Wyatt Earp Staffel 9 – Western. William Mark D.
endlich da?« kam es heiser und stoßweise aus seiner Kehle.
»Ja, ich bin da!«
Jonny Tancred ahnte ja nicht, daß der Kranke ihn für den Tod hielt – der er ja vielleicht auch für ihn war.
»Bist du da…? Es wurde Zeit… Dreiundneunzig ist zuviel…, weißt du…, viel zuviel…«
Da sank dem Ohioman die Waffe hinunter, ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken.
Der Alte war da, krank, und dreiundneunzig Jahre war er alt!
Dreiundneunzig! Genauso alt wie der Großvater in Cincinatti war, als er in einer Winternacht unten am Fluß stürzte und sich das Genick brach.
Tancred schluckte. Aus schmerzenden Augen starrte er auf den gebeugten Rücken des alten Mannes.
»Mister…, ich habe Durst«, kam es da fast tonlos von den Lippen.
Der alte Swanwick hob langsam den Kopf und lauschte dem Klang dieser Stimme nach.
Durst? Dieses Wort riß ihn aus der Entlegenheit seiner Gedanken, aus seiner Apathie heraus.
Der Tod hatte doch wohl kaum Durst!
Da wandte er den Kopf – erschrocken fuhren seine Hände zum Hals.
»Nein! Nicht… so! Bitte…, ich will ja sterben! Aber nicht von einer Kugel…«
Tancred stürzte auf ihn zu, kniete neben seinem Stuhl nieder und umspannte seine Handgelenke mit eisernem Griff.
Vint Swanwick blickte in ein verzerrtes, wildes, zuckendes Gesicht, sah in zwei flimmernde Augen.
War es ein Wahnsinniger, der da eingedrungen war?
»Mister… Durst! Ich habe Durst! Ich habe Hunger! Ich bin auf der Flucht! Ein Mörder…«
Der Greis hatte den Mund offenstehen und die Augen weit aufgerissen.
»Ein… Mörder!« stieß er krächzend hervor.
»Durst! So verstehen Sie doch! Ich werde verfolgt! Wyatt Earp ist hinter mir her… Wyatt Earp…«
Da zuckte der Alte zurück, riß seine Arme aus den Händen des Flüchtlings.
Langsam erhob er sich. »Wyatt Earp ist hinter dir her?«
»Ja!«
»Dann bist du verloren«, sagte er mit plötzlicher Gelassenheit. »Dann bist du schon verloren, Mann. Dann ist es völlig einerlei, ob du hier noch Tee oder Brot bekommst… Er wird dich finden.«
Tancred hatte die Schwächeanwandlung abgeschüttelt.
Er sprang hoch und stieß den Revolver vor. Der Hahn knackte.
»Ich habe Durst, Alter, Durst und Hunger!«
Swanwick hatte seine Schmerzen vergessen.
Er blickte ruhig auf den Eindringling und nickte dann.
»Well, komm mit, wir gehen in die Küche.«
Er wandte sich um und ging auf die Tür zu.
Da spürte er die Revolvermündung hart in seinem Rücken und verhielt den Schritt.
»Keinen Laut, Alter, sonst stirbst du – wie die beiden anderen. Auch sie…, auch sie starben, weil sie mich sonst verraten hätten. Der Junge…«
Seine Stimme brach ab. Und jetzt saß ihm der Weinkrampf so übermächtig in der Kehle, daß er ihn nicht mehr bezwingen konnte.
Völlig zusammengebrochen torkelte er gegen den Stuhl, fiel darauf nieder und preßte die Fäuste, in der Rechten immer noch den Colt, gegen den schmerzenden Schädel.
Der Alte stand in der Tür und blickte verwundert auf ihn nieder.
Dann endlich, nach langen, endlosen Sekunden fragte er: »Du hast ein Kind getötet?«
Tancreds Kopf flog hoch. In seinen Augen wetterleuchtete es. Er stieß den Revolver hoch.
»Ja, ich habe den Jungen getötet! Aber ich wußte nicht, daß es ein Kind war, als ich in den Stall kam. Es war dunkel…«
»Und du wolltest ein Pferd stehlen.«
Diese selbstverständlich hervorgebrachten Worte des Greises ließen Tancred verstummen. Langsam stand er auf.
»Was wissen Sie?« keuchte er.
»Nichts. Ich kann es mir nur denken. Komm, jetzt gehen wir in die Küche.«
Ohne sich noch einmal umzuwenden, trottete der Alte in die Küche und machte sich daran, den Tee zuzubereiten.
Nach einer Stunde verließ der Mörder das Haus des steinalten Mannes. Er hatte getrunken und gegessen, und Brot, Käse, Dörrfleisch und Salz hatte ihm Swanwick gegeben.
An der Hoftür sagte er, als er einen kleinen Hafersack vor den Ohioman hinstellte:
»Du machst es falsch, es ist umsonst.«
Tancred krächzte: »Ersparen Sie sich Ihre Ratschläge, Alter! Ich weiß, was ich zu tun habe.«
»Das weißt du eben nicht. Du steigst jetzt auf deinen Gaul und reitest weiter. Nach spätestens drei Tagen wirst du wieder am Ende sein, wieder todesmatt und niedergeschlagen irgendwo eindringen, wo du vielleicht keinen Mann wie mich findest, der den Tod nicht fürchtet. Und vielleicht wirst du wieder töten. Immer schwerer wird die Last, die du dir aufbürdest.«
Tancred stierte ihn an. Plötzlich schrie er unbeherrscht: »Was soll ich denn tun?«
»Bleib hier, bis er kommt. Wenn er schon in Imperial war, werden wir nicht lange auf ihn zu warten brauchen.«
»Sind Sie verrückt? Er schießt mich nieder wie einen tollwütigen Hund!«
»Der Marshal Earp? Du hast eine schlechte Meinung von ihm; ich kann sie nicht teilen, Ohioman.«
Tancreds Kopf sank auf die Brust nieder. »Ich soll… auf ihn warten?« stammelte er.
Der Alte, der Schlimmeres, als schon geschehen war, verhüten wollte, redete weiter auf ihn ein:
»Du wirst einen Familienvater ermorden, hast dir damit vielfache Last aufgebürdet, die dich noch tiefer in den Morast ziehen wird! Du bist kein Mensch, der es leicht tragen kann, du hast noch ein Gewissen, Junge! Bleib hier. Warte auf ihn. Ich gehe ihm entgegen und spreche mit ihm.«
»Und was versprechen Sie sich davon, he?« keuchte der Horseman.
»Vielleicht ist es die einzige Chance für dich. Du wirst ihm sagen, was du mir vorhin gesagt hast. Wie du in diese fürchterliche Tat hineingestolpert bist…«
Tancred lachte rauh auf. »Sie sind schon nicht mehr ganz auf dieser rauhen Erde, Alter. Wyatt Earp ist ein junger Mann, kein Greis, dem Tode nahe. Er wird den Colt ziehen und mich niederstrecken, wie ich zwei andere Menschen niedergestreckt habe. Das ist sein Recht – und sogar seine Pflicht.«
»Du irrst, Ohioman. Ich habe viel von ihm gehört. Er ist ein gerechter Mann! Und wenn einer unter den großen Sternträgern gut ist, dann er! Ich weiß es.«
»Unsinn!« knurrte Tancred. »Das sind doch Wünsche, Kindermärchen, Hoffnungen, die sich nie erfüllen können. Der Marshal ist mir nicht gefolgt, um sich mein Elend anzuhören. Um zu erfahren, daß mich der alte Bursche im Zug von St. Louis eigentlich auf diesen Weg gestoßen hat. Daß ich schuldlos in Fort Scott verurteilt worden bin, daß ich ein Pferd brauchte…, ein Kind töten mußte…« Jäh brach er ab, ging zu seinem Pferd, stieg auf und sprengte aus dem Hof.
Der Greis schloß die Tür und ging in die Stube zurück.
Das Licht stellte er ganz dicht ans Fenster, so daß man es weithin durch die Nacht nach Osten sehen konnte.
Und im Osten lag Imperial…
*
Früh am nächsten Morgen waren der Marshal und Doc Holliday