DIE SIEBTE SÄULE (Project 3). Alex Lukeman
ein Falke, ein Verfechter von harten Sanktionen gegen den Iran, und wenn nötig, auch für einen Einsatz des Militärs gegen das Regime in Teheran. Das Einzige, was hätte schlimmer sein können, wäre ein Anschlag auf die Königin selbst gewesen. Sir Edward war eine sehr bekannte und kontroverse Persönlichkeit gewesen, ein möglicher Nachfolger für den Mann in 10 Downing Street. Stephanie kam in sein Büro.
»Ich wette zehn zu eins, dass wir noch vor Mittag einen Anruf von Rice bekommen.«
James Rice war der Präsident der Vereinigten Staaten. Die Wahlen standen vor der Tür. Es war noch nicht einmal Weihnachten, aber die politische Rhetorik bekam bereits harte Untertöne.
»Ich nehme keine Wetten an, Steph. Außerdem ist es ein Problem der Briten. Der MI-5 ist ziemlich gut.«
»Nicht gut genug, um seinen Tod zu verhindern.«
»Warum lief er überhaupt draußen im Nebel herum?«
»Sir Edward liebte seine Abendspaziergänge.«
»Hat niemand etwas mitgekriegt?«
»Warst du schon mal im dicken Londoner Nebel?« Stephanie setzte sich in einen der braunen Ledersessel. »Schon zwei Blocks entfernt würdest du nicht mehr hören, dass eine Bombe hochgeht. Außerdem hat der Mörder ein Messer benutzt. Machte keinen Lärm. Schaltete gleichzeitig zwei Agenten vom MI-5 aus.«
»Ein Profi.«
»Genau. Rein, raus, ein Attentat, schnell und schmutzig.«
»Weiß jemand, wer dahinterstecken könnte? Hat sich jemand zu dem Attentat bekannt?«
»Ja und nein.« Steph war Mitte dreißig. Das dunkle Haar reichte ihr bis zu den Schultern. Sie bevorzugte große Goldohrringe und trug ein goldenes Armband um ihr linkes Handgelenk. Sie hatte volle Lippen, breite Wangenknochen und dunkle Schatten unter dunklen Augen. Wenn man sie ansah, dachte man unweigerlich an Kakao und Kekse und an ein warmes Bett in einer kalten Nacht. Man hätte meinen können, dass sie mehrmals die Woche mit einer Familienkutsche zum nächsten Spielplatz fuhr. Aber da läge man falsch. Auf dem Schießstand setzte sie auf dreißig Meter alle dreizehn Schuss ins Schwarze, in unter dreißig Sekunden. Sie war ein Genie am Computer und konnte jede Firewall der Welt hacken. Sie war verheiratet gewesen und mittlerweile geschieden. Sie lebte allein in ihrem Washingtoner Apartment. Gemeinsam mit Nick leitete Stephanie eine der geheimsten Anti-Terror-Einheiten der Welt. Carter hatte keine Ahnung, was sie so trieb, wenn sie nach Hause ging. Aber das musste er auch nicht. Er vertraute ihr, das war genug.
Carter starrte auf das Bild des Toten und fühlte Ärger auf sich zukommen. Er nahm ein weiteres Foto aus dem Stapel, auf dem etwas mit einer ungewöhnlichen Inschrift zu sehen war. »Was ist das?«
»Der Mörder hinterließ es bei dem Toten.«
»Eine Nachricht?«
»Scheint so.«
»Irgendein Schriftzug. Selena sollte sich das mal ansehen.«
»Sie ist unten im Computerraum. Ich schick‘ ihr eine Nachricht.«
Selena war ein phänomenales Sprachtalent. Wenn irgendjemand die Inschrift entschlüsseln konnte, dann war sie diese Person. Ein paar Minuten später sah er zu, wie sie durch die Tür hereinspazierte. Sie bewegte sich auf eine Art und Weise, die ihn an eine Kreuzung zwischen einer Tänzerin und einer geschmeidigen Raubkatze erinnerte, graziös und gefährlich schön. Sie war knapp eins-siebzig, ein wenig kleiner als Nick. Sie hatte hohe Wangenknochen und einen natürlichen Schönheitsfleck über der Oberlippe. Ihre Augen hatten eine ungewöhnliche Violettfärbung. Ihr Haar war rotblond. Sie trug ein maßgeschneidertes graues Kostüm und eine lavendelfarbene Bluse, die zur ihrer Augenfarbe passte. Ansonsten hatte sie nur eine schmale goldene Uhr am linken Handgelenk und trug einfache Ohrringe. Nicht jedem gelang es, eine Glock 10mm in einem Schnellziehholster wie ein Modeaccessoire aussehen zu lassen, aber Selena bekam auch das hin. Wenn Leute draußen auf der Straße sie zusammen sahen, waren sie zunächst verwirrt. Niemand hätte Nick auf den ersten Blick als gutaussehend bezeichnet. Kantig vielleicht. Ungeschliffen. Zäh, mit stechenden grauen Augen, die ständig in Bewegung zu sein schienen. Frauen sagten von ihm, dass er nicht übel aussah, vielleicht ein wenig furchteinflößend. Jemand, den man im Auge behalten sollte. Aber niemals gutaussehend. Selena war in einer ganz anderen Liga. Sie war eine beinahe perfekte Schönheit.
»Was ist los?« Sie setzte sich neben Stephanie.
»Jemand hat heute Morgen den britischen Außenminister ermordet und das hier zurückgelassen. Ergibt das für dich einen Sinn?« Er reichte ihr das Foto.
Sie studierte es. »Es bedeutet: Mohammed und Ali. Die Schrift ist Arabisch. Es ist ein sogenanntes Ambigramm, ein kalligrafisches Vexierbild mit verschiedenen möglichen Bedeutungen.«
»Was bedeutet das da?«
»Es ist ein schiitisches Ambigramm. Eine seiner Bedeutungen ist, dass Ali Mohammeds rechtmäßiger Nachfolger ist, der von Allah und Mohammed dazu bestimmt wurde, die muslimische Glaubensgemeinschaft anzuführen.«
»Und?«
»Ali war Mohammeds Cousin. Nach dessen Tod trat er seine Nachfolge an, weil das seine göttliche Bestimmung war. Sunnitische Muslime aber glauben, dass Abu Bakr Mohammeds rechtmäßiger Nachfolger sein müsse. Die Schiiten behaupten, dass Abu Bakr nur ein Opportunist war, der die Macht an sich reißen wollte. Die islamische Welt befindet sich seit diesem Zeitpunkt ständig im Krieg.« Sie runzelte die Stirn. »Ich habe es schon einmal gesehen, kann mich nur nicht erinnern, wo. Aber es fällt mir sicher wieder ein.«
Carter rieb sich sein Ohrläppchen. »Wenn du an Schiiten und Terrorismus denkst, dann meinst du sicher Teheran. Sir Edward war ein Hardliner, wenn es um den Iran ging. Vielleicht steckt der iranische Geheimdienst dahinter.«
»Das wäre ein wenig voreilig.« Selena glättete eine Falte in ihrem Rock. »Ich frage mich, warum er ermordet wurde.«
»Wenn wir herausfinden, wer es war, dann wissen wir auch, warum.« Er wechselte das Thema. »Steph, hast du schon etwas von Ronnie und Lamont gehört?«
»Vor zwei Stunden. Bisher alles Routine. Sie sollten sich bald wieder bei uns melden.«
Kapitel 3
Unter der gnadenlosen Sonne Afrikas hockten Ronnie Peete und Lamont Cameron in einem mitgenommenen, blauen Toyota Pick-up. Die Temperatur lag über 40 Grad im Schatten und die Türgriffe waren heiß genug, um sich daran die Finger zu verbrennen. Ronnie schien die Hitze nichts auszumachen, doch über Lamonts braune Züge rann der Schweiß. Das Rinnsal folgte der Linie aus Narbengewebe, die quer über sein Auge und seinen Nasenrücken reichte, und tropfte auf seinen sandfarbenen Burnus. Es sah zu seinem Partner hinüber. »Wie kommt es, dass du nicht schwitzt?«
»Das ist doch nicht heiß. Du solltest mal eine Schwitzhütte ausprobieren. Da drin ist es heiß.«
Ronnie war ein Navajo und in einem Reservat aufgewachsen, bevor er zu den Marines ging. Er war bei der Aufklärung gewesen, in derselben Einheit wie Nick. »Eine Schwitzhüttenzeremonie geht über drei Tage«, erklärte er. »Klar, wir konnten dann und wann rausgehen und uns abkühlen.«
»Kennst du auch eine Schattenzeremonie?«
Ronnie grinste.
Lamont hob sein Fernglas. »Da tut sich was.« Er konzentrierte sich auf einen niedrigen, zweistöckigen Betonbau mit Flachdach, der von einem mit Stacheldraht gekrönten Drahtzaun umgeben war. Er sah kahl, schmutzig und langweilig aus. Lamont gab das Fernglas weiter. »Sie laden etwas in den Lastwagen.«
Der Lastwagen war gestern aufgetaucht, zusammen mit einem Kerl mit weißem Vollbart und grünem Turban, der sich mit bewaffneten Wachen umgab. Lamont hatte drei schnelle Fotos gemacht und sie an Stephanie geschickt. Der Laster sah aus wie viele tausend andere Lastwagen in Afrika. Man nutzte sie, um so ziemlich alles zu transportieren, von Ziegen bis zu Soldaten. Er hatte keine besonderen Kennzeichen, aber die Nummernschilder stammten aus dem Sudan. Da sie sich direkt außerhalb von Khartoum