Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach
Imitaten und erotischen Anspielungen überladenen Raum die geschäftsführende Mama-san zu entdecken. Als sich seine Augen an die schummrige Beleuchtung gewöhnt hatten, sah er eine überschminkte Mittvierzigerin, deren Lesebrille an einer goldenen Kette über dem prall gefüllten Ausschnitt eines paillettenbesetzten Abendkleides baumelte. Sie sortierte mit atemberaubender Geschwindigkeit mächtige Geldbündel und addierte die Zwischensummen mit einer knatternden Rechenmaschine. Die Dame schien ganz und gar im Reich des Mammons versunken zu sein und erwies dem neuen Gast nicht die Spur einer Beachtung.
„Verzeihen Sie die Störung, mein Name ist Bertoli, ich bin mit Lieutenant General Vitikorn verabredet.“ Als die Mama-san den Namen Vitikorn vernahm, unterbrach sie den Zählvorgang und schenkte Bertoli das liebenswürdigste Lächeln, das sie mit ihrer Gesichtsmaske zustande brachte.
„Ah, Sie sind der Herr Doktor aus der Schweiz. Ich bin entzückt. Der Lieutenant General wird sicher jeden Moment erscheinen. Sie wissen ja, der Verkehr“, säuselte sie. „Bitte nehmen Sie doch Platz. Was darf ich Ihnen anbieten?“
Bertoli bestellte ein Mineralwasser und verschwand in der Herrentoilette, wo er den Kaltwasserhahn aufdrehte. Nur in aller Frühe, vor Sonnenaufgang, gab es für kurze Zeit Leitungswasser, auf das die Bezeichnung „kühl“ annähernd zutreffen mochte. So benetzte er nun mit dem lauwarmen Nass sein Gesicht und die Unterarme. Anschließend trocknete er sich mit einem der schneeweißen Handtücher sorgfältig ab. Dabei fiel sein Blick in den goldgerahmten Kristallspiegel über den Waschtischen. An seinen mediterranen Körperproportionen, bei denen ein längerer Oberkörper auf einem kürzeren Unterbau ruhte, war nun einmal nichts zu ändern. Aber die silbergraue Mähne, die sein Haupt krönte, stand ihm ausgezeichnet; dazu kamen der dunkelgraue Vollbart und die graublauen Augen – alles in allem ein gelungenes Arrangement, das seine Persönlichkeit stimmig betonte. Als er in den Gastraum zurückkehrte, nahm er einen Schluck eisgekühltes Mineralwasser und machte es sich auf einem Barhocker bequem.
Das Horny House war auf den ersten Blick ein erotischer Amüsierclub, wie es sie zu hunderten in Bangkok gab. Bertoli hatte allerdings schon von dessen Ruf als Geheimtipp für gepflegte Perversionen gehört. Nichts deutete zu dieser Tageszeit darauf hin, dass dieses Lokal Thailands Premiumadresse für anspruchsvolle Asiaten und westliche Ausländer war, die Sadomaso-Sex mit Kathoeys suchten; mit jungen Männern, die sich als Frauen in einem männlichen Körper fühlen. Nach ihren Showeinlagen auf der Drehbühne standen die willigen Ladyboys zahlungskräftigen Kunden als Lustobjekte in Separees, Suiten oder Folterkellern zur Verfügung. Die passende weiblich-erotische Kleidung, die Frisur und das Make-up waren für eine Kathoey das kleinste Problem. Die sehnsüchtig erträumten chirurgischen Eingriffe mussten dagegen mühselig verdient werden. Brustvergrößerungen, komplizierte Umbauten im Genitalbereich, Aufpolsterungen der Gesäßpartie, Hormonkuren – alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, damit eine Kathoey äußerlich ihrer Vorstellung einer perfekten Frau entsprechen konnte und ihre Seele ins Gleichgewicht zurückfand. Spitzenverdiener der Szene leisteten sich mitunter riskante operative Manipulationen an den Stimmbändern, damit endgültig alles Männliche an ihnen beseitigt war.
Um diese frühe Stunde herrschte im Horny House noch gähnende Leere. Das Revueprogramm begann nicht vor neun Uhr abends. Ein halbes Dutzend Nachwuchs-Kathoeys, denen man ihre noch nicht nachhaltig überwundene Männlichkeit ansah, alberten an einem Ecktisch herum. Einige stärkten sich für ihre Auftritte am späteren Abend mit allerlei Gesottenem und Gegrilltem. Andere waren dabei, sich aufzutakeln, künstliche Wimpern zu montieren und ihre Röckchen und ausgestopften Büstenhalter in Stellung zu bringen. Ein Klapperdürrer bat einen Kollegen um Hilfe bei seinen Versuchen, sein männliches Geschlechtsteil mit Klebeband zu bändigen und es zwischen seinen Beinen, in Richtung Anus eingeklemmt, verschwinden zu lassen.
Der einzige Gast des Hauses, neben dem wartenden Bertoli, war ein kolossaler Ausländer, eine gut zwanzig Jahre alte Ansammlung von Fett und Muskeln. Er trug einen Bürstenhaarschnitt, ein frisch gebügeltes Poloshirt und karierte Shorts, wie sie von Golfspielern an heißen Tagen bevorzugt werden. Sein Hintern bedeckte zwei nebeneinanderstehende Barhocker, der Oberkörper hing regungslos auf dem Tresen. Vor ihm standen, aufgereiht wie Paradesoldaten, ein halbes Dutzend Flaschen der australischen Biermarke Carlton Cold.
In diesem Augenblick öffneten sich die Flügeltüren des Foyers und Bertoli erkannte die gedrungene Silhouette von Vitikorn, dem Chef der Metropolitan Police of Bangkok. Der Lieutenant General stieg die Stufen zum Thekenbereich hinunter, nickte seiner Geschäftsführerin zu, die ihm ein Zeichen gab. Er umrundete die Theke und streckte seinem Gast die Hand entgegen. „Sorry, Dr. Bertoli, der Verkehr, Sie wissen schon …“
„Keine Ursache, Lieutenant General, ich bin auch erst vor ein paar Minuten angekommen“, gab Bertoli zurück. Natürlich war es dem Polizeidirektor von Bangkok nicht zuzumuten, sich von einem öffentlichen Verkehrsmittel wie der BTS-Schnellbahn zu einem Termin transportieren zu lassen. Sicher wartete draußen vor der Tür eine Dienstlimousine mit Fahrer, laufendem Motor und eingeschalteter Klimaanlage, damit sich der Innenraum des Fahrzeuges nicht aufheizte.
„Doktor, entschuldigen Sie mich bitte noch für einen Moment … etwas Geschäftliches … Sie verstehen …“
Vitikorn drehte seinen Zweizentnerkörper mit erstaunlicher Wendigkeit und hielt auf die Mama-san zu.
„Nit, mein Schätzchen, was gibt’s? Kann das nicht warten? Du siehst doch, ich habe Besuch“, vernahm Bertoli, der nur ein paar Meter entfernt am Tresen saß und über ein ausgezeichnetes Gehör und Kenntnisse in der thailändischen Sprache verfügte.
„Nur ein kleines Problem.“ Nit warf dem hellhäutigen Elefanten am anderen Ende der Bar einen verdrießlichen Blick zu.
„Was ist mit dem Fettwanst los? Hat er randaliert?“, wollte Vitikorn wissen.
„Der Junge hat sich verirrt. Hat wohl gedacht, hier gibt’s das Übliche zur Happy Hour. Hat sich anfangs ganz nett und spendabel mit Ai-Ai beschäftigt.“ Die Mama-san deutete auf eine schmalhüftige Kathoey in einer Schuluniform und Pigtail-Zöpfchen. „Dann wurde ein Separee bestellt. Vor Geilheit blind, hat der Kerl zunächst wohl nicht kapiert, dass zwischen den Beinen seiner Prinzessin etwas existiert, das er dort auf keinen Fall vermutet hatte.“
„Hm“, brummte der Polizeichef, „als er seinen Irrtum entdeckte, wurde er sauer, hat unsere kleine Ai-Ai beschimpft und jetzt will er die Zeche nicht bezahlen?“
„Ja, genau so ist’s gelaufen. Sie sind der Boss. Aber ich bin der Meinung, dass wir in derartigen Fällen keine Kulanz mehr zeigen sollten. Das spricht sich herum und die Konkurrenz macht sich über die zahnlosen Tiger des Horny House lustig. Der Hohlkopf soll die Getränke und die gebuchte Kathoey bezahlen und dann verschwinden. Außerdem sind schlafende Gäste nicht gut fürs Geschäft“, erklärte Nit mit einem Blick auf ihre diamantenbesetzte Armbanduhr.
„Vollkommen richtig, meine Süße“, lobte Vitikorn und verbarg seine dunklen Augen mit der teuren amerikanischen Sonnenbrille, die bisher im Ausschnitt seiner Uniformjacke gesteckt hatte. Dann trat er zu dem schnarchenden Ausländer und rüttelte an dessen Oberarm. Als daraufhin nur ein Grunzen ertönte, öffnete der Polizeigeneral den Reißverschluss der Gürteltasche, die sich vom Bauch des Mannes in den Bereich seiner Taillen-Speckringe verschoben hatte. Er entnahm einen neuseeländischen Reisepass mit einem gültigen Touristenvisum und dem Einreisestempel vom Vortag. Laut Ausweis war der Bursche dreiundzwanzig Jahre alt und hatte als Beruf Krankenpfleger angegeben. Vitikorn steckte den Pass in seine Brusttasche und verschloss den Beutel wieder. Dann zog er seinen Dienstausweis heraus. „Sir, darf ich Ihren Pass sehen“, brüllte er in das Ohr des schlafenden Riesen, der die Augen aufriss und fauchte: „Fick dich. Meinen Pass? Was geht dich mein Pass an?“
„Sir. Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Sie bei Ihrer Meditation unterbrochen habe. Ich bin Polizist. Wären Sie so freundlich und würden sich ausweisen?“
„Du Arschloch. Meditation? Verpiss dich.“
„Sir, möglicherweise haben Sie überhört, dass ich Polizeibeamter bin. Darf ich Ihren Pass sehen?“
Vitikorn hob seinen Dienstausweis in die