Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von Buchner

Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman - Friederike von Buchner


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ist das für Zeug?«, rutschte es Lotti heraus.

      »Das sind Leckerlis für die Schweine. Kinder bekommen Bonbons und Schokolade, die Schweinchen bekommen das hier.«

      Lotti wunderte sich. Sie sah dem Fremden zu, wie dieser sofort in den Wagen einstieg und rückwärts vom Hof fuhr. Er wendete mit großem Schwung und fuhr schnell davon.

      »Himmel, was war das?«, sagte Lotti vor sich hin.

      Sie trug das kleine Paket in den Anbau des Schweinestalls, in dem ihr Vater sein Büro hatte. Sie stellte es auf dem Schreibtisch ab. Lotti war schon an der Tür, als ihre Neugierde doch die Oberhand gewann. Sie ging zurück, nahm eine Schere und durchtrennte das Klebeband. In dem Karton befand sich, in Schaumstoff verpackt, eine gegen Bruch gesicherte Glasflasche mit Plastikschraubverschluss. Das granulierte Pulver war weiß und geruchlos.

      »Was ist das für ein Zeug? Es hat kein Etikett. Ich musste keinen Lieferschein unterschreiben. Bezahlen tut der Vater bar, wenn der Typ wiederkommt.«

      Lotti redete leise mit sich selbst. Ihr Herz klopfte. Eine dunkle Ahnung bemächtigte sich ihrer. Der Gedanke war so ungeheuerlich, dass ihr fast die Beine versagten.

      Lotti ließ sich auf den Stuhl sinken. Sie riss ihr Kopftuch herunter, löste die Spange aus dem Haar und massierte sich mit beiden Händen den Schädel, als könnte sie damit erreichen, dass sie klarer denken konnte. So saß sie eine Weile da und starrte auf die Flasche, die vor ihr auf dem Tisch stand.

      Dieser Typ muss Vater regelmäßig solches Zeug bringen, schloss sie. Vielleicht finde ich noch andere Flaschen. Sie stand auf und begann sys­tematisch den Raum und alle Nebenräume zu durchsuchen. In einem Nebenraum wurde sie fündig. Dort fand sie eine angebrochene Flasche und im Abfallcontainer weitere leere Gefäße derselben Art.

      Lotti konnte sich zwar nicht vorstellen, dass ihr Vater heimlich unerlaubte Zusatzstoffe dem Schweinefutter beimengte, aber die Saat des Misstrauens war in ihrem Herzen bereits aufgegangen. Sie wurde von widersprüchlichen Gefühlen geplagt. Auf der einen Seite konnte sie es sich nicht vorstellen, dass ihr Vater so etwas tat. Auf der anderen Seite wusste sie, dass bei Kontrollen immer wieder landwirtschaftliche Betriebe dabei erwischt wurden. Lotti hatte darüber in der Zeitung gelesen und sich jedesmal sehr darüber aufgeregt.

      Ihr Vater hatte sie immer beruhigt: Das seien Einzelfälle. Kein Bauer, der etwas auf sich halte, würde das Risiko eingehen. Die Kontrollen würden immer strenger und die Methoden bei der Fleischuntersuchung genauer. Nur jemand, der mit seiner Existenz spielte, würde sich auf so etwas einlassen.

      Lottis Handy klingelte. Sie schaute auf das Display. Es war ihr Vater. Sie nahm das Gespräch an.

      »Grüß dich, Vater!«

      »Hallo, mein Madl! Wie geht es? Alles in Ordnung?«

      »Ja, schon! Warum fragst du?«

      »Einfach so! Ich wollte wissen, wie es dir geht. Kommst klar?«

      »Ja, Vater! Ich mache alles so, wie du es mir aufgeschrieben hast. Außerdem habe ich frei. Ich baue Überstunden ab. Des hat sich kurzfristig ergeben.«

      »Des ist schön! Übrigens, dem Großvater geht es wieder besser. Er nimmt endlich seine Arznei. Er läuft schon wieder herum. Wenn es ihm morgen auch so gut geht, dann kommen wir bald heim.«

      »Das freut mich, dass es ihm wieder gut geht. Sage ihm liebe Grüße.«

      »Das werde ich! Der Jean hat mich angerufen. Er war wohl auf dem Hof und hat zu mir gewollt.«

      »Du meinst, den Typen mit dem ausländischen Kennzeichen am Auto, dem ich deine Handynummer gegeben habe?«

      »Ja, den meine ich!«

      »Des ist vielleicht ein komischer Kerl, wortkarg und verschlossen! Hat sich mir nicht vorgestellt.«

      »Ja, der Jean ist ein bisserl sonderbar, aber ein guter Kerl. Wir kennen uns schon lange. Er lebt in Belgien und hat immer viel zu tun. Hat er ein Päckchen für mich dagelassen?«

      »Ja, Vater, das hat er! Er sagte etwas von Futtermitteln. Was ist das?«

      »Gutes Zeug für die Schweine. Musst dich net drum kümmern. Des mache ich, wenn ich wieder daheim bin. Schließ des Packerl bitte im Schreibtisch ein. Es darf net fortkommen. Des Zeugs ist teuer, sehr teuer!«

      »Vater, was ist das für ein Zeugs?«

      »Mei, Lotti, was stellst du mir auf einmal für Fragen? Des sind Vitamine. Ich nehme an dem Testprogramm eines großen Futtermittelherstellers teil. Deshalb rede mit niemandem drüber!«

      »Heißt des, dass des Zeugs verboten oder nicht zugelassen ist?«

      »Lotti, jetzt gehst zu weit! Madl, was denkst du? Willst mich beleidigen?«

      »Das net, Vater! Dieser Jean kam mir nur ein bisserl sehr sonderbar vor.«

      »Gut, dann will ich es dir mal erklären. Der Futtermittelmarkt ist hart umkämpft. Die Konkurrenz soll net Wind davon bekommen, ver­stehst?«

      »So? Deshalb wird des Zeugs so ausgeliefert, und du beziehst des net beim Händler?«

      »Genau so, jetzt hast begriffen! Also, dann genieße deine freie Zeit.«

      »Des mache ich, Vater! Grüß die Mutter und die Großeltern und Tante und Onkel. Bis dann, Vater! Pfüat di!«

      »Pfüat di, Lotti!«

      Lotti Kirchner schaltete das Handy aus. Ihr Herz raste. Jetzt war sie noch mehr beunruhigt als zuvor. Sie schloss die Lieferung ein, wie sie es ihrem Vater versprochen hatte. Dann holte sie ein kleines leeres Schraubglas, wie es ihre Mutter zum Einkochen von Marmelade verwendete und füllte aus der gleichaussehenden Flasche eine Probe des weißen Pulvers ab. Dann ging sie zurück ins Haus.

      *

      Lotti nahm eine Dusche und schlüpfte in frische Kleider. Sie zog grüne Jeans und eine grünrotweiße, karierte Hemdbluse mit kurzen Ärmeln an. Ihre schulterlangen Haare band sie zu einem Pferdeschwanz hoch. Sie betrachtete sich im türgroßen Spiegel ihres Kleiderschrankes. Sie gefiel sich.

      Ich sehe ganz gut aus, dachte sie. Weiß der Geier, warum mich die Burschen übersehen!

      Lange beschäftigte sich Lotti nicht mit diesen Gedanken. Die Sorgen um das weiße feine Granulat drängten sich ihr wieder in den Sinn.

      Lotti holte sich Brot, Wurst und Schinken aus der Speisekammer. Sie ging in die Küche und machte sich etwas zu essen. Unschlüssig betrachtete sie die Lebensmittel. Sie stammten aus der eigenen Hausschlachtung, das wusste Lotti. Wenn das Schwein das Zeugs bekommen hat, dann können Rückstände darin sein. Lotti verging der Appetit. Sie räumte Wurst und Schinken wieder in die Speisekammer. Dann ging sie in den Garten und holte sich Tomaten und Karotten, die sie so aus der Hand aß.

      Lotti hatte in ihrer Ausbildung zur Säuglingsschwester gelernt, wie schädlich Zusatzstoffe in Tierfutter sein konnten. Viele Krankheiten konnten dadurch ausgelöst werden, bis hin zu massiven Schädigungen des Ungeborenen. Auch bei Erwachsenen können die Zusatzstoffe Krankheiten auslösen.

      Lotti war im Konflikt zwischen der Loyalität gegenüber ihrem Vater und der Verantwortung, die sie spürte. Die Gesundheit ist das höchste Gut, und jeder Mensch trägt Verantwortung, sie zu erhalten, für sich und für andere, dachte Lotti. Sie überlegte, was sie tun sollte und mit wem sie darüber reden konnte. Jetzt wäre es gut gewesen, wenn sie einen Liebsten gehabt hätte, dem sie hätte wirklich vertrauen können. Aber dem war leider nicht so.

      Ich muss ganz alleine damit fertig werden, dachte sie. Sie wusste, dass es eine Pflicht gab, den Einsatz von illegalem Futterzusatz zu melden. Das galt für jedermann, der den Verdacht hatte. Wenn ich es tue und festgestellt wird, es sind keine harmlosen Vitamine, dann gibt es einen Skandal. Dann ist Vater ruiniert, der Hof ist ruiniert. Waldkogel kommt in die Schlagzeilen und die anderen Bauern auch in Verruf. Lotti wagte nicht, sich dies in allen Einzelheiten vorzustellen. Es war zu schrecklich. Aber zu wissen und zu schweigen, machte sie zur Mittäterin, das wuss­te Lotti auch. Sie erschrak


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