MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1). Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1) - Robert Mccammon


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alle Teil einer Gezeitenwelle von Menschen, die von der Straße herein drückten und Schulter an Schulter in die Bänke und Gänge gepfropft waren. Hinter ihnen verstopften zusammengedrängte Bürger die Türen und standen bis aufs Kopfsteinpflaster hinaus, wo sich niemand mehr besser bewegen konnte als Ebenezer Grooder im Pranger. Und alle diese Personen, so schien es Matthew, waren nach dem Mittagessen nach Hause gegangen, um aus ihren Kommoden und Kisten die erlesensten Pfauenfedern zu holen, mit denen sie sich von den anderen Pfauen in einem Kaleidoskop von Farben unterschieden. Neben eleganten Kniebundhosen, spitzenkragigen und manschettierten Hemden, Westen aller Schattierungen von Seegrün bis hin zu trunkenem Lila, Dreispitzen mit aufgerolltem Rand in stumpfem Schwarz, Rot, Blau und einem besonders augenschmerzenden Gelb, bestickten Mänteln und Strümpfen, dicksohligen Chopinen, die Männer durchschnittlicher Größe groß und große Männer fast zum Umsturz brachten, gab es mit Gold- und Silbergriffen verzierte Spazierstöcke aus Eschenholz, Ebenholz und Kastanie, sowie den ganzen Rest der fieberhaften Mode, die angeblich einen Gentleman ausmachte.

      Es war der reinste Karneval. Der Konferenzsaal wurde durch die vielen lauten Begrüßungen, Ausrufe und fröhliches Gelächter, das man bis nach Philadelphia hören konnte, schnell zu einer Szene wie aus einer samstagabendlichen Pinte – die von den vielen Pfeifenrauchern und faustdicken schwarzen kubanischen Zigarren, die aus der Karibik eingetroffen waren, nur noch ordinärer gemacht wurde. Innerhalb kürzester Zeit trieben Rauchwolken aus Qualm durch das hereinströmende Sonnenlicht, und die Sklaven, die mit großen Stofffächern im Raum verteilt standen, um die Luft zu kühlen, hatten es schwer.

      »Wie gefallen sie Euch?«, fragte Solomon Tully, und als Matthew und Powers sich ihm zuwandten, grinste er breit, um seine blendend weißen Beißer zu zeigen.

      »Sehr schön«, sagte der Richter. »Ich nehme an, dass sie ein halbes Vermögen gekostet haben?«

      »Natürlich! Wären sie denn sonst etwas wert?« Tully war ein untersetzter, geselliger Mann Anfang fünfzig. Falten zogen sich durch sein Gesicht, aber er hatte runde Wangen und strahlte gut durchblutete Gesundheit aus. Auch er war heute ein wandelnder Kleiderständer, in einem blassblauen Anzug und Dreispitz, sowie einer dunkelblau und grün gestreiften Weste herausgeputzt. Die Kette seiner in London erstandenen Uhr hing glitzernd aus einer auffälligen Tasche.

      »Wohl nicht«, gab Powers höflich zurück, wobei sowohl er als auch Matthew wussten, dass Mr. Tully, so nett und freigiebig er den Wohlfahrtsverbänden gegenüber war, bald zu prahlen anfangen würde.

      »Nur das Beste, sage ich immer!«, fuhr Tully wie erwartet fort. »Ich habe gesagt, gebt mir das Beste, egal, was es kostet. Und das habe ich auch bekommen. Das Elfenbein ist direkt aus Afrika und die Federn und Zahnrädchen wurden in Zürich hergestellt.«

      »Aha«, sagte der Richter. Der dichte Rauch ließ ihm die Augen tränen.

      »Es sieht auf jeden Fall teuer aus«, warf Matthew ein. »Prächtig, sollte ich sagen.« Er musste zugeben, dass das Gebiss Mr. Tullys Gesicht kräftiger aussehen ließ, denn als ihm seine von Gott verpassten Zähne verfaulten, war sein Gesicht um den Mund herum eingefallen. Tully war erst vor zwei Tagen mit seinem neuen Kauwerkzeug aus England zurückgekehrt und zurecht stolz auf die Komplimente, die ihn in letzter Zeit zum Lächeln brachten.

      »Prächtig, stimmt!« Tully grinste noch breiter. Matthew glaubte, eine Feder sirren zu hören. »Und Ihr könnt Euch sicher sein, dass es allerbeste Qualität ist, junger Mann. Was nützt es, überhaupt irgendetwas zu unternehmen, wenn man auf allerbeste Qualität besteht, hm? Ja, die sind hier auch richtig befestigt. Wollt Ihr mal sehen?« Er begann, den Kopf ins Genick zu legen und für Matthew den Mund aufzusperren, doch zum Glück kam in diesem Moment eine der wenigen Frauen in den Saal, die dieser Versammlung beiwohnten. Die Männer im Gang teilten sich vor ihr wie das Wunder am Roten Meer, und Tully drehte sich zur Seite, um zu sehen, warum plötzlich weniger gebrüllt wurde.

      Wie beim Roten Meer handelte es sich auch bei Madam Polly Blossom um eine Naturgewalt. Sie war eine große, gut aussehende blonde Frau um die dreißig, mit einem nüchternen, kantigen Kinn und klaren blauen Augen, die einen Mann bis auf seine Brieftasche hin zu durchschauen wussten. In einer Hand trug sie ein zusammengefaltetes Sonnenschirmchen und auf dem Kopf eine hellgelbe Haube, die unter ihrem Kinn mit blauen Bändern zusammengebunden war. Ihr silberblauer Manteau war mit den für sie typischen Blumen in knalligem und blassem Grün, Zitronengelb und Rosa bestickt. Von den schwarzen Stiefeln mit Metallspitzen abgesehen war sie eine elegant aussehende Lady, fand Matthew. Er hatte gehört, dass sie einem betrunkenen Kunden einen Tritt in den Hintern versetzen konnte, der ihn bis nach Richmond Island beförderte, ohne dass er eine Fähre nehmen musste.

      Während die Pfeifen qualmten und die Zuschauer auf der Empore das neue Spektakel eingehend beobachteten, marschierte Polly Blossom zur zweiten Reihe auf der rechten Seite, wo sie anhielt, um die Gentlemen zu fixieren, die die Plätze auf der Bank eingenommen hatten. Alle Gesichter waren von ihr abgewandt. Niemand sagte ein Wort. Die Dame Blossom wartete jedoch weiter, und obwohl Matthew von seinem Platz aus nicht ihr Gesicht sehen konnte, war er sicher, dass ihre Schönheit sich etwas verhärtete. Schließlich stand Robert Deverick, gerade mal achtzehn Jahre alt und vielleicht aus dem Wunsch, sich Frauen gegenüber in jeder Situation höflich zu verhalten, von der Bank auf. Pennford Deverick packte seinen Sohn sofort am Arm und warf ihm einen finsteren Blick zu – wären seine Augen Pistolen gewesen, wäre sein Sohn tot umgefallen. Daraufhin brach allgemeines Flüstern im Saal aus, das sich zu ein paar gehässigen Lachern steigerte. Der milchgesichtige junge Mann, saubergeschrubbt und wie ein Abbild seines wohlhabenden Vaters mit einem schwarzen Nadelstreifenanzug und Weste bekleidet, sah für einen Moment aus, als wäre er zwischen Ritterlichkeit und Solidarität seiner Familie gegenüber hin- und hergerissen. Aber als der alte Deverick »Setz dich hin« zischte, war die Entscheidung gefällt. Der Junge wandte den Blick von Madam Blossom ab und sank mit blutroten Wangen zurück auf seinen Platz und unter die Kontrolle seines Vaters.

      Sofort trat jedoch ein neuer Held auf die Bühne dieses Theaterstücks. In der vierten Reihe stand der Besitzer des Trot Then Gallop auf, der dicke, graubärtige Felix Sudbury, der seinen alten braunen Anzug trug und der Dame in Not höflich bedeutete, dass sie auf seinem Platz zwischen dem Silberschmied Israel Brandier und dem Schneidersohn Effrem Owles Zuflucht finden konnte. Effrem war mit Matthew befreundet und spielte donnerstagabends ein höllisches Spiel Schach im Gallop. Irgendein galanter Schnösel begann zu applaudieren, als Sudbury seinen Platz aufgab und die Lady sich setzte, woraufhin mehrere andere ebenfalls klatschten und lachten – aber nur, bis Pennford Deverick seinen stahlgrauen Blick wie eine Kriegsfregatte, die ihre Kanonen in Position brachte, durch den Raum schweifen ließ. Daraufhin wurde es still.

      »Das ist doch mal was!« Solomon Tully stieß Matthew den Ellbogen in die Rippen. Der Geräuschpegel stieg und die Leintuchfächer wedelten gegen die Qualmwolken an. »Madam Blossom kommt hereinspaziert, als gehöre ihr das verdammte Haus und setzt sich direkt vor Reverend Wade! Habt Ihr so was schon mal erlebt?«

      Matthew sah, dass die Bordellmutter Manhattans – die sich bei all dem Geld, das sie und ihre Täubchen angeblich verdienten, das Gebäude vermutlich in der Tat hätte kaufen können – genau vor dem dünnen, gestrengen, schwarzbeanzugten und bedreispitzten William Wade saß, der ernst nach vorn starrte, als könnte er der Dame durch den Kopf sehen. Auch interessant war, dass John Five – für den Anlass in einen einfachen grauen Anzug gekleidet – rechts neben seinem Schwiegervater in spe saß. Was auch immer man über Reverend Wades eher grimmige Natur sagen mochte, niemand konnte behaupten, dass er nicht anständig war, dachte Matthew. Für einen Geistlichen war es geradezu eine Heldentat, seine Tochter einen Mann heiraten zu lassen, dessen Vergangenheit fast gänzlich im Dunkeln lag und dessen wenige Erinnerungen von Gewalt gekennzeichnet waren. Matthew bewunderte, dass der Reverend John Five die Aussicht auf eine Zukunft schenkte. Das war vielleicht das christlichste Geschenk überhaupt.

      Ihm fiel eine weitere Person auf, und sein Magen zog sich zusammen. Drei Reihen hinter John Five und Reverend Wade saß Eben Ausley in einem grünen Anzug und knallroter Samtweste wie eine Wassermelone auf der Bank. Zur Feier dieses wichtigen Tages trug er eine weiße Perücke mit Korkenzieherlocken, die ihm auf formelle Richterart über die Schultern fielen. Er hatte sich ein Plätzchen in einer Gruppe junger Anwälte ausgesucht,


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