DIE SIEBTE SÄULE (Project 3). Alex Lukeman

DIE SIEBTE SÄULE (Project 3) - Alex  Lukeman


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man einen dürren Hund oder eine hagere Katze. Sie passierten Tonöfen in Form von Bienenstöcken, deren Bauweise sich seit Jahrhunderten nicht verändert hatte, wo Frauengruppen in bunten Kopftüchern und langen Röcken Brot backten und miteinander tratschten.

      Sie hielten vor der Bibliothek direkt am Rand der Wüste. Das Gebäude war neu und wirkte modern, erbaut um ein älteres Bauwerk in einem anderen Teil der Stadt zu ersetzen. Sie betraten es durch eine Reihe hoher Barrieren, die es vor Flugsand schützen sollten und fanden sich in einem großen, gepflasterten Innenhof wieder. Dicke Wände aus Ziegeln und Beton hielten die Hitze fern. Ein Springbrunnen ließ Wasser durch rechteckig angeordnete Kanäle und kleine Becken fließen, um die Luft zu kühlen. Im Inneren stellte Selena sich dem Bibliothekar vor. Carter folgte ihnen eine Rampe hinunter in die unteren Stockwerke. Die gesperrten Lesebereiche waren mit Glaswänden abgetrennt und voll klimatisiert. Er atmete erleichtert auf. Selena erklärte dem Bibliotheksassistenten, was sie benötigte. Carter nahm sich einen Stuhl. Der Assistent kehrte mit einem Stapel Manuskripten in farbigen Ordnern zurück. Selena machte es sich bequem und begann zu lesen. Es schien ein langer Tag zu werden. Carter sah sich um. Mehrere Personen waren über Zeitungen und Manuskripte gebeugt. Ein Mann mit dunklen, pockennarbigen Zügen studierte am anderen Ende des Raumes eine Handschrift. Nicks Ohr juckte. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Kerl, aber Nick war sich nicht sicher. Als ob er seine Gedanken gelesen hätte, hob der Mann den Kopf und sah ihn an.

      Kapitel 8

      Fünf sah von den Papieren vor sich auf. Er lächelte den Mann an, der mit der Frau gekommen war. Der Mann wandte sich ab und beobachtete den Raum. Fünf sah zu, wie die Frau ein Manuskript aus der roten Mappe nahm und zu lesen begann. Er wusste, dass sie diejenige war, nach der er Ausschau halten sollte. Es war so, wie sie vermutet hatten. Jemand suchte nach den Aufzeichnungen. Ihre Zungenspitze tauchte unbewusst zwischen den Lippen auf, als sie sich Notizen machte. Er betrachtete ihre aufreizende Kleidung. Ihre Beine waren unterhalb der Knie sichtbar, ihre Arme waren entblößt. Sie trug einen dünnen Schal über ihrem Haar, um den Anschein von Züchtigkeit zu erwecken. Sie war ein Sakrileg gegen alles, was göttlich war. Eine Hure. Seine Anweisungen waren eindeutig. Nur beobachten. Wenn aber jemand Interesse an gewissen Texten zeigte, sollte er ihn eliminieren. Er hatte eine Woche geduldig gewartet, hatte vorgegeben, einen mathematischen Diskurs aus dem fünfzehnten Jahrhundert zu studieren. Fünf fiel es leicht, geduldig zu sein. Fünf war niemals ungeduldig. Geduld lag in seinen Genen. Seine Wurzeln reichten zu den Tagen zurück, als seine Vorfahren den Meistern in Alamut gedient hatten, so wie er heute einem Meister diente. Die Bruderschaft hütete immer noch die reine Flamme des schiitischen Islam. Sie waren die wahren Gläubigen, die Unbefleckten, entsprungen einer Tradition, die über die Jahrhunderte weitergegeben worden war.

      Stunden vergingen. Er sah, wie die Frau den Stift beiseitelegte und ihr Notizbuch schloss. Die Zeit für das Abendgebet rückte näher. Der Bibliothekar würde wollen, dass die Besucher den Saal verließen. Fünf konnte sehen, dass sie noch nicht fertig war. Sie würde zurückkehren. Das gab ihm Zeit, sie zu beobachten, sie zu verfolgen. Ihr Begleiter stellte kein Problem dar. Er gestattete sich ein Lächeln. Eine Hure war eben eine Hure. So war sie wenigstens noch zu etwas nütze, bevor sie starb.

      Kapitel 9

      Stephanie grübelte über den Lastwagen aus dem Sudan nach. Vorhin hatte sie ihn von einem DIA-Satelliten überwachen lassen, der selbst aus 35 Kilometern Höhe noch das Kennzeichen lesen konnte. Von Khartoum aus war er durch den Tschad und den Niger gefahren und hatte dann die Grenze nach Mali überquert. Die Satellitenüberwachung kam und ging. Nick und Selena waren seit zwei Tagen in Mali. Sie rief Nick an, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen. »Wir haben aktuelle Infos zu den Fotos, die Lamont geschossen hat. Einer der Männer ist Jibral al Bausari. Er ist Ägypter, eine Schlüsselfigur in der Muslimbruderschaft und ganz weit oben in deren Terrorismusnetzwerk. Das bedeutet, dass etwas Großes im Gange ist.«

      »Ist das der Kerl, der die israelische Botschaft in Südamerika hochgejagt hat?«

      »Nein, aber er steckt hinter einer Reihe von Anschlägen, dem Mord an 42 Entwicklungshelfern in Afghanistan und einer Verschwörung, der es beinahe gelungen wäre, den Eiffelturm zu sprengen.«

      »Davon hab ich nie etwas gehört.«

      »Wir wollen die Leute doch nicht vom Reisen abhalten und die Tourismusbranche schädigen, nicht wahr?« Sie dachte nach. »Wenn Bausari die ganze Sache leitet, dann können wir davon ausgehen, dass die Ladung des Lastwagens wichtig ist.«

      »Wo ist er jetzt?«

      »In eurer Nähe, in Mali, auf dem Weg nach Norden.«

      »Denkst du, er ist auf dem Weg nach Algerien?«

      »Scheint so.«

      »Wir sollten es an Langley abgeben.«

      »Ich hab schon mit Lodge gesprochen. Er meint, es sei der Mühe nicht wert.«

      »Warum bin ich nicht überrascht?«, sagte Nick trocken. »Als ob der Versuch, unsere Leute zu töten, nur weil sie etwas gesehen haben, kein Schuldeingeständnis wäre.« Er grübelte kurz. »Wie wäre es, den Transport mit einer Predator- oder einer Reaper-Drohne auszuschalten?«

      »Du solltest es besser wissen, Nick. Ohne eine konkrete Bestätigung, dass es sich um VX handelt, setzt das Pentagon keine Hardware im Wert von zig Millionen ein.«

      »Hast recht. Aber man wird ja mal träumen dürfen.« Er wechselte das Thema. »Selena denkt, dass sie da auf etwas gestoßen ist, was den Kult angeht. Sobald wir das haben, können wir uns um den Lastwagen kümmern.«

      »Das hatte ich mir auch überlegt. Die Straßen da unten sind schlecht. Die werden keine Geschwindigkeitsrekorde brechen.«

      »Ich seh‘ mir das auf der Karte an und überlege mir was.«

      Für einen Moment wollte Stephanie widersprechen. Nick war zwar für Außeneinsätze zuständig, aber sie war schließlich nicht seine Assistentin. »Mach das«, sagte sie nur und beendete das Gespräch. Steph hatte selbst oft die Einsatzleitung gehabt, als sie Elizabeth Harkers Stellvertreterin gewesen war. Sie konnte das, doch Elizabeths feines Gespür hatte sie nicht. Steph war mit Nick immer gut ausgekommen. Aber seit Nick sich in seine neue Rolle hineinfinden musste, war er aufsässig und jähzornig geworden. Mit ihm zu arbeiten fühlte sich für sie wie ein Drahtseilakt an. Das gefiel ihr nicht. Vielleicht würde sich Elizabeth ja erholen und ihren alten Job zurückhaben wollen. Steph wäre das nur recht gewesen und sie vermutete, dass auch Nick keine Einwände haben würde. Sie hatte nur die Leitung übernommen, weil der Präsident sie darum gebeten hatte. Einfach war die Sache mit den zwei Direktoren nämlich nicht. Keiner von ihnen besaß Harkers Genie, ihre fast unheimliche Intuition. Gemeinsam hatten sie es gerade so im Griff. Bisher hatten sie keine ernsthaften Fehler gemacht, aber sie waren ja auch noch nicht lange im Amt. Sie waren im Grunde genommen ein gutes Team. Aber unter Elizabeths Leitung waren sie brillant gewesen. Steph wusste, dass Nick wieder unter Kopfschmerzen und seinen Albträumen litt. Er selbst hatte nichts erwähnt, aber Selena hatte etwas ausgeplaudert. Gespräche unter Frauen, um den Arbeitsstress abzubauen. Steph mochte Selena. Sie war unkompliziert. Sie machte ihren Job und arbeitete hart daran, noch besser zu werden. Sie hatte alles, was für diesen Job nötig war. Steph wusste nicht, ob sie sich auch so gut geschlagen hätte, wäre sie in Selenas Situation gewesen.

      Es war eine Sache, auf dem Schießstand Löcher in Zielscheiben zu stanzen. Darin war Steph ziemlich gut. Aber Leute zu durchlöchern, die dasselbe mit dir machen wollten, das war eine ganz andere Geschichte. Sie dachte wieder an Nick. Zu allem Übel hatte er auch noch familiäre Probleme. Seine Mom hatte Alzheimer. Vor ein paar Wochen war er deswegen in Kalifornien gewesen und hatte sich mit seiner Schwester gestritten. Nick sprach nie über seine Familie, aber Steph wusste, dass er mit einem gewalttätigen Alkoholiker als Vater aufgewachsen war. Es hatte ihn hart und verschlossen werden lassen. Aber vielleicht war das auch gar nicht so schlecht. Sie war selbst ziemlich gut darin. Im PROJECT waren die Kollegen die einzigen Menschen, denen man trauen konnte. Im PROJECT verbrachte man viel Zeit damit, so zu tun, als ob alles


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