Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan
Gottes willen!«
Das war das erste, was Marquardt leise sagte. All sein Verdacht, sein Zorn, seine Rachsucht, jede bittere Regung wich beim Anblick dieses Unglücklichen, der mit finsterem Blick fern von ihm stehen blieb, und dessen entstelltes, gramzerwühltes Gesicht die schwerste Anklage für Marquardt war!
»Maaß!« sagte Heinz, »Maaß, was ist denn mit Ihnen?«
»Was mit mir ist?« Die Stimme des Gepeinigten klang dumpf und wie längst dem Leben nicht mehr angehörig. »Mit mir is gar nichts! ... Ich bin 'n Mörder! ... Hahaha! ...« Er lachte, halb schluchzend, auf. »Ich habe ja deine Frau ermordet, du! ... Weißte denn das nicht? ... Da geh' rein zu dem Untersuchungsrichter! Der wird's dir sagen: ich bin raufgegangen zu ihr, bin auf sie eingedrungen, sie hat mich zurückgestoßen, und da hab' ich sie niedergemacht! ... Jawoll, ja! ... Ja, ja, geh' man rein zu dem Hund dadrin!« – Er zeigte auf die Seitentür, hinter der wirklich Doktor Birckner stand und horchte.
»Maaß!« sagte Heinz, »Maaß, so höre doch.«
Aber der wich zurück.
»Komm mir nicht zu nah!« schrie er, »du machst deine Hände an mir blutig! ... Frage doch die Lumpen, ich triefe von unschuldig vergossenem Blut!«
»Ich hab's ja nie geglaubt, daß du's warst!« murmelte Marquardt, »aber schließlich ... wenn's doch alle sagen.«
»Ja, ja,« um Maaßens Mund irrte ein verzerrtes Lächeln, »wenn's alle sagen, dann ist's wahr! ... Dann is man ein Mörder und wird hingerichtet! ... Du, Marquardt!« er kam mit gekrümmtem Arm, den ausgestreckten Zeigefinger vorm Gesicht, langsam auf Marquardt zu, »du bist der einzige, der mich wirklich kennt! ... Wenn ich erst fort bin von der Welt, denn begnadigt werden jetzt keine Mörder mehr! ... Weißt du, wenn du erst deinen Willen hast und ich tot bin, du ... dann ... dann geh zu meiner Mutter! ... Ich hab' an sie geschrieben, aber sie antwortet mir nicht, oder das Gesindel da drin hat meine Briefe unterschlagen! ... Geh zu ihr, Marquardt, sag ich, ich bitte dich! Beim Andenken an Trude, die ich lieber gehabt habe als du, bitt' ich dich, geh' zu meiner Mutter!«
Er faßte mit der linken Hand, laut stöhnend, an seinen Kopf und weinte.
»Geh zu ihr hin und sag' ihr Lebewohl von mir! ... Früher, da hab' ich nicht dran geglaubt, daß nach dem Tode noch was kommt, aber jetzt, jetzt weiß ich's! Wo ich die Menschen kennengelernt habe, daß sie nichts wie Raubtiere und Bestien sind, da muß noch was anderes da sein!«
Er wurde stiller und sagte leise, fast wie mit sich selber redend:
»Die Trude wird auch da sein! ... Und dann ...«
Seine matten Augen schossen plötzlich Blitze, er reckte den Arm gegen Marquardt und schrie kreischend:
»Dann wird sie meine sein! ... Meine! ... Und dir nicht mehr gehören, der nicht mal verstanden hat, sie zu beschützen vor dem Scheusal, das sie ermordet hat!«
»Du bist es also wirklich nicht gewesen?« fragte Marquardt mit zager Stimme.
Und da kam wieder jenes milde, verzeihende Lächeln auf das Antlitz des Gefangenen. Er sagte:
»Sieh mich doch an! ... Seh ich denn so aus, als ob ich einen ermorden könnte?! ... Und sie ... gerade sie! ... Hier! So wahr ich hier stehe und so wahr ich Gottes Sonne noch sehe, ich hätte sie mit meinem Leben verteidigt! Ich habe nur eins zu bereuen: daß ich nicht hinaufgegangen bin zu ihr! ... Ich wäre ja dazugekommen, Marquardt, und hätte es verhindern können! Während ich unten, halb toll vor Sehnsucht, auf und ab gerannt bin, hat sie der Strolch da oben erstochen!«
Sie weinten beide.
Und dann ging Marquardt auf den Kleinen zu und umarmte und küßte ihn mit den Worten:
»Habe keine Angst, daß sie dir was tun ... ich finde den Mörder«, wollte er sagen, da wurde die Seitentür aufgestoßen, der Untersuchungsrichter stürzte herein und sagte, hochrot vor Ärger:
»Daß Sie hier Rührszenen aufführen, Verehrtester, dazu habe ich Ihnen die Erlaubnis nicht erteilt, den Gefangenen zu sehen!«
Er ging an die Korridortür, riß diese auf und rief: »Aufseher, der Gefangene wird sofort abgeführt!«
Der Gefangene sah den Untersuchungsrichter nur an, aber dieser Blick erfüllte den Vertreter der Gerechtigkeit mit tobender Wut:
»Raus!« schrie er, »raus! ... Das wäre ja noch schöner! ... Das wäre ja noch schöner!«
»Was denn?« fragte Marquardt, während er das Lebewohl, das Maaß ihm zunickte, herzlich erwiderte.
»Daß Sie sich hier Übergriffe erlauben, Sie! ... Sie! ... Daß ...« Doktor Birckner suchte nach Worten.
Aber Marquardt war die falscheste Adresse für solche Radomontade. Seitdem er seine Beamtenkarriere aufgegeben hatte, war die Freiheit und der Stolz mächtig erwacht in seiner Brust.
»Vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben!« sagte er mit äußerster Ruhe, »ich bin weder ein Gefangener noch Ihr Untergebener, Herr! ... Und im übrigen bin ich der Ansicht, daß Alfred Maaß vollkommen unschuldig ist!«
»Sie haben gar keiner Ansicht zu sein! ... Sie! ... Verstehen Sie! ...«
»Was?« Marquardt mußte fast lachen. »Sie wollen mir verbieten, eine Ansicht zu haben? ... Na, das wäre ja das Allerneueste!«
»Ich will gar nichts!« überschrie ihn der andere, »ich will bloß, daß Sie sich augenblicklich entfernen! ... Hinaus!«
Marquardt ging nach der Tür, auf die der Untersuchungsrichter in maßloser Aufregung deutete.
Aber die Klinke schon in der Hand, drehte sich der ehemalige Bureauschreiber noch einmal um:
»Vergessen Sie nicht, Herr Untersuchungsrichter, morgen früh die Zeitung zu lesen!«
Damit war er hinaus.
Er hörte noch etwas hinter sich herrufen und Türen klappen, aber mit stolzerhobenem Kopf, ohne seine Schritte im geringsten zu beschleunigen, verließ er das Gerichtsgebäude und begab sich direkt in die Redaktion der »Berliner Nachrichten«, die schon am nächsten Morgen eine detaillierte Schilderung der ganzen Szene brachten.
Es war eine wundervolle Maiennacht, in der sich Heinz Marquardt auf einer seiner gewöhnlichen Streifereien befand. Er hatte sich heute nach dem Süden der Stadt gewandt und patrouillierte die Wasserläufe der Gegend ab.
Der Mond stand so hell am Himmel, daß die Laternen die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen einzusehen schienen und nur matt schimmerten in dem weißen Licht, das die große Bogenlampe des Firmaments über die schlafende Stadt ausgoß.
Aber der Schlaf der Riesenstadt war auch in dieser Nacht viel weniger fest als sonst. Der Sang der Sprosser, die in den Baumalleen am Kanal schlugen, und die milde Luft lockte alle diejenigen aus den dumpfen Zimmern, deren Herz auch Frühling hatte. Viel Pärchen, Hand in Hand oder eng umschlungen, schlenderten umher und saßen auf den Bänken am Wasser – dem verwaisten Manne tat ihr Anblick wehe, er ging immer weiter, hinaus, wo die Gegend einsam war wie sein Herz.
Auch die letzten Tage hatten ihm, wie so viele der vorhergehenden, nur Enttäuschungen gebracht.
Anfangs der Woche war er wieder einmal bei der Baronesse gewesen, die in ihr luxuriöses Heim seit einiger Zeit zurückgekehrt war.
Aber sie hatte ihn nicht empfangen. Und als ihm am nächsten Tag zum zweiten Male der Bescheid wurde, das gnädige Fräulein sei nicht zu Hause, da sah er ein, daß hier alle fernere Mühe vergeblich sein und sie ihn voraussichtlich überhaupt nicht mehr empfangen würde.
Wußte sie wirklich etwas von dem Bruder? ... Wohl kaum! ... Vielleicht war es ihr unangenehm, daß Marquardt ihn, wenn er auch längst verschollen war, in diese Affäre hineinzog; vielleicht hatte auch Marquardts ganze Geschichte, in ihrem Leben nur eine flüchtige Episode, das Interesse für sie schon verloren und war ihr langweilig geworden.
Und das war der zweite Anhalt für seine Sache, der ihm verloren ging.
Denn