H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells
nach ihm hinaufkletterte, schlug der riesige Deckel mit einem Klirren in sein Schloss. Eine lange Zeit lagen wir atemlos da und wagten nicht, uns dem Loche zu nähern.
Aber schließlich krochen wir sehr vorsichtig und Stück für Stück an eine Stelle, von wo aus wir hinunterspähen konnten. Die Büsche um uns krachten und schwankten unter der Gewalt eines Windes, der in den Schacht hinunterblies. Erst konnten wir nichts sehen als glatte, senkrechte Wände, die schließlich in undurchdringliches Dunkel versanken. Und dann bemerkten wir sehr allmählich eine Anzahl sehr blasser und kleiner Lichter, die hin und her gingen.
Eine Weile hielt uns dieser stupende Abgrund des Geheimnisses gebannt, sodass wir sogar unsere Sphäre vergaßen. Mit der Zeit, als wir uns mehr an die Dunkelheit gewöhnten, konnten wir sehr kleine, dunkle, flüchtige Gestalten zwischen diesen Nadelknopflichtern herumziehen sehen. Wir spähten erstaunt und ungläubig hinab und begriffen es so wenig, dass wir keine Worte finden konnten. Wir konnten nichts erkennen, was uns einen Anhaltspunkt für die Bedeutung der blassen Gestalten geben konnte, die wir sahen.
»Was kann das sein?«, fragte ich, »was kann das sein?«
»Die Maschinerie! … Sie müssen während der Nacht in solchen Höhlen leben und tagsüber herauskommen.«
»Cavor!«, sagte ich. »Können sie – das – es war etwas wie – Menschen?«
»Das war kein Mensch.«
»Wir dürfen nichts riskieren!«
»Wir dürfen nichts unternehmen, bis wir die Sphäre finden!«
»Wir können nichts tun, bis wir die Sphäre finden!«
Er stimmte mit einem Seufzer bei und machte eine Bewegung zum Gehen. Er starrte eine Zeit lang um sich, seufzte und zeigte eine Richtung. Wir brachen durch den Dschungel. Eine Weile krochen wir entschlossen vorwärts, dann mit geringer werdender Kraft. Plötzlich erdröhnte unter großen Gestalten schlottrigen Purpurs der Lärm von Gestrampel und Geschrei um uns. Wir lagen still, und eine lange Zeit gingen die Töne in großer Nähe hin und her. Aber diesmal sahen wir nichts. Ich versuchte Cavor zuzuflüstern, ich könne ohne zu essen kaum noch viel länger weiter, aber zum Flüstern war mir der Mund zu trocken geworden.
»Cavor«, sagte ich. »ich muss zu essen haben.«
Er wandte mir ein Gesicht voller Entsetzen zu. »Es ist ein Fall zum Durchhalten«, sagte er.
»Aber ich muss«, sagte ich, »und sehen Sie sich meine Lippen an!«
»Ich bin schon seit einiger Zeit durstig.«
»Wenn nur noch etwas von dem Schnee übrig wäre!«
»Er ist rein weg! Wir fahren mit der Geschwindigkeit von einem Grad die Minute vom Nordpol zum Äquator …«
Ich nagte an meiner Hand.
»Die Sphäre!«, sagte er. »Es bleibt nichts als die Sphäre.«
Wir rafften uns zu einer neuen Kriechanstrengung auf. Meine Gedanken drehten sich einzig um essbare Dinge, um die zischende Tiefe von Sommergetränken; insbesondere verlangte mich nach Bier. Mich verfolgte die Erinnerung an ein Fünfzehn-Gallonen-Fass, das zu Lympne in meinem Keller geprunkt hatte. Ich dachte an die anstoßende Speisekammer und besonders an Steak und Nierenpastete – zartes Steak und reichliche Niere und dazu dicker, schwerer Fleischsaft. Hin und wieder ergriffen mich Anfälle hungrigen Gähnens. Wir kamen an flache Stellen, die mit fleischigen, roten Pflanzen überwachsen waren, ungeheuren korallenartigen Gewächsen; als wir gegen sie stießen, schnappten sie und brachen ab. Das verdammte Zeug sah jedenfalls nach beißbarer Struktur aus. Dann schien mir, es röche ziemlich gut.
Ich hob ein Stück auf und roch daran.
»Cavor«, sagte ich in einem heiseren Flüsterton.
Er sah mich mit in die Höhe geschraubten Gesicht an. »Nicht!«, sagte er. Ich warf das Stück hin und wir krochen eine Strecke durch diese verlockenden Fleischmassen weiter.
»Cavor«, fragte ich, »warum nicht?«
»Gift«, hörte ich ihn sagen, aber er blickte nicht zurück.
Wir krochen noch eine Strecke weit, ehe ich mich entschloss.
»Ich will es riskieren«, sagte ich.
Er machte eine verspätete Geste, um mich zu hindern. Ich stopfte mir den Mund voll. Er kauerte sich hin und beobachtete mein Gesicht; sein eigenes verzerrte sich zum wunderlichsten Ausdruck. »Das Zeug ist gut«, sagte ich.
»O Himmel!«, rief er.
Er beobachtete mich, wie ich kaute, sein Gesicht runzelte sich zwischen Verlangen und Missbilligung; dann plötzlich unterlag er dem Appetit und begann große Bissen herunterzureißen. Eine Zeit lang taten wir nichts als essen.
Das Zeug war einem irdischen Pilz nicht unähnlich, nur war es im Gewebe viel loser, und wenn man es schluckte, machte es die Kehle heiß. Zuerst empfanden wir eine bloß mechanische Befriedigung beim Essen; dann begannen neue und leicht zusammenhangslose Ideen in unserm Geist aufzusprudeln.
»Es ist gut«, sagte ich. »Höllisch gut! Was für eine Heimat für unsere überschüssige Bevölkerung. Unsere arme überschüssige Bevölkerung!«, und ich brach mir eine neue, große Portion ab.
Es erfüllte mich mit einer sonderbaren wohlwollenden Befriedigung, dass es so gute Nahrung auf dem Monde gab. Die Depression meines Hungers wich einer unvernünftigen Heiterkeit. Die Furcht und das Unbehagen, in denen ich gelebt hatte, verschwanden völlig. Ich sah den Mond nicht länger im Licht eines Planeten, von dem ich innigst fortkommen zu können wünschte, sondern im Licht eines Asyls für menschliche Armut. Ich glaube, ich vergaß die Seleniten, die Mondkälber, den Deckel und die Geräusche vollständig, sobald ich diese Schwammpilze gegessen hatte.
Auf meine dritte Wiederholung der »überschüssigen Bevölkerung« antwortete Cavor mit ähnlichen Worten des Lobes. Ich fühlte, dass mir der Kopf schwamm, aber ich schrieb das der anreizenden Wirkung des Essens nach langem Fasten zu. »Au’geßeichnete En’eckung, das, Cavor«, sagte ich. »Bes’e nach ’er Ka’offl.«
»Wa’ mei’ Sie?«, fragte Cavor. »En’eckung ’s Mon’s – bes’e nach ’er Ka’offl?«
Ich sah ihn an, entsetzt über seine plötzlich heisere Stimme und die schlechte Artikulation. Mir blitzte auf, dass er berauscht war, möglicherweise von dem Pilz. Mir fiel auch ein, dass er irrte, wenn er meinte, er habe den Mond entdeckt, er hatte ihn nicht entdeckt, er hatte