Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach
einem schnauzbärtigen Inder mit kleinen Mausaugen, hatte William erklärt, er sei Journalist, was seine künftige Tagesgestaltung rechtfertigen sollte, die sich deutlich von derjenigen herkömmlicher Touristen unterscheiden würde.
William sog die von Feuchtigkeit gesättigte Morgenluft ein, deren Temperatur sich schon wieder an die Dreißiggradmarke heranschlich und die sich so vollkommen von der herbstlich frischen Brise unterschied, die ihm noch vor wenigen Stunden in Hoboken um die Nase geweht war. Sein Blick ging hinunter zum mächtigen Chao Phraya, der sich einen Steinwurf von ihm entfernt behäbig und lauwarm durch das erwachende Bangkok schob. So geruhsam der Strom der Könige seiner Mündung zustrebte, so geschäftig ging es auf seiner Wasseroberfläche zu. Nagelnde Dieselschlepper zogen tief im Wasser liegende Lastkähne hinter sich her. Ein Fluss-Omnibus spuckte an der Oriental Pier Büroangestellte und adrett uniformierte Schüler der katholischen Assumption Convent School aus. Aquadynamisch geformte Longtailboote durchpflügten knatternd die Fluten, um Expressgüter aller Art zu den Empfängern in Bangkoks verzweigtem Kanalsystem zu liefern.
William zündete sich eine Lucky Strike an und blätterte in den Unterlagen, die ihm Jonathan am John F. Kennedy Airport in New York überreicht hatte. Seine Aufgabe war es also, einen amerikanischen Staatsbürger aufzuspüren, nach dem das Justizministerium schon seit Jahren fahndete. Die Zielperson hatte 1951 in Buenos Aires als uneheliches Kind eines mittelmäßigen und mittellosen italo-amerikanischen Revuegirls mit dem Namen Emily „Holly“ Mazzini das Licht der Welt erblickt und wurde auf den Namen Larry Mazzini getauft. Larrys Vater war dagegen eine echte Berühmtheit, wenn auch eine makabre. Selbst William hatte dessen Namen schon gehört. Als Larrys Erzeuger keine Verantwortung für Mutter und Sohn übernehmen wollte, kehrten Holly und der kleine Larry nach Amerika zurück, wo sie ein paar Jahre in Las Vegas lebten. Dann heiratete Holly einen Bauunternehmer, der mit Larry schlecht zurechtkam und ihn in ein Internat steckte. William schloss die Akte und besorgte sich aus dem Kühlschrank eine Coca-Cola. Er ließ den Metallverschluss aufschnappen und goss die Brause, deren Farbe dem schlammigen Ockerbraun des Chao Phraya zum Verwechseln ähnelte, in ein angestaubtes Long-Drink-Glas. In diesem Moment meldete sein Mobiltelefon einen Anruf.
„Billy, bist du gut angekommen?“
Es war Jonathans Stimme.
„Alles klar! Und wie geht’s dir, alter Mann?“ Seit dem Tagtraum im Sinatra-Park von Hoboken und seiner Entscheidung, Jonathans Bitte um Unterstützung Folge zu leisten, war William in aufgeräumter Stimmung. Er hatte seine Zweifel beiseitegeschoben und war auf dem besten Weg, sich tatsächlich auf seinen Einsatz zu freuen. Fast eine Dekade lang war er in Südostasien im Einsatz gewesen, die meiste Zeit davon als FBI-Agent im Legal Attaché Office der amerikanischen Botschaft in Bangkok. Drei Jahre waren seit seinem Abschied aus Thailands Hauptstadt mittlerweile vergangen, eine Ewigkeit angesichts des atemberaubenden Entwicklungstempos asiatischer Metropolen. William nahm sich vor, in den nächsten Tagen erst einmal mit wachen Sinnen durch die Stadt zu streifen. Er wusste, dass er nur erfolgreich sein konnte, wenn er das Gefühl für den Rhythmus Bangkoks zurückgewann.
„Mein Junge. Wie besprochen operierst du zunächst inoffiziell. Zur Sicherheit habe ich die Polizeidirektion von deinem Status in Kenntnis gesetzt. Die direkte Mithilfe der thailändischen Behörden benötigen wir allerdings erst nach der erfolgreichen Enttarnung der Zielperson. Hast du dich schon in der Niederlassung von Goldstein & Schulman gemeldet?“
„Mein Körper ist eben erst in Bangkok gelandet. Gib mir wenigstens noch ein paar Stunden, damit auch meine Seele ankommt.“
„In der Kanzlei wendest du dich an eine Miss Penelope Owens“, fuhr Jonathan unbeirrt fort. Er mochte William von ganzem Herzen, aber sein Junge hatte einen Auftrag angenommen und die Zeit drängte.
„Ist sie hübsch?“
Eine solche Frage wäre William vor zwei Tagen nicht im Traum eingefallen und er wunderte sich über seinen Übermut. War es das schwülheiße Klima, das ihn ans heimatliche Louisiana erinnerte? Oder wurden seine Lebensgeister durch den lange Zeit ruhenden, nun aber wieder aktivierten Jagdtrieb geweckt, der ihn in der Vergangenheit zu einem der erfolgreichsten Personenfahnder des FBI hatte werden lassen?
„Lass den Quatsch. Miss Owens ist eine versierte Juristin in Aaron Goldsteins Kanzlei und noch dazu die Tochter von Richter Andrew J. Owens, dem ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs.“
„Alles klar, eine solche Kombination verbietet natürlich gutes Aussehen“, warf William ein.
„Der lange Flug. Die Klimaveränderung. Dafür habe ich Verständnis. Leg dich noch ein paar Stunden aufs Ohr. Sieh zu, dass deine Seele ankommt. Und dann konzentriere dich auf deinen Job“, ermahnte Jonathan und war dabei heilfroh, dass William offenbar im Begriff war, das Schneckenhaus der Lethargie zu verlassen. „Mein Junge, ich freue mich, dass du den Auftrag angenommen hast. Du hast die richtige Entscheidung getroffen.“
9
„Guten Morgen, Mr. LaRouche. Mein Name ist Penelope Owens. Willkommen in Bangkok.“
William war von dem verbindlich-zupackenden Händedruck überrascht, den er angesichts der feingliedrigen Konstitution seiner Gastgeberin nicht erwartet hatte. Hatte Jonathan nicht erwähnt, dass Miss Owens die Tochter des berühmten Andrew J. Owens war? Bundesrichter Owens war Afroamerikaner, seine Tochter eindeutig Asiatin.
„Sie sind also Melindas und Jonathans Mann in Bangkok?“
„Sieht so aus. Sie können mich gerne William oder Bill nennen.“
William betrachtete die Visitenkarte, die Penelope ihm zur Begrüßung überreicht hatte. Auf dem silbergrauen Karton mit Prägedruck las er: Penelope S. Owens, Associate Attorney, Goldstein & Schulman, Bangkok.
Vor ihm stand im Gegenlicht eine mittelgroße schlanke Frau in einem hellgrauen Businessanzug. Ihr seidiges schwarzes Haar lag auf schmalen Schultern und erhielt durch die Lichtstrahlen der Morgensonne zusätzliche reizvolle rötlich-orange Farbakzente, und William war froh, dass er sich wenigstens frisch rasiert hatte. Sein verknittertes, ausgebleichtes T-Shirt war ihm allerdings in diesem Moment ein wenig peinlich. Miss Owens griff nach einer Fernbedienung. Kurz darauf beendete die abgesenkte Jalousie die Lichtspiele in ihrem Büro in Bangkoks Witthayu Road, die unter westlichen Ausländern salopp Wireless Road genannt wurde.
„Okay, William, dann bin ich für Sie Penelope. Jonathan, der Büroleiter der Justizministerin, hat mich in groben Zügen über Ihren Auftrag informiert. Es geht um einen flüchtigen US-Staatsbürger mit dem Namen Mazzini. Sie sind Exposer? Ich verstehe von Ihrer Arbeit nicht viel und hoffe, dass ich Ihnen zumindest ein wenig behilflich sein kann“, eröffnete die Juristin, die William auf höchstens Ende zwanzig schätzte.
„Ein Exposer ist eine Art Spürhund. Seine Aufgabe ist es, den Fuchs aus seinem Versteck zu locken und sich dann zurückzuziehen, um Jägern die Bühne zu überlassen …“, versuchte sich William mit einem Vergleich.
„Ich nehme an, Mazzini ist der Fuchs? Dann kommt es auf Ihren Instinkt an?“ Sie hatten mittlerweile Platz genommen und Penelope musterte ihren Besucher. Sie hatte sich LaRouche deutlich jünger vorgestellt. Der Mann, der nun vor ihr saß, wirkte müde und für sein Alter von Anfang vierzig ein wenig verbraucht.
„Auf die Nase kommt es an“, bestätigte William. „Die Nase ist das wichtigste Organ eines Spürhundes. Kann es sein, dass Sie einen jüngeren Mann erwartet haben?“
William hatte eine Heftmappe mit dem Signet des Justizministeriums auf dem Schreibtisch entdeckt. Vermutlich waren darin die Informationen enthalten, die Jonathan für Penelope zusammengestellt hatte. Das Dossier enthielt vermutlich auch ein Foto des Spürhundes zur sicheren Identifikation, das in seinem Fall zweifellos aus längst vergangenen FBI-Tagen stammte. William kannte solche allgemeinen Memos, die bewusst spärlich gehalten waren, weil man nie wusste, in wessen Hände sie gerieten.
„Oh, wissen Sie William, mit Männern ist es wie mit Rotwein …“, entgegnete Penelope sichtlich verlegen. Sie fühlte sich ertappt. Sicher war es ein Zufall, dass dieser Mann ihren Gedanken aufgenommen