Die Irrfahrten des Herrn Müller II. Florian Russi

Die Irrfahrten des Herrn Müller II - Florian Russi


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       Nenne mir, Muse, den Mann,

       der so weit geirrt ist

       und so vieles erlebt hat …

      Homer, Beginn der Odyssee

       Inhaltsverzeichnis

       Cover

       Titel

       Impressum

       Kapitel I

       Kapitel II

       Kapitel III

       Kapitel IV

       Kapitel V

       Kapitel VI

       Kapitel VII

       Kapitel VIII

       Kapitel IX

       Kapitel X

       Kapitel XI

       Kapitel XII

       Weitere Informationen

       Über den Autor

      Er musste sich beeilen. Die Bank schloss um 18 Uhr, und er wollte Frau Nelles nicht enttäuschen. Die Zahnarztwitwe setzte großes Vertrauen in Ihn. War es aber wirklich nur Vertrauen? Hatte sie, die über 50-jährige, nicht ihm, dem nicht einmal 20-jährigen, schon kurz nach dem Kennenlernen das ‚Du‘ angeboten? „Ich bin die Thekla, und dich darf ich Daniel nennen“, hatte sie gesagt.

      Hatte sie ihm nicht immer wieder Komplimente gemacht und ihm sehnsüchtige Blicke zugeworfen? Nachdem er ihr bei der Geburtstagsfeier einer Großmutter seiner Freundin Ines als junger, aufstrebender Möbelkaufmann vorgestellt worden war, hatte sie ihn zwei Tage später angerufen und ihm gesagt, dass sie dringend eine neue Küche benötige. Sie hatte ihn zu sich eingeladen und ihm ihre noch lange nicht abgewirtschaftete Küche gezeigt. Dann hatte sie Kaffee gekocht und ihn zu selbstgebackenem Kuchen eingeladen. Schließlich hatte sie behauptet, nie in ihrem Leben einen solch sympathischen Verkäufer kennengelernt zu haben, und ihn aufgefordert, ihr bald eine Kostenkalkulation zu erstellen und dabei nicht so sehr auf einen günstigen Preis, sondern vielmehr auf höchste Qualität zu achten.

      Stolz hatte er, der gerade erst seine Kaufmannsgehilfenprüfung abgelegt hatte, seinem Chef von dem Auftrag berichtet. „Die Nelles“, hatte der anerkennend geantwortet, „gehört zu den reichsten Frauen der Stadt. Wenn es dir gelingt, sie als Kundin zu gewinnen, bekommst du von mir einen Sonderbonus.“

      Beim nächsten Treffen gab es wieder Kaffee und Kuchen. Frau Nelles liebte besonders Sahnetorten. Sie wirkte in hohem Maß aufgedreht, zeigte sich begeistert über die Vorschläge, die er mitgebracht hatte. Dann beklagte sie sich über die Verwandten, die in ihr nicht den Menschen, sondern nur die reiche Erbtante sehen würden. Sie jedoch werde denen nicht den Gefallen tun, bald abzukratzen. „Ich habe mich auf einer Schönheitsfarm im Schwarzwald angemeldet“, ergänzte sie. „Wenn ich von dort zurückkomme, wirst du mich kaum wiedererkennen. Senta Berger sieht man ja auch ihr Alter nicht an. Auch ich bin bereit und in der Lage, den medizinischen Fortschritt zu nutzen und verfüge noch über eine ausgeprägte Libido.“

      Das Wort hatte er zuvor noch nie gehört. Allerdings hatte er einen Verdacht, was es ungefähr bedeuten könnte und sich anschließend über sein Handy davon überzeugt, dass er damit Recht hatte. Wollte sie ein Verhältnis mit ihm beginnen? Er hatte ihr doch von seiner Freundin Ines erzählt. Sie wusste auch, dass sie die Enkelin jener Dame war, mit der Thekla Nelles jeden Mittwoch Bridge zu spielen pflegte, deren Geburtstag sie gemeinsam gefeiert hatten. Machte die Millionärin den Kauf der Küche davon abhängig, dass er sich von ihr verführen ließ? Das wäre fatal für ihn, der sich gerade frisch verliebt und so hoffnungsvoll seine berufliche Karriere begonnen hatte. Immer häufiger versuchte sie, ihn für sich einzuspannen und um Gefälligkeiten zu ersuchen. Eines Tages bat sie ihn, sie mit seinem Auto zu ihrem Rechtsanwalt zu fahren, weil ihr eigener Wagen an diesem Tag in der Werkstatt stand. Sie nahm ihn mit in das Büro des Anwalts, und als der Daniel misstrauisch beäugte, erklärte sie, dass der junge Mann ein Verwandter ihrer besten Freundin sei, sie volles Vertrauen zu ihm habe. Dann sprach sie mit dem Anwalt über ihr beachtliches Vermögen und veranlasste ihn, das Testament zu vernichten, das sie bei ihm deponiert hatte. „Ich hab’s mir überlegt und werde keinen meiner Verwandten zum Erben einsetzen. Die sind alle herzlos und nicht an mir interessiert. Es wird sich sicher jemand finden, der meines Erbes würdiger ist“, erklärte sie und schaute dabei zur Decke.

      Daniel gewann den Eindruck, dass es ihr vor allem darum ging, ihm zu verdeutlichen, welch gute Partie sie wäre. Wüste Vorstellungen schwirrten durch seinen Kopf.

      Als er sie eines Tages wieder besuchte, redete sie ungewöhnlich offen mit ihm. Sie erzählte von ihrem Vater, dem kein Rock zu kurz war, und von ihrem inzwischen verstorbenen Mann, der sie ständig betrogen hatte. Schließlich zog sie einen Hefter mit Kontoauszügen hervor. „Das sind die Gelder, über die ich verfüge“, sagte sie. „Ich zeige sie dir, Daniel, weil ich großes Vertrauen zu dir habe und weiß, dass du nicht bist wie die anderen Männer.“

      Dabei setzte sie sich zu ihm aufs Sofa und rückte eng an ihn heran. „Hier kannst du sehen, dass ich mein Geld redlich verdiene“, erklärte sie „Ich lebe nicht nur von der Rente meines Mannes und meinen Sparguthaben, sondern besitze auch eine Reihe von Immobilien. Es ist ja keine Schande, vermögend zu sein.“

      Je mehr sie sich an ihn herandrückte, desto steifer wurde seine Haltung. Er wusste sich keinen Rat, wie er sich verhalten sollte.

      „Du bist schüchtern“, sagte sie und lächelte dabei. „Das gefällt mir. Es kann sein, dass ich nach meiner Schönheitskur oder vielleicht auch Operation alles um mich herum erneuern werde. Das hieße, dass ich nicht nur die Küche, sondern auch meine Wohnzimmer und auch das Schlafzimmer austauschen will. Bis dahin bitte ich dich, noch zu warten.“

      Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, lehnte dann ihren Kopf an seine Schulter und streichelte seine Brust. Er rührte sich nicht.

      „Dass du mein Vertrauen hast, beweise ich dir jetzt“, fuhr sie fort. „Ich brauche 20 000 Euro in bar. Es ist nicht einfach, so viel Geld auf einmal ausgezahlt zu bekommen. Dich betraue ich damit, das Geld für mich in Empfang zu nehmen. Nimm dazu die Aktentasche mit, die ich dir übergeben werde. Meine Bank habe ich verständigt und eine Vollmacht auf dich ausgestellt. Wenn du deinen Personalausweis vorlegst, wird man dir die Summe aushändigen.“

      Daniel


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