BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder. Robert Mccammon
er das nicht an die Öffentlichkeit gelangen lassen will. Er meinte, es könnte ein Reißzahn sein oder es könnte eine Fälschung sein, aber es sei’s nicht wert, dass die Leute deswegen in Aufregung geraten.« Er nahm das durchbohrte Holzstück von meinem Vater wieder entgegen. »Ich sagte: Luther Swope, denken Sie nicht, dass die Leute ein echtes Beweisstück sehen wollen, dass es im Tecumseh River ein Monster gibt? Und er guckt mich mit seiner verdammten Pfeife im Mund an und sagt: Die Leute wissen das schon. Beweise würden ihnen bloß Angst einjagen. Und wenn es im Fluss ein Monster gibt, ist es unser Monster, und das wollen wir mit niemandem teilen. Und das war das Ende vom Lied.« Mr. Sculley hielt es mir hin. »Willst du’s mal anfassen, Cory? Bloß damit du sagen kannst, du hast es angefasst?«
Zögernd tat ich es mit dem Zeigefinger. Der Reißzahn war kühl, so, wie ich mir den schlammigen Grund des Flusses vorstellte.
Mr. Sculley stellte das Holzstück mit dem Zahn wieder nach oben auf die Ablage und schloss die Schranktür. Draußen prasselte der Regen härter, hämmerte auf das Metalldach. »Dass all das Wasser runterkommt«, meinte Mr. Sculley, »muss Old Moses äußerst glücklich machen.«
»Ich finde trotzdem, dass Sie das jemand anderes zeigen sollten«, sagte Dad. »Zum Beispiel jemandem von der Zeitung in Birmingham.«
»Würde ich ja, Tom, aber vielleicht hat Swope recht. Vielleicht ist Old Moses unser Monster. Vielleicht würden die Leute versuchen, ihn von uns wegzuholen, wenn alle Welt davon weiß – ihn mit einem Netz fangen und irgendwo wie einen zu groß geratenen Wels in ein großes Wasserbecken stecken.« Mr. Sculley runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Nee, das würde ich nicht wollen. Und die Lady auch nicht, nehme ich an. Die füttert ihn jeden Karfreitag, solange ich zurückdenken kann. Dieses Jahr war das erste, wo ihm sein Futter nicht gefallen hat.«
»Es hat ihm nicht gefallen?«, fragte Dad. »Was soll das heißen?«
»Haben Sie die Parade dieses Jahr nicht gesehen?« Mr. Sculley wartete auf Dads Verneinung und sprach dann weiter. »Das war das erste Jahr, in dem Old Moses der Brücke nicht einen mit seinem Schwanz versetzt hat, um Danke für das Futter zu sagen. Das geht immer ganz schnell und ist sofort wieder vorbei, aber wenn man das jedes Jahr hört, kennt man das Geräusch. Dieses Jahr ist’s nicht passiert.«
Ich erinnerte mich, wie besorgt die Lady an dem Tag ausgesehen hatte, als sie die Brücke verließ, und wie ernst die gesamte Prozession gewesen war, als sie nach Bruton zurückmarschierte. Das musste gewesen sein, weil die Lady Old Moses nicht mit dem Schwanz gegen die Brückenpfeiler klatschen gehört hatte. Aber was bedeutete dieser Mangel an Tischmanieren?
»Schwer zu sagen, was es bedeutet«, sagte Mr. Sculley, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Jedenfalls hat’s der Lady nicht gefallen.«
Draußen begann es dunkel zu werden. Dad sagte, dass wir uns jetzt besser auf den Weg nach Hause machen sollten, und bedankte sich bei Mr. Sculley dafür, dass er sich die Zeit genommen hatte, uns zu zeigen, wo das Fahrrad gelandet war. »Es ist nicht Ihre Schuld«, sagte Dad, als Mr. Sculley vor uns herhinkte, um uns nach draußen zu geleiten. »Sie haben nur Ihre Arbeit gemacht.«
»Ja. Ich hatte noch auf ein einziges Fahrrad gewartet. Wie gesagt, das Rad hätte man sowieso nicht mehr reparieren können.«
Das hätte ich meinem Vater auch sagen können. Ich hatte es ihm sogar gesagt, aber eine traurige Tatsache ist, dass Erwachsene einem Kind nur mit halbem Ohr zuhören.
»Ich hab von dem Auto im See gehört«, sagte Mr. Sculley, als wir uns der Tür näherten. In dem höhlenartigen Raum hallte seine Stimme wider. Ich spürte, wie mein Vater sich verspannte. »Eine schlimme Art für einen Mann zu sterben, ganz ohne ein christliches Begräbnis«, fuhr Mr. Sculley fort. »Sind bei Sheriff Amory irgendwelche Hinweise eingegangen?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Die Stimme meines Vaters zitterte leicht. Ich war mir sicher, dass er jeden Abend, wenn er ins Bett ging und die Augen zumachte, das versinkende Auto und die ans Lenkrad gekettete Leiche vor sich sah.
»Ich hab meine eigene Theorie, wer das war und wer ihn umgebracht hat«, ließ Mr. Sculley verlauten. Wir waren an der Tür angelangt, aber der Regen trommelte weiterhin hart auf die Berge aus alten toten Dingen. Das letzte bisschen Sonnenlicht sah grün aus. Mr. Sculley sah meinen Vater an und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Das war einer, der den Blaylock-Klan gegen sich aufgebracht hat. Der kann nicht von hier gewesen sein, weil alle anderen Leute, die bei Verstand sind, wissen, dass Wade, Bodean und Donny Blaylock mieser sind als ’n Nest von Klapperschlangen. Die haben hier doch überall im Wald ihre Destillierapparate versteckt. Und ihr Daddy Biggun, der könnte selbst dem Teufel neue Tricks beibringen. Ja, Sir, die Blaylocks sind schuld, dass der Typ da unten im See liegt. Darauf können Sie wetten.«
»Ich nehme an, dass der Sheriff diese Vermutung bereits gehabt hat.«
»Wahrscheinlich. Das Problem ist nur, dass niemand weiß, wo die Blaylocks sich verstecken. Ab und zu tauchen sie auf, haben irgendwas Mieses vor, aber sie in ihrem Schlangennest zu finden, ist ’ne andere Sache.« Mr. Sculley sah nach draußen. »So stark regnet’s nicht mehr. Ich nehme an, dass ihr zwei nichts dagegen habt, nass zu werden.«
Wir trotteten durch den Matsch auf Dads Pick-up zu. Als wir an dem Haufen Fahrräder vorbeikamen, betrachtete ich ihn noch mal und entdeckte etwas, das mir vorher nicht aufgefallen war: Geißblatt rankte sich durch das wirre Metall. Die kleinen, süß duftenden weißen Blüten wuchsen mitten im Rost.
Die Aufmerksamkeit meines Vaters wurde von etwas anderem erregt, das hinter den Rädern lag, etwas, das wir beim Herkommen nicht gesehen hatten. Er blieb stehen und starrte, und ich blieb ebenfalls stehen. Mr. Sculley, der vor uns hergehinkt war, merkte, dass wir nicht mehr folgten, und drehte sich um.
»Ich hatte mir Gedanken gemacht, wo sie’s wohl hingebracht hatten«, sagte Dad.
»Ja, das muss ich jetzt irgendwann mal wegbringen. Ich muss ja Platz für Neues machen, nicht?«
Es war eigentlich nicht viel zu sehen. Es war nur ein rostiger Klumpen zerdrückten Metalls, aber an manchen Stellen war noch die schwarze Farbe zu sehen. Die Windschutzscheibe fehlte, das Dach war plattgedrückt. Ein Teil der Kühlerhaube war aber noch erkennbar und darauf züngelten sich auflackierte Flammen.
Das hier hatte gelitten.
Dad wandte sich ab und ich folgte ihm zum Pick-up. Dicht auf seinen Fersen.
»Kommen Sie gern mal wieder vorbei!«, sagte Mr. Sculley. Die Jagdhunde bellten und Mrs. Sculley kam auf die Veranda heraus, diesmal ohne ihr Gewehr. Dad und ich fuhren auf der von Gespenstern heimgesuchten Straße nach Hause.
Old Moses kommt zu Besuch
Mom war ans Telefon gegangen, als es ungefähr eine Woche nach unserem Besuch bei Mr. Sculley abends nach zehn Uhr klingelte.
»Tom!«, sagte sie mit einem hektischen Ton in der Stimme. »J.T. sagt, dass der Damm am Lake Holman brechen wird! Sie trommeln alle am Gericht zusammen!«
»Oh Gott!« Dad sprang vom Sofa auf, wo er im Fernsehen die Nachrichten geschaut hatte, und zog sich Schuhe an. »Das gibt garantiert eine Flut! Cory!«, rief er. »Zieh dich an!«
Sein Ton verriet mir, dass ich mich besser schnell in Bewegung setzte. Ich legte die Geschichte weg, die ich über einen schwarzen Dragster mit einem Gespenst am Steuer zu schreiben versuchte, und sprang fast in meine Jeans. Wenn deine Eltern Angst haben, fängt dein Herz an, neunzig Meilen die Minute zu hämmern. Ich hatte Dad Flut sagen hören. Die letzte hatte es gegeben, als ich fünf war, und außer, dass die Schlangen aus dem Sumpf kamen, hatte sie nicht viel Schaden verursacht. Von dem, was ich über Zephyr gelesen hatte, wusste ich aber, dass der Fluss 1938 die Straßen mehr als einen Meter hoch überflutet hatte, und dass das Frühlingshochwasser 1930 einigen Häusern in Bruton fast bis an die Dachgiebel gestiegen war. Meine Stadt neigte dazu, äußerst nass zu werden, und mit all dem Regen, den wir und der Rest des Südens seit April bekommen hatten, war nicht abzuschätzen, was dieses Jahr passieren würde.
Lake