Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan
fällt der Verdacht doch immer wieder auf Maaß, und es müßte ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht schließlich doch noch 'n Geständnis aus ihm rauskriegten! ... Denn er ist's gewesen, daran ist gar kein Zweifel!«
»Na seh'n Siel« meinte der Untersuchungsrichter sehr zufrieden, »die Hauptsache ist, ruhig und ohne Jefühlsduselei an so 'ne Sache rangeh'n, dann kommt man auch zum Ziel!«
Damit reichte er dem Kriminalbeamten kordial die Hand, und dieser zog sich mit einer Verbeugung zurück.
9
Der Tausendmarkschein hatte Heinz Marquardt zu einem ganz anderen Menschen gemacht.
Er war imstande, sich anständig zu ernähren, und seine an sich kräftige Natur und der unbeugsame Wille, gesund zu sein und alle seine Kräfte gebrauchen zu können, ließ ihn rapide wohler werden.
Trotzdem blieb er sparsam, nur auf seinen Anzug verwandte er Geld und Sorgfalt.
Eines Abends ging er zu Hilde Boras.
Die schöne Demimondaine hatte ihren Empfangsabend; die luxuriös eingerichteten Räume der großen Wohnung waren voller Gäste. Heinz Marquardt fühlte sich anfänglich recht befangen. Aber er fand seine Sicherheit sofort wieder, als die »Baronesse«, wie sie allenthalben genannt wurde, auf ihn zukam, sich an seinen Arm hing und ihn mehreren Kavalieren als ihren Freund vorstellte.
Egon Graf v. Sarwald, der sich auch gerade in dieser Gruppe befand, lächelte bei dieser Vorstellung fein, dann aber trat er als erster hervor, streckte dem Ankömmling seine kräftige Rechte entgegen und gab so den anderen Herren das Zeichen, den neuen Gast als einen der ihrigen anzuerkennen.
Hilda war schon wieder davon, um andere Gäste zu bewillkommen. Eben empfing sie einen jungen blonden Herrn mit guter Taille und kleinem Schnurrbärtchen, in dem Heinz, trotzdem er nicht in Uniform war, den Polizeileutnant Runkel erkannte, der in jener schweren Nachtstunde der erste war, der seinem toten Weibe in das bleiche Antlitz gesehen hatte.
Hilda, die schon mit dem Leutnant darüber gesprochen zu haben schien, brachte ihn sofort zu Heinz.
»Ein guter Bekannter,« sagte sie, »der sich freut, Sie wiederzusehen, Herr Marquardt! ... Halten Sie sich den fest!« raunte sie ihm noch zu, ehe sie wieder von dannen eilte, »er kann Ihnen sehr nützlich sein!«
»Und das wird er auch gern tun!« lächelte der Polizeileutnant, dessen feines Ohr die Worte Hildas aufgefangen hatte, die heute in einem tief dekolletierten Kleide aus klarweißem Samt mit silbernen Knöpfen und einer wundervollen Kette von Türkisen und dem entblößten Nacken göttlich schön war.
»Aber was kann ich für Sie tun?« fragte der Leutnant etwas zerstreut, da sein Auge von der blendenden Erscheinung nicht loskam.
Er lispelte ein ganz klein wenig, was ihm übrigens bei seiner sehr vorsichtigen, gut erzogenen Art, sich zu geben, nicht übel anstand, und da er außerdem sehr gedämpft sprach, so hatte ihn Heinz Marquardt nicht sogleich begriffen.
Der neigte lauschend den Kopf und der Leutnant wiederholte die Frage. Aber in diesem Augenblick trat Graf Sarwald hinzu.
»Haben Sie denn nun Ihre nächtlichen Fahrten aufgegeben, lieber Freund?« fragte der Graf.
Heinz Marquardt schüttelte den Kopf.
»Nicht eher, Herr Graf, als bis ich den Mörder meiner Frau gefunden habe.«
»Sie meinen, die Polizei fängt 'n doch nicht! ... Pardon, lieber Herr Leutnant, aber Sie sind ja nicht Kriminalist!«
Der lachte.
»Trotzdem haben unsere Leute den Herrn hier neulich doch herausgehauen, nicht wahr?«
»O, da hab' ich auch geholfen!« versicherte der Graf, ebenfalls heiter, »ich glaube, ich würde einen ganz guten Kommissar abgeben! ... Aber ich will Sie beide nicht stören!«
Aber auch der Polizeileutnant verließ Marquardt gleich darauf, als bekannte Herren ihn anriefen, und Heinz begann sich recht einsam zu fühlen. Er sah auch nicht, wie er seinem Zweck hier nützen sollte. Und er, dem jede Stunde verloren schien, in der er nicht seinem Ziele dienen konnte, verlor allmählich jede Lust, unter diesen Menschen länger zu verweilen. Er versuchte, noch Hilda Adieu zu sagen, sah diese aber in so angelegentlichem Gespräch, daß er ihr lästig zu fallen fürchtete. Deshalb ging er still hinaus und ließ sich vom Diener Hut und Paletot geben. Er wollte eben gehen, als der Polizeileutnant ebenfalls auf die Diele hinaustrat.
»Sie gehen auch schon? Das is ja nett! Da könn' wir am Ende ein Stück Weges gemeinsam wandern! Ich habe keine Zeit mehr ... muß zum Dienst!«
Heinz verbeugte sich. Die beiden Männer traten auf die Straße.
Indem kam ein hochgewachsener Mensch an sie heran, der nicht besonders gut gekleidet war, und fragte:
»Ach Sie entschuldigen, wohnt hier in diesem Hause nicht ein Fräulein Boras?«
Er wandte sich mit dieser Frage an Marquardt, und da er so stand, daß das Licht der Straßenlaterne voll auf sein Gesicht fiel, konnte Marquardt ihn genau erkennen.
Sehr blaß war dieses Gesicht, und das schwarze Haar, das der Unbekannte ziemlich lang trug, schien sich in einem nicht sonderlich gepflegten Vollbart fortzusetzen. Die dunklen Augen hatten etwas glanzlos Totes.
Heinz Marquardt war es, als hätte er diesen Mann schon einmal gesehen ... oder ein Bild von ihm ... oder ... ja, ja, jetzt hatte er's, das war der Mensch, von dem ihm die schöne Frau dort oben gesprochen hatte – es war Hildas Bruder.
»Na, Sie wissen es wohl auch nicht?« fragte der Mann jetzt wieder.
»Doch,« sagte Marquardt, während der Leutnant abwartend still schwieg, »doch, Fräulein Boras wohnt hier! ...«
»Ob man da wohl noch reinkommt? ... Ich müßte die Dame möglichst heute noch sprechen ... sie scheint ja noch auf zu sein«, setzte er, nach den erleuchteten Fenstern hinaufsehend, hinzu.
»Vielleicht kommt ein Wächter«, meinte Marquardt und wandte sich zum Gehen.
»Komischer Kauz!« meinte der Leutnant, als sie ein Ende fort waren.
»Ja«, sagte Marquardt, aber von seiner Entdeckung verriet er nichts.
»Ich will Sie«, sagte der Leutnant, während die beiden jungen Männer weitergingen, »mal in eine Kneipe führen, die von der Polizei sozusagen nur von ferne observiert wird. Es liegt den Herren vom Alexanderplatz daran, gewisse Orte ganz freizulassen von Razzien und Streifen. Die Leute von der Zunft sollen aber denken, daß sie da ganz ungestört sind und daß die ›Polente‹ keine Ahnung hat vom Vorhandensein dieser Zufluchtsstätten.«
Er ging plötzlich dichter an Heinz Marquardt heran und sagte leise:
»Sehen Sie das Frauenzimmer, was uns da fortwährend verfolgt? ... Kennen Sie sie vielleicht?«