der Aufschrift des Messingschildes deckte. Da kein weiterer Klingelknopf vorhanden war, klopfte Jonathan kräftig an die Metalltür. Seine Armbanduhr zeigte mittlerweile zwanzig nach sieben.

      „Mrs. Wilberforce? Stellen Sie die Milch vor die Tür. Ich komme später vorbei und bringe Ihnen das Geld.“ Es war Williams raue Stimme, worauf Jonathan ein weiteres Mal gegen den Eingang hämmerte.

      „Verdammt! Wer ist denn da, so früh am Morgen?“

      „William. Ich bin’s, Jon. Trinkst du einen Kaffee mit mir?“, rief Jonathan und hörte, wie sich die Querriegel der Türsicherung zur Seite bewegten.

      „Jon? Was machst du hier? Haben sie dich gefeuert?“

      „Billy, Agent W, lass mich erst mal in deine gute Stube. Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

      William reichte seinem Besucher die Hand, vermied dabei aber den direkten Augenkontakt.


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