DIE SIEBTE SÄULE (Project 3). Alex Lukeman
Armut, Hitze und der sich stetig ausdehnenden Wüste geplagt. Abgesehen von Abenteuerurlaubern und Islamschülern machte jeder einen weiten Bogen um diesen Ort. Mit jedem Jahr rückten die Sanddünen der Sahara ein bisschen näher. Eines Tages würde die Stadt darunter verschwinden. Soweit das Carter von der Luft aus beurteilen konnte, wäre das kein großer Verlust. Im Landeanflug hatten sie das ausgebrannte Wrack eines zweimotorigen Frachtflugzeugs passiert, nicht weit vom Ende des Flugfelds. Das brachte bei ihm schlimme Erinnerungen zurück, doch er schob sie beiseite. Als sie aus dem Gate kamen, wurden sie von zwei mit M-16 bewaffneten Männern in Polizeiuniform aufgehalten.
»Depp? Connor?«
»Ja.«
»Folgen Sie uns.«
Selena und Nick tauschten Blicke aus. »Wohin?«, fragte Carter.
»Hier entlang. Jemand wünscht sie zu sprechen.« Die beiden Polizisten führten sie zu einer Tür, die in großen Buchstaben die Aufschrift Flughafensicherheit trug, und klopften an.
Eine tiefe Stimme antwortete. »Herein.«
Die Stimme gehörte zu einem großen, massigen Mann, dessen Haut die Farbe dunkler Schokolade hatte. Er saß hinter einem breiten Schreibtisch. Er schwitzte. Der Schweiß bedeckte sein breites Gesicht und lief ihm in den Kragen seines Hemdes. Der schwitzende Mann informierte sie mit sichtlicher Befriedigung, dass sein Name Oberst Samake war. Er trug einen weiten, braunen Anzug, der trotzdem über seinem mächtigen Körper spannte. Seine Hände waren riesig, breit und kraftvoll. Er deutete auf zwei Holzstühle. »Setzen Sie sich doch.«
Sie setzten sich. Sand knirschte unter Carters Stiefeln. Ein kleiner Ventilator ließ die Papiere auf Samakes Schreibtisch flattern. Gegen die erdrückende Hitze war er allerdings machtlos. Carter hielt den Mann für einen Wachhund des Geheimdienstes aus Bamako. Die beiden Polizeibeamten blieben an der Tür stehen. Sie wirkten nervös, als ob sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlten.
»Ich möchte Sie in meinem Land willkommen heißen, Dr. Connor. Sind Sie hier, um Ihre Forschungen bei uns am Institut fortzusetzen?« Samakes Stimme war tief und voll, überraschend sanft für einen so großen Mann.
»Ja, Herr Oberst. Für einen Vortrag bei der Internationalen Islamkonferenz in Istanbul.«
»Die Konferenz ist doch erst in zwei Jahren.«
»Die Vorbereitungen sind oft langwierig.«
Carter hörte einfach zu. Das war mehr als ein Willkommenskomitee.
»Wie lange wollen Sie bleiben?« Samake lächelte und zeigte dabei breite, weiße Zähne.
»Schwer zu sagen. Eine Woche vielleicht. Wir wollten uns auch ein wenig in Ihrem Land umsehen. Ich war bisher noch nie in Mali.« Ein wenig Small Talk.
»Und Mr. Depp? Ist er Ihr Assistent?«
»Ja. Er hilft mir dabei, meine Forschungsunterlagen zu organisieren und kümmert sich um die Reisevorbereitungen, die Unterkunft und solche Dinge.« Sie wandte sich Nick zu. »Nicht wahr, Johnnie?«
Nick sah nach unten. »Natürlich, Doktor.«
Sie wandte den Blick ab, noch bevor er den Satz beendet hatte. Herablassend. Nick bewunderte ihr Schauspieltalent. Er war nur ein Lakai unter der Fuchtel einer Frau. Keine Bedrohung für Samake oder sonst jemanden. Beinahe hätte Nick gelächelt.
»Herr Oberst, es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, uns persönlich zu begrüßen.« Selena massierte das Ego des Mannes. Flirtete beinahe mit ihm.
Samake faltete seine großen Hände vor sich auf dem Tisch und lehnte sich zu ihr. Sein Gesichtsausdruck wirkte ehrlich. Ein guter Freund, der nur einen Ratschlag gibt. Schwachsinn, dachte Carter bei sich.
»Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie den Norden meiden sollten, wenn Sie mit dem Gedanken spielen, Timbuktu zu verlassen.«
»Wieso das?«
»Es gibt vorübergehend Schwierigkeiten mit Banditen in dieser Gegend. Es ist für Ausländer dort nicht sicher. Es wäre doch eine Schande, wenn einer so bekannten Besucherin bei uns etwas zustoßen würde.«
Carter traute seinen Ohren nicht. Es war eine kaum verhüllte Drohung. Bei normalen Touristen hätte das vielleicht nach einer freundlichen Warnung geklungen. Für sie aber war die Nachricht klar und deutlich: Geht nicht in den Norden!
Kapitel 7
Eine Stunde später checkten sie in ihrem Hotel ein. Carter sah hinaus auf den staubigen Innenhof. Vierzig Euro die Nacht für ein Zimmer mit zwei lächerlich schmalen Betten und einen Deckenventilator. Selena hatte das Zimmer direkt neben seinem. In Timbuktu gab es insgesamt sechs Hotels. Keines davon erfüllte irgendeinen internationalen Standard, aber dieses war gar nicht so schlecht. Es gab eine ansehnliche Außenterrasse und ein Balkonrestaurant mit Aussicht im zweiten Stock. Carters Zimmer hatte ein eigenes Bad und der Ventilator funktionierte sogar. Über allem lag eine feine Schicht Flugsand, was wohl den exotischen Reiz dieses exquisiten Fernreiseziels ausmachte.
Selena klopfte an seine Tür und trat ein. »An den Bart kann ich mich nur schwer gewöhnen. Damit siehst du aus wie ein Pirat.«
»Johnnie Depp, zu euren Diensten. Kratzen tut er auch.« Wenigstens musste er kein Make-up tragen. Weiße waren in Mali nichts Ungewöhnliches. »Echt jetzt, Johnnie?«, fragte er.
»Hat doch funktioniert, oder nicht? Oberst Wie-war-nochmal-sein-Name hat dich danach nicht einmal mehr angesehen.«
»Samake. Er will uns im Auge behalten und möchte nicht, dass wir nach Norden gehen. Es könnte nur ein gutgemeinter Ratschlag für eine berühmte Touristin sein, aber ich glaube, dass mehr dahinter steckt. Obwohl er nicht unrecht hat, was den Norden angeht.«
»Wieso?«
»Ist das Gebiet der AKIM.«
»AKIM?«
»Eine Terrorgruppe. Steht für al-Qaida in den Maghreb-Staaten. Ein Haufen Halsabschneider. Die ganze Gegend ist eine der Hauptdrogenrouten für Ware aus Südamerika, die für Europa bestimmt ist. Die AKIM finanziert ihre Operationen durch den Schutz der Lieferungen. Außerdem entführen sie gern westliche Touristen, die dumm genug sind, sich in den Norden zu verirren. Sie halten sie als Geiseln oder töten sie. Wenn es gerade keine Touristen gibt, überfallen sie Grenzpatrouillen, um in Übung zu bleiben. Allerdings gibt es da oben nicht mehr viele.«
»Warum hat sie noch niemand gestoppt?«
»Weil sie praktisch unauffindbar sind. Sie verstecken sich in der südlichen Bergregion von Algerien. Die ganze Region wird die Achse der Instabilität genannt und erstreckt sich quer durch Nordafrika von der Atlantikküste bis zum Roten Meer.«
»Dann sollten wir da nicht hingehen.«
»Vielleicht müssen wir das auch gar nicht.«
»Bereit für die Bibliothek?«
»So bereit wie man sein kann. Was denkst du, wie lange wird es dauern?«
»Kommt darauf an. Es gibt dort gut 20.000 Manuskripte. Es könnte Tage dauern.«
»So viel Zeit haben wir nicht. Rice wünscht Resultate.«
»Da kann man nichts beschleunigen. Ich sage auch nur, dass es Tage dauern kann. Aber vielleicht habe ich ja Glück. Man sagte mir, dass die Manuskriptsammlung gut organisiert ist. Und sie datiert zurück bis ins 13. Jahrhundert, genau der Zeitraum, nach dem wir suchen.«
Vor dem Hotel bekamen sie ein Taxi und fuhren zum Institut. Ein heißer, trockener Wind trug den zeitlosen Duft der Sahara mit sich. Im Osten erstreckte sich die große Wüste über tausende Meilen.
Das Taxi fuhr entlang niedriger Häuserzeilen und Läden, die alle aus gelblichen Tonziegeln gebaut waren. Die Gebäude verfügten über massive Holztore mit Metallverzierungen und hatten dekorative Gitter über den Fensteröffnungen. Der Fahrer erzählte ihnen, dass die meisten Häuser um verborgene Innenhöfe