Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von Buchner

Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman - Friederike von Buchner


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gab es zu viele Fakten und Fragen. Die Erklärung, die sie ihrem Vater entlockt hatte, beruhigte sie nicht wirklich. Eher im Gegenteil. Er hatte sehr ungeduldig und etwas ärgerlich reagiert, was sonst nicht seine Art war. Er musste sich ertappt gefühlt haben.

      Lotti überlegte, ob ihre Mutter davon etwas wissen konnte. Sie half im Büro mit der Buchhaltung.

      »Büro – Buchhaltung! Das ist es«, sagte Lotti vor sich hin.

      Sie ging ins Büro. Nach und nach blätterte sie die Ordner mit den Rechnungen durch. Sie suchte eine Rechnung oder Unterlagen, auf denen etwas stand, zum Beispiel eine Nummer, wie die auf dem Karton. Es war Sommer. Lotti ging alle Ordner durch, rückwärts bis zum Beginn des Jahres. Sie fand nicht den kleinsten Hinweis.

      Es wunderte Lotti nicht. Er hatte mich keinen Lieferschein unterschreiben lassen, und abrechnen will er mit Vater demnächst. Lottis Herz klopfte wild, als sie sich noch mehr bewusst wurde, dass ihr Verdacht begründet war. Die Schweine bekamen einen Zusatz, der heimlich gegen Bargeld, ohne Papiere eingekauft wurde. Also, ist es etwas Verbotenes, etwas höchst Illegales, folgerte Lotti.

      Sie war sich sicher, dass sie ihren Vater damit konfrontieren musste. Aber um ihn zu überführen, brauchte sie Beweise. Die musste sie sich beschaffen, aber wie?

      Die Substanz zur Behörde zu bringen, bedeutete, ihren Vater in den Ruin zu treiben. Außerdem was ist, wenn ich mich geirrt habe? Das fragte sich Lotti. Sie war verzweifelt.

      Lotti ging wieder in den Garten und setzte sich auf die Bank, ihren Lieblingsplatz. Sie faltete die Hände, schaute hinauf zum Gipfelkreuz des ›Engelssteigs‹ und schickte ein Stoßgebet hinauf.

      »Bitte, bitte, schickt mir einen Einfall! Was soll ich tun?«

      Wie alle Waldkogeler glaubte Lotti daran, dass die Engel auf dem ›Engelssteig‹ auf einer für die Menschen unsichtbaren Leiter in den Himmel aufstiegen. Sie trugen die Gebete, Wünsche, Sorgen und Sehnsüchte hinauf und trugen sie dem Allmächtigen, seinem Sohn Jesus, der heiligen Muttergottes Maria und allen Heiligen vor.

      Lotti blickte in die andere Richtung. Auf dieser Seite des Tales ragte der Gipfel des ›Höllentors‹ in den Abendhimmel. Es hing eine kleine schwarze Wolke genau über dem Gipfel. Lotti erschrak zutiefst.

      »Wusste ich doch, dass etwas Schlimmes geschieht oder schon geschehen ist!«, sagte Lotti fast tonlos.

      Sie wusste seit ihrer frühsten Kindheit, dass eine schwarze Wolke über dem Gipfel des Berges nichts Gutes verhieß. Der Berg wurde ›Höllentor‹ genannt, weil jeder in Waldkogel davon überzeugt war, dass der Satan oben auf dem Gipfel ein Tor zur Hölle hatte. Öffnete der Teufel die Tür und schaute heraus, wurde eine schwarze Wolke sichtbar. Eine schwarze Wolke deuteten die Waldkogler, dass ein Unwetter, ein Unfall oder irgendeine Katastrophe bevorstand.

      Doch im gleichen Maß, wie Lotti sich vor dem ›Höllentor‹ fürchtete, vertraute sie auf die Hilfe und den Beistand der Engel hoch oben auf dem ›Engelssteig‹.

      Und plötzlich hatte sie eine Idee.

      »Danke! Danke, ihr Engel!«, flüsterte Lotti mit dankbarem Blick in Richtung des Engelssteigs.

      *

      Pfarrer Heiner Zandler saß in seiner Studierstube und las. Endlich kam er mal wieder dazu, sich mit der Geschichte von Waldkogel und der Umgebung zu befassen. Dabei ging es ihm nicht um Geschichtsforschung, sondern mehr um Geschichten. Er war jetzt schon viele Jahre in Waldkogel Geistlicher. Er war sogar in Waldkogel geboren und aufgewachsen, ein echter Bub der Berge. Im Laufe seiner Tätigkeit hatte er festgestellt, dass es viel zu erzählen gab. Wenn er Hausbesuche bei den alten Waldkogelern machte, dann erzählten sie ihm oft Anekdoten und Erlebnisse, schöne und weniger schöne.

      Diese Erlebnisse hatten Menschen zusammengebracht, getrennt oder wieder vereint. Pfarrer Zandler hatte irgendwann begonnen, sie aufzuschreiben, so wie er sie erzählt bekommen hatte. Jeder berichtete sie ihm aus seiner ganz eigenen Sicht. So hatte der Geistliche zu einen Ereignis oft ganz verschiedene Darstellungen erzählt bekommen. Wenn er Zeit hatte, verglich er die verschiedenen Blickwinkel und versuchte den Wahrheitsgehalt zu ergründen. Dieses Hobby betrieb der Geistliche im Stillen. Eines Tages wollte er vielleicht einmal ein Buch mit den Geschichten von Waldkogel herausbringen. Aber das würde sicherlich noch dauern.

      Auf jeden Fall machte ihm diese Geschichtsforschung über das Alltagsleben viel Freude.

      Als das Telefon schrillte, ließ er es erst einmal klingeln. Er hoffte, dass seine Haushälterin an den Hörer ginge. Doch dann fiel ihm ein, dass Helene Träutlein an diesem Abend nicht da war. Sie war bei einer Kollegin eingeladen.

      So nahm er den Hörer ab.

      »Zandler!«, meldete er sich.

      »Grüß Gott! Dem Himmel sei Dank, dass Sie am Telefon sind. Ich brauche Hilfe. Ich bin ganz durcheinander. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß wahrscheinlich etwas, was sehr schlimm ist. Sage ich der Behörde etwas, dann ist alles ruiniert und es gibt einen Skandal. Sage ich nichts, dann versündige ich mich gegen das Leben, denke ich. Kommen Sie schnell! Kommen Sie? Können Sie sofort herkommen?«

      Pfarrer Zandler lauschte. Ihm war klar, dass da jemand in höchster Gewissensnot war. Er konnte die weibliche Stimme niemandem zuordnen. Wer könnte das sein, dachte er? Durch die Aufregung klang sie schrill und überdreht.

      »Ganz ruhig! Jetzt mal schön der Reihe nach. Sicher komme ich.«

      »Gleich, sofort? Bitte! Ich warte!«

      »Langsam, langsam! Du musst mir erst sagen, wohin ich kommen soll. Du hast mir deinen Namen net gesagt!«

      »Ich bin es, die Lotti Kirchner vom Kirchner Hof.«

      »Die Lotti, soso! Madl, jetzt mal ganz in Ruhe! Was hast denn?«

      »Des kann ich am Telefon net sagen, Herr Pfarrer! Des muss ich Ihnen zeigen und Ihnen auch etwas geben. Ich denke, ich habe etwas Schlimmes gefunden, und des macht mir Angst.«

      »Gut, Lotti! Jetzt hörst mir mal zu. Wo bist jetzt?«

      »In unserer Küche am Telefon!«

      »Fühlst dich bedroht?«

      »Naa!«

      »Des ist schon mal gut! Wo sind deine Eltern?«

      »Ich bin alleine. Die Eltern sind verreist, weil der Großvater so krank ist. Deshalb ist des geschehen, weil ich allein auf dem Hof war, sonst hätte ich des net erfahren.«

      Pfarrer Zandler konnte sich keinen Reim darauf machen. Er sagte:

      »Also, du setzt dich jetzt ganz ruhig hin und wartest. Ich nehme des Auto und komme.«

      »Danke, Herr Pfarrer! Bitte, beeilen Sie sich!«

      »Ja, Madl, ja! Ich lege jetzt auf.«

      Pfarrer Zandler legte den Hörer auf. Er seufzte. Er blieb einen Augenblick ganz ruhig in seinem Studierzimmer stehen und überdachte das Gespräch. Er kannte die Lotti gut und hatte sie als braves, ruhiges Madl im Gedächtnis, das jeden Sonntag in die Messe kam, wenn sie keinen Dienst im Krankenhaus hatte. Er konnte sich keinen Reim da­rauf machen, was Lotti so aufgeregt hatte. Sie schien verängstigt und verwirrt. Auf jeden Fall hatte sie ihn angerufen und wollte ihn ins Vertrauen ziehen.

      Pfarrer Zandler ging in die Pfarrhausküche und steckte die Dose mit den gesammelten Kräutern der Ella Waldner ein. So ein Kräutertee würde die Lotti beruhigen. Wer weiß, ob sie welchen daheim hat, dachte er. Zandler war ein Mensch, der praktisch dachte. Dann ging er zu seinem alten Auto, das neben dem Pfarrhaus stand. Lieber hätte er einen schönen Abendspaziergang zum Kirchner Hof gemacht. Außerdem hatte ihm Doktor Martin Engler ans Herz gelegt, das Auto öfters stehenzulassen und sich mehr zu bewegen. Aber Lottis Anruf war ein Notfall. Da musste er das Auto nehmen, um schnell zu ihr zu kommen. Es war ein richtiger Hilferuf, dachte Pfarrer Zandler.

      Er fuhr rückwärts aus der Garage und wendete auf der Hauptstraße. Dann starb der Motor ab. Pfarrer Zandler versuchte immer und immer wieder, den Wagen anzulassen.


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