Die Irrfahrten des Herrn Müller II. Florian Russi

Die Irrfahrten des Herrn Müller II - Florian Russi


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vielmehr Lukas oder Tamrud beim Namen zu nennen, wetterte er auch gegen eine laxe Auslegung der göttlichen Gebote und gegen die Sünde des Ehebruchs, für die es nur strengste Strafen geben dürfe.

      Eines Tages sah Daniel zufällig, wie Selass im Vorhof des Gotteshauses sich eifrig mit einem Mann unterhielt, den Daniel bis dahin nie gesehen hatte. So nahe es ging, schlich er sich an die beiden heran und konnte hören, dass sie englisch miteinander sprachen. Was genau gesagt wurde, konnte er nicht verstehen, doch er war sicher, zweimal den Namen „Daniel“ gehört zu haben. Der Fremde musste der Zielfahnder sein.

      Daniel zog sich auf sein Zimmer zurück. Zu seiner eigenen Verwunderung war er nicht ängstlich, sondern wütend. Er beschloss, den beiden eine Lehre zu erteilen. Es nahte das Fest der „Sieben Wohltaten“, einer der höchsten Feiertage zu Ehren Onos. Es wurde im ganzen Land mit Prozessionen, Tänzen und Gesängen gefeiert. Höhepunkt aber war ein feierliches Abendessen, an dem alle Mitglieder der Gemeinden nach Geschlechtern getrennt teilnahmen. Es wurden Zelte aufgestellt, und die Köche des Landes machten sich eine Ehre daraus, beliebte Speisen zu kochen und herzurichten. Alle Metzger, Bäcker und Lebensmittelhändler trugen, ohne Geld dafür zu fordern, dazu bei, dass die Tische, die an den Zeltwänden entlang standen, mit Delikatessen beladen waren. Jeder konnte sich das auf seinen Teller tun, was ihm am besten schmeckte. Daniel ging zu Tamrud und bat ihn, einen Gast einzuladen, den er aus Deutschland zu kennen glaube.

      „Selass hat mir von einem Deutschen erzählt, der sich bei ihm nach dir erkundigt hat. Allerdings hat er dich Daniel und nicht Lukas genannt. War das eine Verwechslung, oder wie lässt es sich anders erklären? Gibt es Leute, die nach dir suchen?“

      „Das würde ich auch gern in Erfahrung bringen“, log Daniel. „Es wäre daher sehr freundlich, wenn Selass den Mann einladen und mich ihm vorstellen würde. Dann kann ich herausfinden, ob er etwas von mir will.“

      Selass war voller Verdächtigungen und deshalb sehr verwundert, dass Tamrud ihn bat, den fremden Herrn zur abendlichen Feier einzuladen. Der erschien tatsächlich, stellte sich als Olaf Grün aus Deutschland vor und war sehr daran interessiert, mit Daniel zusammenzutreffen. Daniel gab ihm die Hand und stellte sich als Lukas Müller vor. So war es mit Alexander besprochen, und unter diesem Namen war er auch gegenüber den Priestern aufgetreten.

      „Lukas heißen Sie also“, sagte der Fahnder unvermittelt. „Haben Sie sich diesen Namen selbst ausgedacht, oder gibt es jemanden, der Sie schützt?“

      „Gern bin ich bereit, im Laufe des Abends Ihre Neugierde zu befriedigen“, erwiderte Daniel ungerührt. „Allerdings bin ich, wie Sie, hier nur Gast. Warten wir ab, bis die Menge sich an den Speisen bedient hat, und lassen Sie uns dann zum Buffet gehen und anschließend ein wenig mit unseren Gastgebern plaudern. In diesem Land wird Höflichkeit sehr beachtet.“

      Als niemand sonst mehr an den Tischen anstand, ging Daniel darauf zu, reichte auch dem Fahnder einen Teller und begann, sich unter den angebotenen Gerichten umzusehen. Olaf Grün tat es ihm nach und während er sich zu den Speisen beugte, zog Daniel einen Pfefferstreuer aus seiner Jacke, schüttelte ihn kurz und streute den Pfeffer unbemerkt in Richtung des Fahnders. Dann wendete er sich schnell in eine andere Richtung ab.

      Es kam, wie er erhofft hatte. Herr Grün musste kräftig niesen und wollte gar nicht mehr damit aufhören. Sofort waren Männer des Ordnungsdienstes zur Stelle, ergriffen ihn und führten ihn ab. Die übrigen Gäste verfielen zunächst in Sprachlosigkeit. „Wer war das?“, hörte Daniel dann jemand fragen. „Ein Ungläubiger, der sich hinterhältig in unsere Gemeinschaft einschleichen wollte“, erwiderte er. „Er hat sich mit seinem hemmungslosen Niesen selbst überführt.“ Daniel schaute in Selass’ betreten dreinblickendes Gesicht und wartete ab, was nun folgen würde. Von überall her hörte er Worte der Empörung und die Forderung, dass mit dem Eindringling nicht zimperlich umgegangen werden dürfe. Dieser Meinung war auch Daniel.

      Tatsächlich wurde der Fahnder vor ein sakrales Schnellgericht gestellt und zu 60 Peitschenhieben verurteilt. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland schaltete sich ein, und es kam zu einem diplomatischen Konflikt. Das Religionsgericht aber wollte nicht einsehen, dass der Fahnder seiner gerechten Strafe entgehen sollte. Bis zur endgültigen Entscheidung des Höchsten Gerichtshofs hielt es Olaf Grün in Haft. Von Daniel war nicht mehr die Rede. Der Botschaft war die Angelegenheit peinlich, sie fürchtete weitere juristische Verwicklungen. Daniel aber versicherte Tamrud und Selass, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt habe. Außerdem wäre er niemals bereit gewesen, sich von einem ihm fremden Mann in ein Land locken zu lassen, in dem nirgendwo der rechte Glaube gelebt werde.

      Selass blieb misstrauisch. Soweit er konnte, beobachtete er jeden Schritt, den Daniel tat und versuchte festzustellen, ob er dabei gegen Glaubensgrundsätze verstieß. Eines Tages sagte er zu Daniel: „Du lebst nun schon mehrere Monate bei uns, schläfst im Gästehaus und sitzt mit uns an der Tafel. Für all das hast du bisher nicht eine einzige Gallone bezahlt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ohne Geld zu uns gekommen bist. Da du es nicht brauchst, möchte ich dich auffordern, es an unsere Gemeinde zu spenden.“

      Tatsächlich hatte Daniel seit seiner Flucht nur wenig Geld ausgegeben und das meiste von den Gallonen, die ihm Alexander übergeben hatte, in einer Plastiktüte aufbewahrt. Wie kam Selass nun dazu, ihn zum Spenden aufzufordern? Hatte er heimlich sein Gepäck durchsucht? Dann wäre es gefährlich gewesen, ihm nicht die Wahrheit zu sagen. Daniel sah ein, dass er Selass und seinem Fanatismus auf Dauer nicht gewachsen war. Der würde immer etwas finden, mit dem er ihn kompromittieren oder ins Unrecht setzen konnte. Er erinnerte ihn an einen jungen Kollegen in seiner Möbelhandelsgesellschaft. Auch der brachte die anderen immer wieder in Verlegenheit, indem er vorgab, fast alles zu wissen und das Ansehen der Firma hoch zu halten. Daniel gab also Selass das Geld, über das er noch verfügte und behielt nur einen kleinen Restbetrag, den er Selass ausdrücklich nannte. „Falls ich irgendwann doch etwas kaufen muss“, sagte er zur Begründung. Selass nahm das Geld entgegen und sah ihn an, ohne irgendeine Gefühlsregung erkennen zu lassen. Daniel aber dachte: ‚Der weiß über alles Bescheid, und von jetzt an bin ich ihm ausgeliefert.‘

      Bei nächster Gelegenheit erzählte Daniel Tamrud von dieser Aktion. Der aber antwortete nur: „Selass rechnet damit, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in unserem Land kommen wird. Er sammelt Geld, um Waffen zu kaufen. Leider sind es nicht wenige, die seine Ahnungen teilen. Ich habe die Befürchtung, dass rund um unser Gotteshaus bald ein Waffenlager entstehen wird.“

      Daniel erschrak und nahm es zum Anlass, am folgenden Tag, als Tamrud und Selass sich bei ihren Familien aufhielten, in die Stadt zu gehen und den Uhrmacher aufzusuchen. Noch ehe er ihm etwas sagen konnte, lächelte der ihn an und erklärte, dass Daniel in der königlichen Botschaft erwartet würde. Worum es dabei gehen sollte und wie lange es dauern würde, konnte er nicht sagen.

      Jetzt wurde Daniel endgültig bewusst, in welch verzwickter Lage er sich befand. Länger als ein oder zwei Stunden durfte er sich nicht vom Tempel des Ono entfernen. Sofort würde Selass neuen Verdacht schöpfen. Er ging zum Gotteshaus zurück und schrieb in englischer Sprache auf einen Zettel, dass er zur königlichen Botschaft gegangen sei, um dort wegen einer Erbangelegenheit vorzusprechen. Den Zettel legte er so, dass ihn Tamrud als Erster finden musste. Dann machte er sich auf zum Botschaftsgebäude.

      Dort wurde er in ein Appartement für Gäste geführt. Lore wartete schon auf ihn. Sie umarmte ihn überschwänglich und zog ihn ohne viel zu reden ins Schlafzimmer. Diesmal war er sehr einverstanden. Die erzwungene Prüderie im Kloster hatte in ihm viel unbefriedigte Lust aufgestaut. Lore blieb ihm nichts schuldig. Sie setzte sich rittlings auf ihn, führte mit routinierter Bewegung sein Glied in ihre Scheide ein und begann mit rhythmischen Bewegungen, die nach und nach immer ekstatischer wurden. Er bemühte sich um Zurückhaltung, doch schon nach sehr kurzer Zeit hatte er sich nicht mehr in der Gewalt. Hemmungslos stieß er wilde Schreie aus, und es war nicht nur seine Lust, die sich dadurch Befreiung verschaffte, sondern auch die Last seines Klosterlebens. Lore wirkte ein wenig enttäuscht und unbefriedigt, doch sie war bemüht, es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen. „Ich bin nicht offiziell hier und muss heute Abend schon wieder zurückreisen“, sagte sie. „Ohne dich hab ich’s zu Hause nicht mehr ausgehalten. Ich kann dir aber erfreuliche Mitteilungen machen.“

      „Ist


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