Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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      Sehr geehrter Herr Campen, als frühere Freundin Ihrer verstorbenen Frau nehme ich mir die Freiheit, Sie auf einige Missstände aufmerksam zu machen, die Rubinchens Entwicklung gefährden könnten.

      Lieber Gott, klang das altbacken!

      Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr an die Freundin seiner Frau erinnern. Wahrscheinlich war diese vom gleichen Schrot und Korn wie Lilo.

      Jan las weiter. Nun klangen die Worte eindringlicher.

      Rubinchen wird von Ihrer Schwägerin zum Eislaufstar getrimmt. Das Kind hat keinerlei Freiheiten und darf mit niemandem reden. Seit Kurzem mischt sich bereits der Manager einer Eisrevue ein, und wenn Sie nicht schnellstens etwas unternehmen, weiß ich nicht, wie ich, die von Lilo als Feindin betrachtet wird, etwas tun könnte, um noch größeres Unheil abzuwenden. Rubinchen kann das weder körperlich noch seelisch durchstehen. Bitte, setzen Sie sich umgehend mit Ihrer Schwägerin in Verbindung.

      Nanette von Willbrecht.

      Yasmin kam aus dem Büro.

      »Wo steckst du denn, Jan?«, fragte sie. »Das Gespräch wird bald kommen.«

      »Mach es rückgängig. Ruf diese Nummer an. Ich muss diese Nanette schleunigst sprechen.«

      Er gab Yasmin den Brief, auf dem Adresse und Telefonnummer vermerkt waren, und ging mit erregten Schritten in seinem Büro hin und her.

      Yasmin wählte wieder das Fernamt und gab den neuen Auftrag. Dabei las sie den Brief, und ihre Augen verengten sich.

      »Scheint eine recht geltungsbedürftige Person zu sein«, sagte sie über die verdeckte Sprechmuschel hinweg zu Jan. »Wahrscheinlich auch neidisch. Sei doch froh, dass du ein so talentiertes Kind hast. Wer weiß, ob da nicht eine Intrige dahintersteckt.« Sie lauschte wieder in den Hörer. »Ja, ein Blitzgespräch«, sagte sie. »Wir warten.«

      »Ich kann das alles nicht begreifen«, sagte Jan. »Es war doch nie die Rede davon, dass Lilo das Kind trainiert. Sie hat mir nichts davon geschrieben. Natürlich ist Rubinchen viel zu zart. Deswegen habe ich sie auch nicht hierhergebracht.«

      »Nanette von Willbrecht – wahrscheinlich eine adlige alte Tante, die nichts zu tun hat, als anderen Leuten auf die Finger zu schauen«, sagte Yasmin verächtlich. »Miss dem doch nicht so viel Bedeutung bei, Jan. Ich hasse es, wenn andere Leute sich in meine Angelegenheiten mischen.«

      Er mochte das auch nicht, aber es ging um Rubinchen, und er zwang sich dazu, sich an Nanette von Willbrecht zu erinnern. Zuerst kam ihm die Erleuchtung, dass Lilo einmal so gut wie verlobt mit einem Hasso von Willbrecht gewesen war, und hatte diese Nanette damals nicht gerade ihren Freund verloren, als er und Ruth heirateten? Ja, jetzt wusste er es wieder ganz genau. Sie war deshalb nicht zur Hochzeit bekommen, und Ruth hatte das sehr bedauert. Später hatte er sie dann kennengelernt, flüchtig nur. Ein stilles blasses Mädchen mit traurigen Augen. Wahrscheinlich hatte sie sich in ihren Kummer vergraben und machte nun auch bei anderen aus Kleinigkeiten gleich Affären.

      Das Telefon klingelte und riss ihn in die Gegenwart zurück. Schnell nahm er Yasmin den Hörer aus der Hand.

      »Hier spricht Campen – Campen, Ankara. Fräulein von Willbrecht bitte.« Da hatte sich erst eine Frau von Schoenecker gemeldet, doch nun tönte eine andere Stimme an sein Ohr, weich und anscheinend recht verwirrt. Aber die Verbindung war glänzend, als wäre sie nur ein paar Häuser weiter.

      »Bitte, sprechen Sie ausführlich. Es ist gleich, was mich das Gespräch kostet. Darum brauchen Sie sich nicht auch noch Gedanken zu machen. Mich interessiert einzig und allein meine Tochter.«

      Sehr höflich war das nicht, aber darüber machte er sich wirklich keine Gedanken. Mehr darüber, dass ihn die sanfte Mädchenstimme so faszinierte, dass er völlig in ihren Bann geschlagen wurde.

      Nanni hatte sich durch seinen barschen Ton nicht täuschen lassen. Im Gegenteil, sie wurde viel selbstsicherer. Ihr war es nur recht, wenn sie alles ausführlich erzählen konnte, denn kurz zuvor hatte sie eine zweite, heftige Auseinandersetzung mit Lilo gehabt, die sich sehr dreist aufgeführt hatte.

      Endlich – Yasmin konnte es schon gar nicht mehr erwarten – sagte Jan: »Ich komme am Samstag nach Deutschland und werde am späten Nachmittag dort sein, um die Angelegenheit an Ort und Stelle zu klären.«

      »Was hat sie darauf gesagt?«, fragte Yasmin neugierig. Sinnend blickte Jan vor sich hin. »Rubinchen wird glücklich sein«, hatte Nanni gesagt, und wie sie es sagte, hatte ihn tief beeindruckt. Ein langer Draht, an jedem Ende ein dem anderen fremder Mensch, und doch konnte er sich nicht erinnern, sich jemals einem anderen Menschen so eng verbunden gefühlt zu haben.

      »Rubinchen ist nachts weggelaufen und im Schnee bewusstlos geworden«, berichtete er mit heiserer Stimme. »Der Hund von Fräulein von Willbrecht hat sie gefunden.«

      »Wie dumm von dem Kind, nachts wegzulaufen«, fiel Yasmin ihm ungehalten ins Wort. »Das klingt mir ein bisschen zu sehr nach Kriminalroman. Hatte diese besagte Nanette es früher vielleicht auf dich abgesehen, Jan?«

      »Was du denkst!«, sagte er ärgerlich. »Es geht um Rubinchen, begreifst du das noch immer nicht?«

      »O doch, ich begreife, dass ich eine untergeordnete Rolle in deinem Leben spiele, mon cher«, sagte Yasmin anzüglich.

      »Himmel, diese Frauen! Eine wie die andere«, brach es aus ihm heraus. »Ich habe ein Kind, das ich liebe. Das wusstest du von Anfang an. Ich glaubte, dass du auch Verständnis für dieses Kind aufbringen würdest, Yasmin.«

      »Himmel, diese Männer, dass sie nicht begreifen, dass eine verliebte Frau in dem Mann ihres Herzens Nummer eins sieht«, sagte Yasmin und fiel ihm um den Hals. »Sei doch nicht böse, Jan. Du warst doch überzeugt, dass Rubinchen bei Lilo gut aufgehoben ist. Es will mir nicht in den Sinn, dass sich daran etwas geändert hat.«

      »Ich dachte, sie hätte sich geändert«, bemerkte er deprimiert. »Es war mein Fehler. Wir müssen wirklich so schnell wie möglich heiraten, damit das Kind wieder ein richtiges Zuhause bekommt und die Liebe, die es braucht. Sie braucht sehr viel Liebe.«

      Doch während er Yasmin küsste, dachte er, dass dort in Deutschland eine junge Frau war, die Rubinchen liebte und sich um sie sorgte, die sich ihretwegen sogar mit Lilo anlegte – und das wollte schon etwas bedeuten.

      *

      Wutentbrannt war Lilo zum Hotel gefahren. Sie musste Gordon Miles unbedingt sprechen. Gestern war es ihr nicht mehr gelungen. Doch diesmal traf sie ihn in der Halle, und es sah so aus, als wolle er abreisen. Er hatte bereits seinen extravaganten Ledermantel an.

      »Gordon«, rief sie. Er drehte sich um und blickte mürrisch drein. Einen Schritt trat er auf sie zu. »Wozu so viel Aufheben?«, fragte er ironisch.

      »Ich muss dich sprechen, Gordon. Hast du denn schon alles vergessen?«

      »Gab es etwas Wichtiges, was ich nicht vergessen dürfte?«, fragte er zynisch.

      »Die Reise – du hast uns doch die Reise versprochen, Gordon!«

      »Ich habe gar nichts versprochen. Ich wollte einen Vertrag, der leider bis heute nicht unterzeichnet wurde. Ich wollte einem talentierten Kind den Weg zu einer glänzenden Karriere ebnen, doch leider ist dieses Kind erkrankt und befindet sich in einer Obhut, die einer Festung gleicht. Du hast augenblicklich nichts zu vermelden. Der Nachrichtendienst funktioniert hier erstklassig, liebe Lilo. Sagen wir, es wär’ so schön gewesen, es hat nicht sollen sein. Ich kann keine Zeit mehr vergeuden. Jane, bist du fertig?«

      Jane kam die Treppe heruntergetänzelt, schick, hübsch, ganz die große Dame. Das war das Schlimmste für Lilo. Alle ihre Träume zerstoben in ein Nichts. Sie spürte die spöttischen Blicke, die ihr folgten, wie Nadelstiche.

      Sie hatte wieder einmal den Kürzeren gezogen, wieder einmal verspielt und eine Niederlage einstecken müssen. Warum nur erging das ausgerechnet immer ihr so?

      Dass sie selbst Schuld daran tragen könnte, wurde ihr nicht bewusst. Sie zog sich für diesen Tag in ihre Wohnung zurück


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