BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder. Robert Mccammon

BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder - Robert Mccammon


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wusste, wie er sich fühlte. Aus meinen Wespenstichen waren inzwischen rote Schwellungen geworden, aber Tag um Tag fiel weiterhin kein einziger Sonnenstrahl auf meine Heimatstadt. Nur der unaufhörliche Regen kam vom Himmel, und wenn ich nicht gerade Hausaufgaben machte, saß ich in meinem Zimmer und las zum wiederholten Male alte Ausgaben von Berühmte Monster und meine Comic-Hefte.

      Im Haus begann es nach Regen zu riechen, ein Geruch von feuchten Brettern und nassem Dreck, der aus dem Keller nach oben trieb. Der Platzregen verursachte die Streichung der Samstagsfilme im Lyric, denn das Kinodach hatte Löcher bekommen. Selbst die Luft fühlte sich schlüpfrig an wie grüner Schimmel, der auf feuchten Steinen entsteht. Eine Woche nach Ostern legte Dad beim Abendessen sein Messer und seine Gabel hin und starrte aus den nass beschlagenen Fenstern. »Wenn das nicht aufhört, werden wir uns Kiemen wachsen lassen müssen«, sagte er.

      Es hörte nicht auf. Wasser hing in der Luft. Die Wolken erstickten sämtliches Licht zu einem schummrigen, sumpfigen Nebel. Aus Gärten wurden Teiche und aus Straßen Bäche. Wir wurden früher aus der Schule entlassen, damit alle heil nach Hause kamen, und am Mittwochnachmittag um siebzehn Minuten vor drei gab mein altes Fahrrad den Geist auf.

      Eine Sekunde kämpfte ich mich noch damit ab, den Sturzbach der Deerman Street hochzufahren, in der nächsten sackte mein Vorderrad in einen Krater ein, wo der Asphalt gebrochen war. Der Aufschlag vibrierte durch den gesamten rostzerfressenen Rahmen. Mehrere Dinge passierten gleichzeitig: Der Lenker brach zusammen, die Speichen des Vorderrads knickten ein, der Rahmen gab an seinen alten müden Rissen nach und ich lag plötzlich auf dem Bauch im Wasser, das mir in die gelbe Regenjacke strömte. Wie betäubt lag ich da und versuchte zu begreifen, was mich vom Rad geworfen hatte. Dann setzte ich mich auf, wischte mir das Wasser aus den Augen und betrachtete mein Fahrrad. Und wusste, dass es tot war.

      Mein Rad, das schon ein langes Jungenleben hinter sich gehabt hatte, bevor es mir auf einem Flohmarkt in die Hände fiel, hatte kein Leben mehr in sich. Ich spürte es, als ich dort im Regen saß. Was es auch ist, das einem mit Menschenwerkzeug hergestellten Gerät eine Seele einhaucht, war zerbrochen und in den nassen Himmel entflohen. Der Rahmen war verbogen und gebrochen, der Lenker hing nur noch an einer Schraube, der Sitz war verdreht wie ein Kopf auf einem gebrochenen Hals. Die Kette war abgesprungen, die Vorderradfelge verbogen und die gebrochenen Speichen stachen in die Luft. Dieser Anblick der Verwüstung brachte mich fast zum Weinen, aber obwohl mir das Herz wehtat, wusste ich, dass weinen nicht helfen würde. Mein Fahrrad war verschlissen, es war ganz einfach am Ende seiner Tage angekommen. Ich war nicht der erste Besitzer, und vielleicht machte das auch etwas aus. Vielleicht verzehrt ein Fahrrad sich Jahr um Jahr nach den Händen, die es zuerst gelenkt haben, wenn es abgeschafft wird, und träumt auf seine Räderart von jungen Straßen, wenn es alt wird. In dem Fall hat es nie wirklich mir gehört; es ist mit mir gefahren, aber die Pedale und der Lenker erinnerten sich an einen anderen Besitzer. Vielleicht hatte es sich an dem verregneten Mittwoch umgebracht, weil es wusste, dass ich mich nach einem Rad sehnte, das nur für mich und keinen anderen gemacht worden war. Vielleicht. Das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich den Rest der Strecke zu Fuß nach Hause gehen musste und den Radkadaver nicht mitschleifen konnte.

      Ich zerrte mein Rad in einen Vorgarten von einem Haus, stellte es dort unter eine triefende Eiche und ging mit meinem durchweichten Rucksack auf dem Rücken und unter Wasser stehenden Schuhen weiter.

      Als mein Vater, der von der Molkerei schon zu Hause war, hörte, was mit dem Rad passiert war, nahm er mich im Pick-up mit, um den Kadaver in der Deerman Street abzuholen. »Das lässt sich reparieren«, sagte er. Die Scheibenwischer flitzten über die Windschutzscheibe. »Wir werden jemanden finden, der es wieder zusammenschweißen kann oder so. Das wird auf jeden Fall billiger als ein neues Fahrrad sein.«

      »Okay«, sagte ich, aber ich wusste, dass das Rad tot war. Egal, wie viel jemand daran schweißte – es würde sich nicht wiederbeleben lassen. »Das Vorderrad ist auch kaputt«, fügte ich hinzu, aber Dad konzentrierte sich aufs Fahren.

      Wir erreichten die Stelle, an der ich den Kadaver unter die Eiche gezerrt hatte. »Wo ist es?«, fragte Dad. »War das hier?«

      Das war es, obwohl der Kadaver nicht mehr da war. Dad hielt an, stieg aus und klopfte an die Tür des Hauses, vor dem wir geparkt waren. Ich sah, wie die Tür geöffnet wurde. Eine weißhaarige Frau spähte heraus. Sie redete vielleicht eine Minute lang mit Dad, und ich sah, wie sie die Straße hochzeigte. Dann kam mein Dad mit triefender Baseballkappe zurück, die Schultern in seiner Milchmannjacke hochgezogen. Er rutschte hinters Lenkrad, machte die Tür zu und sagte: »Also, sie war rausgegangen, um ihre Post zu holen, und als sie das Fahrrad unter ihrem Baum liegen sah, hat sie Mr. Sculley angerufen.« Mr. Emmett Sculley war der Schrotthändler von Zephyr, der einen hellgrünen Lastwagen mit der roten Aufschrift SCULLEYS ANTIQUITÄTEN sowie einer Telefonnummer auf den Seiten fuhr. Mein Dad startete den Motor und sah mich an. Ich kannte diesen Blick; er war hart und wütend und ich konnte eine bittere Zukunft darin lesen. »Warum bist du nicht an ihre Tür gegangen und hast gesagt, dass du dein Fahrrad holen kommst? Ist dir das nicht in den Sinn gekommen?«

      »Nein, Sir«, musste ich zugeben. »Ist es nicht.«

      Mein Dad fuhr vom Kantstein weg und wir waren wieder unterwegs. Nicht auf dem Weg nach Hause, sondern in Richtung Westen. Ich wusste, wohin wir fuhren. Mr. Sculleys Schrottplatz befand sich im Westen hinter dem bewaldeten Stadtrand. Unterwegs musste ich mir den Vortrag meines Vaters anhören, den, der so begann: »Als ich so alt war wie du, musste ich zu Fuß gehen, wenn ich irgendwo hinwollte. Ich wünschte, ich hätte damals ein Rad gehabt, selbst wenn es gebraucht gewesen wäre. Mensch, wenn meine Freunde und ich mal zwei oder drei Meilen weit laufen mussten, haben wir da gar nicht weiter drüber nachgedacht. Und das hat uns auch gesund gehalten. Ob die Sonne schien, Sturm war oder es regnete – egal. Wir sind da, wo wir hinwollten, auf unseren eigenen zwei Beinen …« Und so weiter. Ihr kennt den Vortrag, den ich meine – den Lobgesang einer anderen Generation auf ihre Kindheit.

      Wir ließen die Stadtgrenze hinter uns zurück und die regenglänzende Straße wand sich durch den nassen Wald. Es regnete immer noch. Nebelfetzen hingen an den Baumspitzen fest und trieben über die Straße. Dad musste langsam fahren, denn die Straße war hier selbst bei trockenem Wetter gefährlich. Mein Dad ließ sich immer noch über die zweifelhafte Freude aus, kein Fahrrad zu haben, und ich begann zu erkennen, dass es seine Art war mir zu sagen, ich sollte mich besser daran gewöhnen, falls mein Rad sich nicht reparieren ließ. Donner hallte von den diesigen Hügeln wider. Die vereinsamte Straße krümmte sich unter unseren Reifen wie ein Wildpferd, das gegen einen Sattel ankämpft. Ich weiß nicht, warum ich mich in diesem Moment umdrehte und einen Blick nach hinten warf, aber ich tat es.

      Und ich sah das Auto, das mit hoher Geschwindigkeit hinter uns herfuhr.

      Mir stellten sich die Nackenhaare auf und die Haut darunter prickelte, als würden Ameisen darüber laufen. Das Auto war ein schwarzer, tiefer gelegter, gemein aussehender Panther mit glänzenden Chromezähnen, und es raste durch die lange Kurve, die mein Vater gerade mit einer nervösen Zusammenarbeit von Bremse und Gaspedal bewältigt hatte. Unser Motor stotterte, aber ich konnte kein Geräusch von dem Auto hören, das uns immer näher kam. Hinter dem Lenkrad konnte ich eine Gestalt mit bleichem Gesicht erkennen. Ich sah rote und orangefarbene Flammen, die auf die schwarze Kühlerhaube lackiert waren. Und dann saß uns das Auto praktisch auf der Stoßstange und machte weder Anstalten, langsamer zu werden, noch uns zu überholen. Ich warf einen Blick auf meinen Vater und schrie: »Dad!«

      Er zuckte zusammen und riss am Lenkrad. Die Reifen unseres Pick-ups schlitterten nach links über den verblassten Mittelstreifen und mein Vater kämpfte darum, dass wir nicht im Wald landeten. Dann fanden die Reifen wieder Halt, unser Auto richtete sich geradeaus, und Dad loderten Flammen in den Augen, als er mir das Gesicht zudrehte. »Bist du verrückt?«, fuhr er mich an. »Willst du uns umbringen?«

      Ich sah nach hinten.

      Das schwarze Auto war nicht mehr da.

      Es hatte uns nicht überholt. Es war nirgendwo abgebogen. Es war einfach weg.

      »Ich hab … ich hab …«

      »Was hast du? Wo?«, verlangte er.

      »Ich


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