MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1). Robert Mccammon
dass ihn seine aussichtslose Jagd sonst verzehren und zu einer widerstandslosen Akzeptanz von etwas verkommen lassen würde, das seiner Ansicht nach niemals akzeptiert werden konnte.
Obwohl er noch immer wie der Albtraum eines jeden Kindes aussah, war er schließlich doch so weit hergerichtet, dass er nach Hause weitergehen konnte. Seine Kappe hatte er noch, das war gut. Er war am Leben – auch das war gut. Und so machte er seinen Rücken gerade und dachte auf seinem Weg durch die mitternächtliche Stadt, dass er Glück gehabt hatte. Er war ein einsamer junger Mann.
Zwei
An diesem strahlenden Morgen wusste keiner von Matthews Frühstücksköchen von seinen Nöten der Nacht. Ohne Rücksicht auf seine Kopfschmerzen und Übelkeit frotzelten sie daher fröhlich darüber, was der Tag wohl bringen mochte. Er behielt seine Verletzungen für sich, während Hiram Stokely und seine Frau Patience in der sonnigen Küche ihres kleinen weißen Hauses hinter der Töpferei werkelten.
Matthews Teller war mit Maisbrot und einer Scheibe Pökelschinken beladen, über den er sich an jedem anderen Tag gefreut hätte. Heute aber ging es ihm zu schlecht, um den Schinken wirklich zu schätzen. Die beiden waren gute und freundliche Menschen, und er hatte Glück gehabt, über der Werkstatt eine Unterkunft zu finden. Im Gegenzug hatte er sich verpflichtet, alles sauber zu halten und beim Töpfern und Brennen zu helfen, soweit seine beschränkten Talente es zuließen. Es gab zwei Söhne – einen Handelsschiffskapitän und einen Buchhalter in London – und Matthew hatte das Gefühl, dass seine Vermieter beim Essen gern Gesellschaft hatten.
Das dritte Mitglied der Stokely-Familie fand an diesem Morgen allerdings irgendetwas sonderbar an Matthew. Er dachte zuerst, dass ihn Cecily, die als Haustier gehaltene Sau, wegen des gepökelten Schinkens gnadenlos mit der Nase bearbeitete. Obwohl sie sich inzwischen an diese Kannibalen gewöhnt haben musste, die sie zu sich geholt hatten, konnte er sich gut vorstellen, dass ihr nicht gefiel, wie er einem ihrer Artgenossen mit Messer und Gabel zusetzte. Nach zwei Jahren des verwöhnt werdens sollte sie jedoch wissen, dass sie nicht für den Teller gedacht war – denn sie war ein kluges Stück Schweinefleisch. Aber da sie an diesem Tag so penetrant schnüffelte und ihn mit der Nase stieß, fragte Matthew sich, ob er sich allen Pferdemist aus den Haaren gewaschen hatte. Gestern Nacht hatte er sich in der Waschschüssel mit Sandelholzseife fast die Haut vom Leibe geschrubbt, aber vielleicht roch Cecilys talentierte Nase noch einen hängengebliebenen Mief.
»Cecily!«, rief Hiram nach einem besonders harten Stoß der rundlichen Schweinedame gegen Matthews rechte Kniescheibe. »Was ist denn heute nur mit dir los?«
»Ich weiß es jedenfalls leider nicht«, war Matthews Antwort, obwohl er annahm, dass Cecily von irgendeinem Aroma, das er trotz sauberer Hose, Hemd und Strümpfe verströmte, ans Herumsuhlen im Schweinestall erinnert wurde.
»Sie ist nervös, das ist, was mit ihr los ist.« Patience, eine große, stämmige Frau, deren graue Haare unter einer blauen Baumwollhaube hochgesteckt waren, sah von der Feuerstelle auf. Mit dem Blasebalg heizte sie das Feuer unter der Brotpfanne an. »Irgendwas macht sie unruhig.«
Hiram, der genauso massiv gebaut war wie seine Frau und der weiße Haare, einen weißen Bart und Augen vom selben hellen Braun wie der Ton hatte, den er so gewissenhaft verarbeitete, schlürfte seinen Tee. Er beobachtete, wie Cecily eine Runde durch die Küche lief und dann unter den Tisch zurückkehrte, um abermals schnaufend gegen Matthews Knie zu stoßen. »So hat sie sich doch ein, zwei Tage vor dem Feuer verhalten, weißt du nicht mehr? Ich glaube ja, dass sie weiß, wenn sich was Schlimmes ereignen wird.«
»Ich wusste nicht, dass sie eine Wahrsagerin ist.« Matthew schob seinen Stuhl ein Stück zurück, damit Cecily mehr Platz bekam. Leider schubste sie ihn weiter mit der Schnauze.
»Na, sie mag Euch.« Kurz zeigte sich ein spöttisches Lächeln auf Hirams Gesicht. »Vielleicht versucht sie Euch was zu sagen.«
Einen Tag zu spät, dachte Matthew.
»Ich weiß noch«, sagte Patience leise und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, »als Dr. Godwin das letzte Mal hier war. Um seine Teller abzuholen. Kannst du dich erinnern, Hiram?«
»Dr. Godwin?« Hirams Augen verschmälerten sich um einen Millimeter. »Hm«, machte er.
»Was war denn mit Dr. Godwin?«, fragte Matthew. Ihm schien, dass er es vielleicht wissen sollte.
»Es ist nicht weiter wichtig.« Hiram trank wieder einen Schluck und machte sich daran, das letzte Stück Maisbrot auf seinem Teller zu essen.
»Ich denke aber doch«, beharrte Matthew. »Wenn Ihr es schon erwähnt, muss es das doch sein.«
Hiram zuckte die Achseln. »Na ja, es war eben nur … Cecily, sonst nichts.«
»Aha. Und was hat Cecily mit Dr. Godwin zu tun?«
»An dem Tag, als er kam, um seine Teller abzuholen, hat sie sich auch so benommen.«
»An dem Tag?« Matthew wusste genau, was er damit meinte, aber er musste trotzdem fragen: »Ihr meint den Tag, an dem er ermordet wurde?«
»Es tut doch wirklich nichts zur Sache«, sagte Hiram, rutschte aber unruhig auf seinem Stuhl herum. Er hatte gedacht, dass er sich an Matthews unersättlichen Appetit für Fragen und besonders an den durchdringenden Gesichtsausdruck des jungen Mannes gewöhnt hatte, der sich immer zeigte, sobald er auf etwas Interessantes stieß. »Ich bin mir nicht sicher, ob es an genau dem Tag oder einem anderen gewesen ist. Und danke, Patience, dass du das erwähnt hast.«
»Ich habe nur laut gedacht«, sagte sie in fast entschuldigendem Tonfall. »Ich habe damit nichts weiter gemeint.«
»Hörst du damit jetzt auf?« Entnervt erhob sich Matthew, um Cecily zu entkommen. Die Knie seiner Hose trieften von Schweinesabber. »Ich muss mich auf den Weg machen. Vor der Arbeit habe ich noch etwas zu erledigen.«
»Die Maisfladen sind fast fertig«, meinte Patience. »Setzt Euch, der Richter wird …«
»Nein, entschuldigt bitte. Danke für das Frühstück. Ich nehme an, dass ich Euch beide bei Lord Cornburys Ansprache sehen werde?«
»Wir werden da sein.« Auch Hiram erhob sich. »Matthew, das bedeutet doch alles nichts. Es ist nur ein Schwein, das mit Euch spielt.«
»Ich weiß, dass es nichts bedeutet. Ich habe nicht das Gegenteil behauptet. Und ich weise die Idee zurück, dass es irgendeine Verbindung zwischen Dr. Godwin und mir gibt. Ich meine … was das ermordet werden angeht.« Guter Gott, dachte er. Habe ich Fieber? »Dann sehe ich Euch heute Nachmittag«, sagte er und wich Cecily aus, die ihn schnaufend umkreiste. Er ging zur Tür hinaus und marschierte über den mit Naturstein gelegten Pfad zur Straße.
Wie albern!, sagte er sich auf seinem Weg in südliche Richtung. Sich wegen der angeblichen hellseherischen Qualitäten eines Schweins durcheinanderbringen zu lassen – als ob er tatsächlich an so etwas glaubte. Nun, manch einer glaubte Derartiges. Manche behaupteten, dass Tiere einen Wetterwechsel und dergleichen schneller als Menschen spüren konnten, aber einen Mord vorherzusagen … das klang wie Hexerei. Und daran glaubte er auch nicht!
An diesem schönen Morgen wirkte es, als wäre die gesamte Bevölkerung von New York auf den Straßen unterwegs. Sie liefen, hockten, huschten und bellten rund um ihn herum – und das waren nur die Katzen, Ziegen, Hühner und Hunde. Die Stadt wurde immer mehr zum Zoo, da die Hälfte der Menschen die dreimonatige Überfahrt von England nicht überlebte, während ihr Vieh sich am grüneren Gras von Nordamerika labte.
Die Töpferei der Stokelys war eines der abgelegensten Häuser der Stadt. Gleich nördlich der Haustür lag die High Road, die über gewellte Felder und mit dichten grünen Wäldern bekränzte Hügel zur weit entfernten Stadt Boston führte. Goldene Sonnenflecken schimmerten auf dem Wasser des East River und des Hudson, und als Matthew auf seinem Weg den Broad Way entlang auf einer Anhöhe ankam, genoss er die weite Aussicht über New York, über die er sich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit freute.
Über den unzähligen gelbgeschindelten