MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1). Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1) - Robert Mccammon


Скачать книгу
…«

      »Du redest und redest«, sagte John Five und ging mit solch grimmigem Gesicht auf Matthew zu, dass der dachte, ihre Freundschaft – oder eher Waisenhauskameraderie – würde gleich mit einem gebrochenen Kiefer enden. »Aber du hörst nicht zu«, fuhr John fort, blieb jedoch stehen. Er schaute die Straße hinunter auf die vorbeigehenden Gentlemen und Ladies, auf einen Pferdekarren, der angerollt kam, und ein paar Kinder, die Krieg spielten und lachten, als sei die Welt ein wahres Entzücken. »Ich habe Constance gefragt, ob sie meine Frau werden will. Im September werden wir heiraten.«

      Matthew wusste, dass Constance Wade seit fast einem Jahr bereits Johns große Liebe war. Er hätte nie gedacht, dass John den Mut finden würde, um ihre Hand anzuhalten – denn sie war die Tochter des strenggesichtigen, schwarz gekleideten Predigers William Wade, des Mannes, von dem gesagt wurde, dass die Vögel mit dem Singen aufhörten, wenn er das unerschrockene Auge Gottes auf sie warf. Matthew freute sich natürlich für John Five, denn Constance war ein hübsches, kluges Mädchen mit lebhaftem Verstand. Aber er begriff auch, was dies bedeutete.

      Einen Moment lang schwieg John, und auch Matthew sagte nichts.

      Dann sagte John: »Phillip Covey. Hast du ihn gefragt?«

      »Habe ich. Er weigert sich standhaft.«

      »Nicholas Robertson? John Galt?«

      »Die habe ich beide mehrmals gefragt. Beide haben Nein gesagt.«

      »Warum dann ich, Matthew? Warum kommst du immer wieder zu mir?«

      »Wegen dem, was du durchgemacht hast. Nicht nur, was Ausley angeht, sondern auch vorher. Der Überfall von den Indianern. Der Mann, der dich überall mit hingenommen und gezwungen hat, in den Wirtshäusern zu tanzen. Wie so viel Böses und solche Schwierigkeiten alles zerstört haben. Ich hätte gedacht, dass du dagegen ankämpfen und dafür sorgen wolltest, dass Ausley da eingesperrt wird, wo er hingehört.« Von John Five kam keine Antwort; das Gesicht des jüngeren Mannes war ohne jegliche Regung. Matthew sagte mit fester Stimme: »Ich hätte gedacht, dass du sehen willst, wie Recht geschieht.«

      Zu Matthews Überraschung kehrte nun ein Hauch von Gefühl in Johns Mimik zurück, doch es war nur ein leiser Anflug eines wissenden Lächelns – oder besser gesagt, eine Art listiges Wissen. »Wie Recht geschieht? Geht's wirklich darum? Oder willst du mich bloß wieder zum Tanzen zwingen?«

      Matthew wollte antworten, gegen Johns Behauptung protestieren, aber bevor er dazu kam, sagte der jüngere Mann leise: »Bitte hör mir zu, Matthew, und versteh mich: Ausley hat dich nie angefasst, oder? Du warst in einem Alter, das er für … zu alt fand, um sich mit dir abzugeben, nicht wahr? Deshalb hast du nachts was gehört – Heulen vielleicht, einen oder zwei Schreie –, und mehr nicht. Vielleicht hast du dich dann im Bett umgedreht und schlecht geträumt. Vielleicht hast du dir gewünscht, dass du was tun könntest, aber das konntest du nicht. Vielleicht hast du dich einfach klein und schwach gefühlt. Aber wenn es jemanden gäbe, der jetzt etwas gegen Ausley unternehmen wollte, Matthew, dann wäre ich das, und Covey und Robertson und Galt. Und wir wollen nicht. Wir wollen nur mit unserem Leben weitermachen.« John verstummte, um seine Worte wirken zu lassen. »So, und du redest nun davon, Recht geschehen zu lassen – und das ist ein edler Gedanke. Aber Justitia hat die Augen verbunden und sieht die Wahrheit nicht immer. Sagt man nicht so?«

      »So ähnlich.«

      »Ähnlich genug, nehme ich an. Wenn ich – oder einer der anderen – auf dem Zeugenstand gegen Ausley aussagen würde, gäbe es keinerlei Garantie, dass er eine schlimmere Strafe als der alte Grooder bekommen würde. Nein, er würde nicht mal so eine kleine Strafe bekommen. Er würde sich herausreden. Oder sich herausbezahlen, denn den Hauptwachtmeister hat er ja schon in der Tasche. Und denk doch daran, was aus mir werden würde, Matthew, wenn ich so etwas zugeben würde. Im September werde ich heiraten. Glaubst du, ich wäre Reverend Wade noch gut genug für seine Tochter, wenn er davon wüsste?«

      »Ich glaube, dass sowohl er als auch Constance deinen Mut bewundern würden.«

      »Ha!« John lachte Matthew fast ins Gesicht. Seine Augen waren wie verbrannt. »So viel Mut habe ich nicht.«

      »Du siehst es also als erledigt an.« Matthew spürte, wie ihm Schweiß auf die Stirn und den Nacken trat. John Five war seine letzte Hoffnung gewesen. »Einfach als gegessen und erledigt.«

      »Ja«, gab der ohne Zögern zurück. »Weil ich ein Leben zu leben habe, Matthew. Es tut mir leid für all die anderen, aber ich kann ihnen nicht helfen. Ich kann lediglich mir selbst helfen. Ist das denn eine so schlimme Sünde?«

      Matthew war sprachlos. Er hatte befürchtet, dass John Five ihm eine Abfuhr erteilen würde – ihre früheren Treffen hatten nie auf Einwilligung hingedeutet, aber es nun so deutlich zu hören war ein schwerer Schlag. Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf wie Kreisel. Wenn es keinen Weg gab, Ausleys frühere Opfer zu einer Aussage zu bewegen – und keinen Weg ins Waisenhaus gab, um von den neuen Opfern Zeugenaussagen zu erhalten –, dann hatte dieser höllische Waisenhausleiter tatsächlich sowohl die Schlacht als auch den Krieg gewonnen. Was bedeutete, dass Matthew trotz seines Glaubens an die Macht und Gerechtigkeit des Rechtssystems nur ein hohler Phrasendrescher ohne Rückhalt oder Inhalt war. Einer der Gründe, die ihn nach den Geschehnissen in Fount Royal dazu bewegt hatten, nach New York zu kommen, war, diesen Angriff auf Ausley zu planen und durchzuführen, und nun …

      »Das Leben ist für niemanden leicht«, sagte John Five. »Du und ich, wir sollten das besser als die meisten wissen. Aber ich glaube, dass man die schlechten Dinge manchmal loslassen muss, damit man weitermachen kann. Wenn man ständig daran denkt, wieder und wieder, es immer im Kopf behält … das ist nicht gut.«

      »Ja«, stimmte Matthew zu, obwohl er nicht wusste, warum. Er hatte sich selbst wie aus weiter Ferne sprechen gehört.

      »Du solltest dir etwas Besseres als das hier suchen, an dem du dich festhalten kannst«, sagte John nicht unfreundlich. »Etwas, das eine Zukunft hat.«

      »Eine Zukunft«, wiederholte Matthew. »Ja. Vielleicht hast du recht.«

      Innerlich hatte er das Gefühl, vor sich selbst und den anderen Jungen im Waisenhaus, und sogar dem Andenken an Richter Woodward versagt zu haben. Er konnte noch hören, wie der Richter auf seinem Sterbebett gesagt hatte: Ich bin immer stolz auf dich gewesen. Immer. Ich wusste es von Anfang an. Als ich dich in dem Waisenhaus gesehen habe. Dein Auftreten. Es war anders und undefinierbar. Aber etwas Besonderes. Du wirst dein Zeichen setzen. Irgendwo. Du wirst, einfach durch dein Leben, auf jemanden eine tiefgreifende Auswirkung haben.

      »Matthew?«

       Ich bin immer stolz auf dich gewesen.

      »Matthew?«

      Ihm wurde bewusst, dass John Five etwas gesagt hatte, das ihm entgangen war. Wie ein Schwimmer in dunklem, schmutzigem Wasser tauchte er wieder in die Gegenwart ein. »Was?«

      »Ich habe dich gefragt, ob du Freitagabend zu dem Treffen kommst.«

      »Treffen?« Ihm war so, als hätte er Aushänge gesehen. »Was für ein Treffen?«

      »Ein Kirchentreffen. Freitagabend. Elizabeth Martin hat ein Auge auf dich geworfen, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.«

      Matthew nickte geistesabwesend. »Die Tochter vom Schuster. Ist die nicht gerade erst vierzehn geworden?«

      »Ja, und? Die ist hübsch, Matthew. Wenn ich du wäre, würde ich vor so einer nicht die Nase rümpfen.«

      »Ich rümpfe nicht die Nase. Nur … steht mir zur Zeit nicht der Sinn nach Gesellschaft.«

      »Mann, wer redet denn von Gesellschaft? Ich spreche von Heirat!«

      »Wenn das der Fall ist, hast du eine Schraube locker.«

      »Wie du meinst. Ich mache mich jetzt besser wieder an die Arbeit.« John bewegte sich auf das offene Tor zu. Zögerte. Ein Strahl Sonnenlicht fiel auf ihn herab. »Du kannst mit dem Kopf gegen die Wand rennen, bis es dich umbringt«, sagte er. »Die Wand stürzt davon nicht


Скачать книгу