Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach

Bangkok Rhapsody - Thomas Einsingbach


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      „Mein Pass. Scheiße! War da drin. Ehrlich! Fuck, jetzt isser weg“, stammelte der Betrunkene. Vitikorn erkundigte sich bei Nit, wie viel Geld der verirrte Freier dem Horny House schuldete. Alles in allem seien es wohl um die fünftausend Baht, lautete die Schätzung der Geschäftsführerin. Wenn die Rechnung lieber in US-Dollar bezahlt werden wolle, gebe sie sich mit zweihundert Dollar zufrieden und man könne sich in Freundschaft trennen. Vitikorn nickte zustimmend, nachdem er den vorgeschlagenen Wechselkurs überschlagen hatte.

      „Wo ist mein Pass?“, jammerte der Dickleibige.

      „Sie können sich nicht ausweisen? Das ist eine ernste Sache. Mein Freund, kann es sein, dass Sie Ihre Rechnung nicht bezahlen wollen?“

      Bertoli verfolgte aufmerksam das Geschehen und sah, wie Vitikorn beeindruckende Sorgenfalten auf seine Stirn zauberte.

      „Das Bier zahl ich schon. Aber die Lady … also, wenn das ’ne verdammte Lady war … Fuck, dann bin ich ’n verdammtes Meerschweinchen.“

      „Bangkok bietet seinen ausländischen Gästen unendlich viele Überraschungen. Ein Rat unter echten Männern: Bezahlen Sie Ihre Rechnung. Irrtümer sind bekanntermaßen die besten Lehrmeister des Lebens. Möglich, dass sich dann auch Ihr Pass wiederfindet, zum Beispiel auf der Toilette.“ Vitikorn deutete zu den kichernden Kathoeys an dem Ecktisch.

      „Ich war nich’ auf der Toilette“, brachte der Tourist stockend vor.

      „Was soll ich jetzt mit Ihnen machen?“ Vitikorn schüttelte sein Haupt. „Sie beleidigen einen Polizeibeamten. Sie wollen die gebuchte Lady nicht bezahlen. Sie sind ohne Pass unterwegs. Woher soll ich wissen, ob Sie sich überhaupt rechtmäßig im Königreich Thailand aufhalten? Womöglich sind Sie ein nordkoreanischer Spion, ein islamistischer Selbstmordattentäter oder ein kolumbianischer Drogenhändler. Alles ziemlich kompliziert, finden Sie nicht auch? Möchten Sie mit ins Polizeipräsidium kommen? Dort können wir dann alles in Ruhe klären. Ich habe heute allerdings schon Feierabend und morgen ist mein freier Tag. Sie werden dort übernachten müssen. Ich stehe Ihnen dann übermorgen ab zehn zur Klärung der Unstimmigkeiten zur Verfügung.“

      Der Neuseeländer zuckte immer wieder nervös mit den Mundwinkeln. Er hatte sein komplettes jährliches Urlaubsbudget in den Fünftagetrip nach Bangkok investiert. Und nun drohte dieses Sechssternepolizeischlitzauge ihm mit einem Zwangsaufenthalt von zwei Nächten in einem thailändischen Gefängnis.

      „Gibt’s da keine andere Lösung?“

      „In Bangkok gibt es für alles eine Lösung.“ Vitikorns Blick streifte Nit, die sich bemühte, der auf Englisch geführten Verhandlung zu folgen.

      „Die Beamten der Metropolitan Police haben großes Verständnis für die gelegentlichen Schwierigkeiten anständiger Touristen. Ich schlage vor, Sie bezahlen das Bier und die Lady, on top ein nettes Trinkgeld für die ehrliche Finderin Ihres Passes. Dann vergessen wir die ganze Sache einschließlich der Beamtenbeleidigung und Sie können Ihre Entdeckungsreise durch Bangkoks Amüsierbetriebe fortsetzen. Okay? Das wären dann zusammen genau dreihundert Dollar. Wir nehmen hier nur amerikanische Dollars“, bot Vitikorn überfreundlich an.

      „Fuck, dreihundert Dollar für ein paar Bier? Das Mädchen war doch keins … ganz ehrlich … die hatte einen … ich hab’s genau gesehen … das ist Betrug“, beschwerte sich der Mann zaghaft.

      „Es ist Ihre Entscheidung. Mein Wagen steht vor der Tür.“ Vitikorn rümpfte die Nase. Nicht einmal für eine Million Dollar würde ein betrunkener Farang die schneeweißen Ledersitze seiner Dienstlimousine beschmutzen.

      „Go to hell! Ich zahl die verdammten dreihundert Bucks.“

      Der Mann klaubte das Geld aus dem Lederbeutel um seinem Hals.

      „Schön, dass Sie vernünftig sind“, lobte Vitikorn und händigte dem Neuseeländer den Reisepass aus. „Das gute Stück lag tatsächlich in der Damentoilette. Eine Kathoey hat es dort gefunden. Weiß der Himmel, wie er dort hingekommen ist.“

      Der Mann packte mit einem kurzen Griff seinen Pass und schlich grußlos aus dem Horny House. Vitikorn reichte Nit zweihundert Dollar und winkte mit den restlichen fünf Zwanzigdollarscheinen hinüber zum Ecktisch.

      „Und das ist für euch, meine kleinen Ladies.“

      Die jungen Kathoeys sprangen ausgelassen kreischend auf und entboten Bangkoks Polizeichef anschließend unterwürfig ihren Wai.

      Vitikorn kehrte zu Bertoli zurück und führte seinen Gast in ein Separee, wo Getränke und ein paar Kleinigkeiten zum Knabbern bereitstanden. Als man es sich auf den plüschigen Kanapees bequem gemacht und eine Bedienung die Gläser gefüllt hatte, öffnete Vitikorn ein paar Knöpfe seiner Uniformjacke, die über seinem Kugelbauch spannte, und schob seine Sonnenbrille auf die Stirn.

      „Mit ihren Pässen verstehen die Farangs keinen Spaß“, stellte der Polizeigeneral fest.

      „Eine wirklich beeindruckende Vorstellung. Der arme Kerl hatte keine Ahnung, wem er gegenüberstand.“

      „Manche Farangs meinen doch tatsächlich, Bangkoks Polizei beschäftigt sich ausschließlich mit sich selbst. Das Gegenteil ist der Fall. Jedes Jahr bearbeiten wir über eintausend Morde, dazu wer weiß wie viele Suizide und Verkehrsunfälle mit Todesfolge.“ Vitikorn räkelte sich entspannt auf seinem Sofa.

      „Und dann gibt’s da noch die Vermissten. Vermisste machen die meiste Arbeit. Ehrlich gesagt sind mir drei Morde lieber als eine Vermisstenanzeige“, beschloss Vitikorn den Schnelldurchlauf seiner beruflichen Bilanz.

      „Wo wir gerade über Vermisste sprechen. Gibt es Neuigkeiten von Ihrer Frau Heather?“

      „Hannah. Meine Frau heißt Hannah. Nein, bisher habe ich keine neuen Erkenntnisse erhalten.“

      „Meine Beamten werden Ihre Frau finden. Ich gebe Ihnen mein Wort“, versprach der Lieutenant General und drückte einen Knopf, mit dem man die Bedienung rufen konnte. Bertoli schaute verstohlen auf seine Uhr.

      „Sie wollen doch nicht schon gehen, ohne etwas gegessen zu haben? Bertoli, ich sage immer: Schöne Frauen und gutes Essen, allein dafür lohnt es sich, hart zu arbeiten.“

      „Lieutenant General, darf ich ehrlich sein? Meine Frau ist deshalb verschwunden, weil sie mich verlassen hat. Ganz im Vertrauen, ich habe schon seit geraumer Zeit eine Geliebte. Möglicherweise hat Hannah etwas geahnt. Ich beichte Ihnen meinen Fehltritt, weil ich sicher bin, Ihre Mitarbeiter werden diese Tatsache über kurz oder lang herausfinden.“

      Vitikorn verzog sein von Narben übersätes Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Bertoli, Sie Casanova! Eine Geliebte! Gratuliere. Endlich benehmen Sie sich wie ein richtiger Mann.“

      Bertoli ließ den Vergleich mit Casanova an sich abperlen und setzte eine verschämte Miene auf, was seinen Gesprächspartner erst recht in Laune versetzte.

      „Eine einzige Frau im Leben? Welch ein Jammer! Ehrlich gesagt, kann ich mir genauso wenig vorstellen, dass eine Frau mit nur einem Mann …“ Vitikorn versuchte den Blick Bertolis zu erhaschen, der gerade dabei war, aus seiner Aktentasche ein Kuvert zu entnehmen.

      „Entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Sie hatten Dollar verlangt, die meine Bank erst besorgen musste.“

      Bertoli schob den Umschlag über den Tisch. „Fünfundzwanzigtausend, wie gewöhnlich. Lieutenant General, es tut mir sehr leid, aber ich bin heute ein wenig in Eile. Gerne plaudern wir ein anderes Mal. Wenn Sie mich bitte entschuldigen?“

      „Natürlich, mein Lieber. Wir sehen uns bald wieder“, antwortete Vitikorn, der die Geldlieferung nicht eines Blickes gewürdigt hatte. Die beiden Männer reichten sich die Hand und wenige Augenblicke später hatte Bertoli das Separee verlassen.

      William LaRouche war Interkontinentalflüge gewohnt und litt selten unter Jetlag. Er war im Morgengrauen auf Bangkoks Suvarnabhumi International


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