Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Lebensmitteln, die sie im Eisschrank fand, ein gutes Abendessen zu.
Renate hatte sich inzwischen umgezogen und trug nun Jeans wie die Kinder. Das Haar hatte sie im Nacken mit einer Spange zusammengefasst. Der Kragen der hellgrünen Bluse schmiegte sich weich an ihren schlanken Hals. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ihre Augen leuchteten vor Eifer.
Roy, der unbemerkt von den dreien heimgekommen war, stand mit fassungslosem Staunen unter der Küchentür. Jeremy entdeckte ihn zuerst. »Daddy! Daddy! Ich bin wieder da!«, rief er. »Tante Renate hat mich hergebracht!«
»Mein Junge!« Roy hob seinen Sohn hoch und gab ihm einen Kuss. Dann suchte sein Blick Renate.
Renate stand mit einem Teller in der Hand stumm da und erwiderte seinen Blick. Wenn sie bis zu diesem Augenblick noch unsicher gewesen war, ob sie das Richtige getan hatte mit ihrer impulsiven Entscheidung, Daisys Wunsch zu erfüllen, jetzt zweifelte sie nicht mehr daran.
»Herzlich willkommen«, sagte Roy. Er stellte Jeremy wieder auf seine Beine und streckte Renate die Hand hin. »Ich bin sehr froh, dass Sie Jeremy heimgebracht haben, Renate. Ich danke Ihnen. Und ich bin auch sehr froh, dass Sie da sind«, fügte er kaum verständlich hinzu.
»Daddy, Tante Renate hat gekocht!«, rief Daisy. »Nicht wahr, jetzt riecht es bei uns in der Küche wieder viel besser? Aber sie hat gesagt, dass auch ihr manchmal Pannen im Haushalt passieren, weil … ja, weil ich doch die schönen Glasteller zerschlagen habe. Die von Mummy.«
»Mach dir deshalb keine Gedanken, Daisy. Wir kaufen neue.«
Roy war außer Rand und Band vor Freude über Renates Anwesenheit, und Renate fühlte sich so glücklich wie noch nie, als sie seine Blicke sah. Sie war stumm vor Glück. Dafür redeten Daisy und Jeremy umso mehr.
»Daddy, wir haben auch die Betten frisch bezogen«, erzählte Daisy. »Auch das Bett im Besuchszimmer. Nicht wahr, Tante Renate, du bleibst hier? Daddy, ich habe nämlich an Tante Renate einen langen Brief geschrieben und sie gebeten, zu uns zu kommen. Auch wegen Jeremy, weil ich doch so große Sehnsucht nach ihm hatte. Und …«
»Jeremy schläft«, sagte Renate leise und deutete auf den Jungen, der auf der Fensterbank lag. »Der Tag war ziemlich anstrengend für den kleinen Kerl.«
»Ich trage ihn nach oben«, raunte Roy ihr zu. Fast schämte er sich ein wenig, weil er so unverschämt glücklich war. Er hatte Mary doch innig geliebt. Aber dann sagte er sich, dass das Leben weiterging, dass die täglichen Arbeiten gemacht werden mussten. Er hatte Mary zwar mitunter bei schwereren Hausarbeiten geholfen, aber mit den Finessen eines Haushaltes war er nicht vertraut. Und Daisy war viel zu klein, um mit allem fertig zu werden.
Als Renate den Jungen auszog und ins Bett legte, schlug er für einen Augenblick die Augen auf und flüsterte: »Mutti, ich habe dich lieb.« Er hatte diese Worte auf deutsch gesagt.
»Ich habe dich auch lieb, mein Liebling«, erwiderte Renate und deckte ihn liebevoll zu. »Schlaf gut, mein Junge.«
Roy hatte die beiden mit einem zufriedenen Lächeln beobachtet, während Daisys Augen immer größer geworden waren. So etwas wie Eifersucht nagte an ihrem Herzen. Es quälte sie auch, dass sie weder Jeremy noch Tante Renate verstanden hatte. Still wandte sie sich um und lief nach unten. Tommy folgte ihr.
Renate war die Reaktion des Kindes nicht entgangen. »Ich glaube, Daisy braucht mich«, raunte sie Roy zu und suchte nach dem Kind.
Daisy saß im dunklen Wohnzimmer und weinte leise. Tommy hatte seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt und sah sie tieftraurig an.
Renate setzte sich neben Daisy aufs Sofa und nahm das weinende Kind in ihre Arme. »Wein nur, kleine Daisy«, sagte sie weich. »Weinen tut gut. Es erleichtert das Herz.«
Daisy schluchzte lauter. Renate wiegte sie zärtlich in ihren Armen hin und her. Endlich verebbte Daisys Kummer. Sie wischte sich über die Augen und fragte: »Darf ich dich auch einmal so umarmen wie vorhin Jeremy?«
»Aber ja, mein Kleines.«
Daisy schmiegte sich selig an Renate. »Nicht wahr, du bist mir nicht mehr böse, weil ich nicht lieb zu dir war?«
»Ich war dir niemals böse.«
»Bitte, bleibe bei uns. Wie hat Jeremy zu dir gesagt?«
»Mutti.«
»Mutti? Was heißt das denn?«
»Mutti heißt in eurer Sprache mother oder mummy.«
»Mutti klingt lieb. Darf ich auch Mutti zu dir sagen?«
Renate befand sich in einer Zwickmühle. Griff sie dem Schicksal nicht vor, wenn sie Daisy diese Bitte erfüllte? Sie hob den Kopf und erblickte im Türrahmen Roy. Seine Silhouette zeichnete sich gegen das helle Rechteck ab. Dann sah sie, dass er ihr zunickte. Demnach hatte er die Worte seiner Tochter gehört.
»Ja, Daisy, nenne mich Mutti«, erwiderte Renate. Dabei bekam sie heftiges Herzklopfen.
»Mutti«, sagte das Kind leise. »Mutti«, wiederholte es dann. »Und was hat Jeremy noch gesagt, Mutti?«
»Ich habe dich lieb.« Wieder hatte Renate in ihrer Muttersprache gesprochen.
»Ich … habe dich lieb«, wiederholte Daisy. »Was heißt das, Mutti?«
»I love you«, erwiderte Renate.
»Ich habe dich auch lieb«, gestand Daisy ein wenig verlegen und barg ihren Kopf in ihrem Schoß.
Renate strich ihr über das blonde Haar. Ihr Blick suchte Roy, der noch immer unter der Tür stand. Sein Gesicht lag im Schatten, sodass sie den Ausdruck darin nicht erkennen konnte, aber sie spürte seine Erregung fast körperlich.
»Ich glaube, Daisy sollte schlafen gehen«, sagte er und knipste das Licht an.
»Ja, Daddy. Nicht wahr, du erlaubst doch, dass Mutti – so nenne ich Tante Renate jetzt – bei uns bleibt!«
»Warum sollte ich es nicht erlauben, Daisy? Aber darin hat sie das letzte Wort.«
»Sie will bestimmt bei uns bleiben.« Daisy sah Renate zuversichtlich an.
Renate brachte Daisy noch in ihre Kammer. Sie wartete, bis das Mädchen im Bett lag, und gab ihm dann einen Gutenacht-Kuss.
»Es ist fast genauso wie damals, als Mummy noch lebte«, sagte Daisy leise und umschlang noch einmal Renates Hals. »Sie wird bestimmt nicht traurig sein, wenn ich dich Mutti nenne. Weil sie doch unsere Mummy war.«
»Sie ist bestimmt nicht traurig, kleine Daisy.«
Als Renate die Treppe hinunterstieg, wurde sie von Roy unten erwartet. Das plötzliche Alleinsein mit ihm ließ sie schrecklich unsicher werden. Aber auch er schien so verlegen wie ein kleiner Junge zu sein.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Daisy Ihnen geschrieben hat, Renate«, sagte Roy. »Wollen wir noch ein bisschen hinausgehen? In solchen sternenhellen Nächten sitze ich gern auf der Bank unter unserer alten Eiche. Sie steht schon über dreihundert Jahre an diesem Platz. Ein Urahne meiner verstorbenen Frau hat sie gepflanzt.«
Renate erkannte in diesem Augenblick, dass Marys Schatten wohl immer zwischen ihnen stehen würde. Aber es störte sie nicht. Sie setzte sich neben Roy auf die Holzbank und sagte: »Ihr Land ist wunderschön.«
»Ja, ich liebe seine Weite. Morgen zeige ich Ihnen das Meer. Was hat Daisy Ihnen denn geschrieben, Renate?«
»Ich gebe Ihnen nachher den Brief«, versprach sie. »Jedenfalls hat sie sich sehr einsam gefühlt.«
»Ich weiß, aber ich bin in manchen Dingen recht ungeschickt. Dazu gehört wohl auch, dass ich viel zu wenig Geduld mit Daisy gehabt habe. Als meine Frau noch lebte, gab es keine Probleme dieser Art.«
»Daisy ist ein empfindsames kleines Mädchen, Roy. Jedes Kind ist wie ein Bäumchen, das den Stürmen des Lebens noch nicht gewachsen ist. Man muss so ein Bäumchen oft abstützen, wenn es gerade wachsen soll.«
»Das haben Sie