Asian Princess. Thomas Einsingbach
Alterungserscheinungen, die Gesichtshaut erschien straff und weitgehend faltenfrei. Lediglich ein paar dunkelbraune Hautverfärbungen auf den Handrücken verwiesen auf ein fortgeschrittenes Lebensalter. Pisuphan war von zierlicher Statur, einen guten Kopf kleiner als William und strahlte eine ungebrochene Lebenskraft aus. Das Auffälligste an ihm war jedoch sein Clark-Gable-Bärtchen mit dem eleganten Abschwung an den äußeren Enden und dem akkurat rasierten Abstand zur Oberlippe. Einerseits schien dieses Bartdesign ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, andererseits verstärkte es, im Einklang mit dem klassisch geschnittenen dreiteiligen Anzug samt Einstecktuch, die Seriosität des Gastgebers.
„Mr. LaRouche, nehmen wir Platz.“ Pisuphan studierte Williams Visitenkarte. „Wie ich sehe, befindet sich Ihr amerikanisches Büro in Manhattan. Sehr schön. Mrs. Owens hat Sie empfohlen und Ihre Erfahrung erwähnt. Sie sind bereits mit der Situation vertraut?“
„Nicht im Detail. Mrs. Owens hat angedeutet, dass Sie sich Sorgen um Ihre Tochter Suwannee machen, mit der Sie seit geraumer Zeit keine persönliche Verbindung mehr hatten.“
„So ist es.“
„Wann hatten Sie die den letzten Kontakt mit Ihrer Tochter?“
„Vor exakt fünf Tagen.“
Pisuphan reichte William ein eng bedrucktes Blatt. „Hier finden Sie sämtliche Telefongespräche, die meine Tochter und ich in den letzten Wochen geführt haben. Wir haben mindestens einmal täglich telefoniert. Ich lege Wert auf diese Regelmäßigkeit und Suwannee ist in diesen Dingen sehr zuverlässig.“
„Welchen Charakter hat Ihre Tochter? Wo liegen ihre Schwächen? Wer sind ihre Freunde? Hat sie eine feste Beziehung? Wenn ich Ihren Auftrag annehme, brauche ich eine detaillierte Beschreibung der Gewohnheiten und Vorlieben Suwannees. Lassen Sie dabei nichts außer Acht, auch wenn es Ihnen nicht wichtig erscheint oder unangenehm sein sollte.“ William hatte noch längst nicht entschieden, ob er Pisuphans Angebot annehmen wollte. Bis ein derartiges Persönlichkeitsprofil vorlag, blieb ihm sicher genügend Bedenkzeit, um zu überlegen, wie er eine solche Recherche mit seinen New Yorker Verpflichtungen unter einen Hut bringen konnte.
„Wir haben bereits alles für Sie zusammengestellt.“ Pisuphan überreichte William eine Mappe. „Sie finden hier auch eine Sammlung von Fotografien. Suwannee verändert von Zeit zu Zeit gerne ihr Äußeres. Sie wissen ja, wie junge Mädchen heute so sind …“
Überrascht nahm William die Unterlagen entgegen und registrierte dabei ein ungeduldiges Flackern in Pisuphans Blick. „Sie möchten keine Zeit verlieren. Warum ist Ihre Tochter in Deutschland?“
„Sicher hat Ihnen Mrs. Owens verraten, dass Suwannee mein einziges Kind ist. Meine ersten beiden Ehen verliefen nicht sonderlich erfolgreich. Erst mit meiner dritten Frau Constanze, eine Österreicherin aus Wien, hatte ich das Glück, Vater zu werden. Leider ist sie vor ein paar Jahren von uns gegangen. Zu ihren Lebzeiten hat Constanze stets Wert darauf gelegt, dass unsere Tochter auch ihre deutsche Muttersprache beherrscht und die europäische Kultur kennen und verstehen lernt.“
„Mrs. Owens berichtete mir, dass Suwannee in Heidelberg studiert.“
„Das ist richtig. Der Aufenthalt in angenehmer akademischer Umgebung soll ihr Gelegenheit geben, ihre ein wenig eingerosteten Deutschkenntnisse aufzufrischen. Sie hat in Amerika Jura und Betriebswissenschaft studiert und bereits abgeschlossen.“
William musterte Pisuphan, dessen anfängliche Bedrücktheit nun einer gefassten, geschäftlichen Ausstrahlung gewichen war.
„Was ist, wenn Suwannee sich eine Auszeit genommen hat, deren Gestaltung sich nicht unbedingt mit den Vorstellungen ihres Vaters deckt? Sie wissen, was ich meine …?“
„Mr. LaRouche, ich verstehe genau, auf was Sie anspielen. Natürlich soll sich Suwannee in Deutschland amüsieren. O ja! Ich kenne das Mädchen! Sie wird ihren Spaß haben. Aber Sie können sicher sein, dass sich meine Tochter an die Regeln hält, die in unserer Familie gelten.“
William schaute kurz auf. Hatte Pisuphan seinen skeptischen Blick bemerkt?
„Sie müssen wissen, dass Suwannee und ich aus dem gleichen Holz geschnitzt sind. Wenn meine Tochter, aus welchen Gründen auch immer, eine Zeitlang auf unsere täglichen Kontakte hätte verzichten wollen, würde ich es wissen“, fügte Pisuphan mit einer Intonation an, die jeden Zweifel an seiner Aussage im Keim erstickte.
„Sie glauben also, dass Suwannee etwas zugestoßen ist?“
„Welche andere Möglichkeit gibt es sonst?“
„Khun Arusa, haben Sie Feinde?“
„Selbstverständlich.“
Das Eingeständnis Pisuphans kam ohne Zögern und noch dazu in einer Art, als wären persönliche Feinde für ihn die natürlichste Sache der Welt.
„Mrs. Owens hat mir den Rat gegeben, Sie als eine Art unabhängigen Ermittler nach Deutschland zu schicken.“ Pisuphan schien ein wenig zu zögern, fuhr dann aber fort: „Ich verstehe natürlich, wenn Sie von mir engste Kooperation erwarten. Bitte wenden Sie sich trotzdem zunächst an Mrs. Owens, sollten Sie bei Ihren Nachforschungen auf Hinweise stoßen, aus denen sich eine Verbindung zu meinen geschäftlichen Aktivitäten schließen lässt. Mrs. Owens wird mich dann umgehend informieren und ich selbst liefere Ihnen dann, bei hinlänglichem Verdacht, Details.“
„Warum misstrauen Sie der deutschen Polizei?“, fragte William, dem die letzten Ausführungen Pisuphans ein wenig merkwürdig erschienen.
„Weil die Zeit drängt. Wir können uns kein umständliches bürokratisches Verfahren leisten, zu dem europäische und insbesondere deutsche Behörden neigen. Wie ich höre, sind in Deutschland außerdem nahezu sämtliche staatliche Institutionen, einschließlich der Polizei, mit der Bewältigung des Flüchtlingsansturms beschäftigt und vollkommen überlastet. Glauben Sie, dass unter diesen Umständen der Suche nach einer vermissten asiatischen Studentin Priorität eingeräumt wird? Verstehen Sie mich bitte, ich bin in Sorge um meine Tochter! Ich habe nur dieses eine Kind. Mr. LaRouche, nehmen Sie den Auftrag an!“
7
Das fünf Meter hohe Natursteingewölbe wurde nur von einer einsamen nackten Glühbirne beleuchtet, die ziemlich genau in der Mitte des quadratischen Raumes an einem Elektrokabel baumelte. Das Gebläse der Lüftung stieß in unregelmäßigen Intervallen Frischluft in das fensterlose Verlies und ließ dabei die Lichtquelle nervös hin und her tanzen.
In einer Ecke, unweit eines mobilen elektrischen Wärmelüfters, lag eine Matratze auf dem kalten Fliesenboden. Darauf stapelten sich ordentlich zusammengefaltete weiße Wolldecken und weiß bezogene Kissen. Der Heizlüfter war ausgeschaltet und klamme Kälte kroch in die Schlafunterlage.
Der Matratze gegenüber befand sich eine Duschkabine, links daneben eine Toilettenschüssel ohne Sichtschutz, rechts ein Waschbecken, darüber ein Spiegelschrank. Über einem Edelstahlrohr hingen fabrikneue weiße Frotteetücher in verschiedenen Größen. Auf einer Ablage standen ungeöffnete Produkte zur Körperpflege bereit: eine Zahnbürste, Zahnpasta, Duschcreme, ein Haarwaschmittel, eine Bodylotion. Schließlich gab es noch einen stabilen Metallstuhl ohne Armlehnen, dessen fröhliches, pinkfarbenes Polster das Sitzmöbel wie einen zufällig vorbeigekommenen Gast wirken ließ, dem das Motto der Veranstaltung nicht bekannt war.
Alles machte einen aufgeräumten, blitzsauberen Eindruck. Das dominierende Weiß wirkte allerdings bei längerer Betrachtung in seiner kalten Sterilität unheimlich und furchteinflößend. Diese Empfindung wurde von den klinisch weißen Wandkacheln und den glänzenden Bodenfliesen im selben Farbton verstärkt, die als Projektionsflächen für die Lichtspiele der dürftigen Beleuchtung dienten.
Auf der Matratze lag eine junge Frau, die sich schon eine Ewigkeit lang bemühte, ihre Umgebung zu vermessen. Man hatte sie wie ein Paket zusammengeschnürt. Die Arme waren verschränkt auf den Rücken gebunden, die Unterschenkel mit den Oberschenkeln verknotet. Ihr Mund verschloss ein Klebeband, dessen Verankerung im Nacken es ihr unmöglich machen sollte, die Knebelung zu entfernen.