Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan
letzten Zügen liegenden Klaviers eine so komische Wirkung, daß sogar Heinz Marquardt lächeln mußte.
Und ohne sich recht klar zu werden über den Grund seines Zutrauens, sprach Marquardt den jungen Menschen an:
»Macht Ihnen wohl Spaß, was?«
Der andere ließ die Hände auf den Tasten ruhen, hob sein blondes, verschwiemeltes Gesicht und öffnete mit einer komischen Grimasse den Mund weit, ohne zu sprechen.
»Na, spielen Se doch mal ordentlich«, meinte Heinz Marquardt.
»Erst 'n Jroschen!« sagte der andere lakonisch.
Marquardt, dem die Groschen sonst nicht so lose saßen, gab ihm zehn Pfennig mit den Worten:
»Nu, sagen Se mal, wie kann 'n anständiger Mensch, wie Sie, sich in so 'ner Kaschemme aufhalten?!«
»Kaschemme 7!« Der andere zog den Mund ganz auf die Seite und die rechte Augenbraue hoch hinauf. »Sie Männeken, lassen Se det nich Mutta Streicherten heeren, sonst klackt Ihn' die 'n Weißbierjlas uff Ihren Resedatopp, det de Blieten wackeln, vastehen Se! ... Det is doch hier keene Kaschemme nich! Hier vakehrt det dufteste Publikum aus de janze Knallbockstraße 8!«
Heinz Marquardt klopfte ihm leicht auf die Schulter: »Na, lassen Sie man, so war's ja auch nicht gemeint ... man sagt doch so! ...«
»Ich sage, du sagst, er sagt, wir sagen, ihr sagt, sie sagen! Sie! – Sie! Sie haben überhaupt nischt zu sagen, vastehn Se, Sie olle Modderpflaume! Ja, wenn Sie noch Lokalkenntnisse besitzen dhäten! ... Soll ick Ihn' mal in't »Kabarett zum vabubanzten Theodor« rinjeleiten? Ja? ... Da kenn' Se seh'n, wat 'ne Kaschemme is! ... Damit Se davon mitreden kenn'! Wenn Ihn' mal 'n anständijer Mensch nach fragen sollte ...«
Heinz Marquardt lachte absichtlich laut, damit der andere Zutrauen fassen sollte. Und von einem instinktiven Entschluß bewegt, sich selbst auf die Stufe derer zu stellen, die er suchte, setzte er leise hinzu:
»Wo man nu doch schon mal gesessen hat, das is ja alles ejal! ...«
Der andere betrachtete ihn rasch mit seinen etwas glasigen Augen, dann sagte er:
»Sie wer'n doch woll nischt dajejen ham', wenn ick Sie hier zu mein' Wohltäter ernenne. Indem ick nemlich vajessen habe, mir die netige Pinke in de Tasche zu stoppen. Frau Streicherten!«
Die Wirtin, die einen Augenblick nach hinten gegangen war, erschien sofort.
»Zahlen!« Der junge Mensch deutete auf Heinz Marquardt, »der Herr da hat ma 'n Konto eröffnet! Daraus kenn' Se sehn, Mutta Streicherten, det es noch Menschen jibbt uff de Welt, und zweetens, det ick erst noch eenen trudeln 9 were! ... Aniskuchen mit kleene Kinder 10! ... so! ... bravo! ... Na, wie is't, Herr Nachbar, wollen Se nich och eenen zwitschern 11?«
Heinz Marquardt hatte inzwischen hin und her überlegt: sollte er diesem Menschen, der ihn jetzt schon anwiderte, hier die Zeche zahlen ... wieviel verlangte die Frau? ... Eine Mark fünfundzwanzig Pfennig? ... Davon lebte er selber den ganzen Tag! Und schließlich erfuhr er gar nichts? Der wußte am Ende überhaupt nicht mal die Adresse einer Kaschemme! ... Und schon wollte er sich weigern, die Getränke des Klavierspielers zu berichtigen, als die Wirtin offenbar ganz zufällig sagte:
»Wenn de Thedorn heute noch siehst, denn sag'n man, er sollte mal morgen vormittag zu mich rankommen, ick hab'n wat zu sagen!«
»Det is nämlich det Fräulein Frau von dem vabubanzten Theodor!« sagte Alex und machte eine groteske Handbewegung.
»Also ick bestell' es, vaehrte Frau Wirtin! Ick kennte sojar jleich hinloofen, denn bis der Herr da« – er zeigte auf Heinz – »seine Minzensammlung rausjesucht hat, bis zu dem jroßen Momang bin ick wieder da! ... Ihre Olle hat Ihn' woll die Knöppe 12 festjenäht, wat?«
Marquardt nickte.
Dann gingen sie beide.
Draußen fror es, trotzdem schon der Februar zu Ende ging, ziemlich stark.
Der Klavierspieler hatte die Fäuste in die Taschen seiner Kellnerjacke gebohrt und sagte:
»Nächste Woche reis' ick nach Italien, woll'n Se mit?«
Heinz Marquardt, der diese in trockenem Tone gemachte Bemerkung zuerst ernst nahm, schüttelte den Kopf und erwiderte:
»Ich habe hier zu tun.«
Nun lachte der andere:
»Ick ooch! ... bloß ick weeß noch nich wat! Schließlich kommt et noch uff arbeeten raus! Neulich sollte ick doch schon mal Schnee schippen! Aber nee, wissen Se, det mach ick nich, darunter leid't meine Klaviertechnik ... bitte, hier jeht's weiter, immer jrade aus! Sie fürchten sich doch nichetwa, weil et da so einsam wird! ... Nee, nee, haben Se man keene Angst, ick dhu Ihnen nischt! ... Ick bin 'n janz anständijer Mensch!«
Marquardt antwortete kaum. Und der andere hörte das, was er brummelnd sagte, auch nicht. Er schwatzte fortwährend selber, bis sie beide vor einem kleinen Hause standen, zu dessen Tür zwei Steinstufen hinauf führten.
Indem sie eintraten, sagte Alex etwas ernster:
»Halten Se sich aber an mir! ... Et verkehrt nemlich 'ne Menge Jesindel in det Haus. Un wenn nachher de Plattmolle 13 wech is, denn soll ick se Ihn' womöglich noch asetzen ... also rin!«
»Ei du mein Pusselken! ... Pusselken! ... Du Feines! Dusselken! ... Du Kleines! ...«
»Heeren Se?« sagte Alex, »die sind schon widder mechtig in Stimmung dadrinne! Ja, ja, der Theodor, wenn der mal seinen Affen losläßt, da bleibt keen Ooge drocken!«
Heinz Marquardt dachte für einen Moment gar nicht an den Zweck seines Hierseins.
Nachdem sein Begleiter die Tür aufgestoßen hatte, befanden sie sich beide in einer Art Vorraum, wo an der Seite ein verlassener Schanktisch mit schmutzigem Geschirr und zum Teil zerbrochenen Gläsern beladen stand. Hier war es dunkel, aber die Tür zu einem Gange war offen, und dieser mündete in das Lokal selber.
Von dort her drang der Lärm der Gäste. Eben fing ein automatisches Klavier mit seinen harten hölzernen Takten zu spielen an, und dazwischen knarrte und quakte ein schlechter Phonograph. Die Dielen dröhnten vom Gestampf tanzender Füße, und ein johlender Gesang schwang sich über all das Brimborium.
Viel zu sehen war selbst jetzt noch nicht, als Heinz Marquardt mit seinem Begleiter an den Stufen der hölzernen Treppe stand, die in den ziemlich großen, niedrigen Raum hinabführte, der von einer einzigen, kolossalen Dampfwolke erfüllt war, in der unter der Decke mehrere Petroleumlampen wie im Nebel schimmerten.
»Seh'n Se, det is det Kabarett zum vabubanzten Theodor,« sagte Alex, »denn warum nich? Wenn de feinen Leite sich sowat leisten, denn könn' wir't schon lange! ... Na, komm' Se man! Ihn' beißt hier keener!«
Damit stieg er die vom verschütteten Bier nassen Stufen hinab, und Heinz, dessen Augen sich allmählich an den beizenden Zigarren- und Zigarettenqualm gewöhnten, folgte ihm.
Er wäre aber beinahe lang hingeschlagen, so wurde er von zwei tanzenden Mädchen angerannt, die gleich stehen blieben und hell auflachten über das verdutzte Gesicht des Bureauschreibers.
»Na Kleener, wat willst du denn hier?« sagte die eine, »wie kommst du denn hierher?«
»Ich hab'n mitjebracht,« mischte sich Alex ein, »aber det is nischt vor dir, Aprikosenjuste, der Herr is wat bessert jewöhnt und will bloß ma' seh'n, wie 'ne Kaschemme aussieht! ...«
»So,«