Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan
das viel zu groß war, um elegant zu sein.
Er machte ein bitterböses Gesicht, als er Marquardt bemerkte, dann aber sich zu einem süßsauren Lächeln zwingend, sagte er im nachgemachten Kavalleristenton:
»Na, schon wieder auf den Beinen, Herr ... Herr ...«
»Marquardt!« vervollständigte Hilda.
»Ah ... ja ... Herr Marquardt ... richtig! ... Ganz recht ... hatte total vergessen! ... Nu sagen Se mal, Herr Marquardt, wie war Ihn' denn da so, als Sie so unter die Rotte Korah fielen?«
Er lachte ein paarmal kurz auf, offenbar erschien ihm diese Situation komisch.
»Er dachte an Sie, Herr Schindler!« nahm Hilda wiederum statt ihres Schützlings das Wort, »das heißt, nach der bösen Affäre hat Herr Marquardt besonders intensiv an Sie gedacht! ... Sie wissen doch, daß man dem Ärmsten dabei sein ganzes Geld weggenommen hat?! ... Na, und ... das übrige ... das brauch' ich Ihnen, lieber Freund, doch wohl nicht erst sagen, was?«
»Wieso?« Der junge Mann, heute mit einem englischen Anzug in kleinem Karomuster angetan, der ihm das Aussehen eines etwas abenteuerlich geformten Schachbrettes gab, sah ganz verdutzt drein. Vielleicht kam ihm schon eine Ahnung dessen, was er erdulden sollte, aber sicher wußte er jedenfalls noch nichts.
»Wieso?« fragte er nochmals, »ich hatte doch, nichts damit zu tun, mit der Affäre ...«
»Doch!« Hilda blieb stockernst, »doch, Herr Schindler! ... Sie haben damit zu tun! ... Nicht viel allerdings, sondern für Ihre Verhältnisse sogar sehr wenig! ... Um lumpige tausend Mark handelt es sich! ... Und nicht wahr, mein Lieber, daß Sie Herrn Marquardt diesen kleinen Verlust ersetzen, das ist doch ganz selbstverständlich, darüber reden wir gar nicht lange!«
Herrn Schindlers Gesicht schrie in diesem Augenblick nach dem Photographen. Aber Marquardt zitterte: wie konnte sie bloß so töricht sein und so viel von dem Menschen verlangen! ... Das gab der ja nicht, nein, nein! Jetzt würde er gewiß ohne einen Pfennig abziehen müssen!
Emil Schindler war inzwischen zu sich gekommen.
»Der Witz ist vorzüglich, jeliebte Hilda!« grinste er.
Aber sie unterbrach ihn sofort:
»Pst, Emilchen! Nicht so familiär! Das kann ich mir wohl erlauben, aber Sie noch lange nicht! Und vorläufig ist auch gar keine Aussicht, daß wir jemals dahin kommen. Ich pflege nämlich meinen Verkehr nicht unter Knickern und Geizhälsen zu suchen ...«
»Wie meinen Sie denn das?« jammerte er, »was soll ich denn tun?«
»Na, ich glaube, ich habe Ihnen das doch hinreichend angedeutet!«
»Na, was geht mich denn der ... der Herr da an?«
Hilda stand auf und wandte sich zu Heinz:
»Bitte, Herr Marquardt, wir wollen uns im Nebenzimmer weiter unterhalten!«
»Aber nein! Nein!« Emil Schindler war schon an ihrer Seite: »Sie wissen doch, daß ich alles tue, was Sie haben wollen! ... Daß ich jeden Blödsinn ausführe, wenn Sie's befehlen.«
»Erstens befehle ich keinen Blödsinn, und zweitens werden Sie selten oder nie imstande sein, das zu beurteilen! ... Also wollen wir das Geschäftliche bitte erst erledigen, Sie gestatten doch!«
Und ohne Umstände dem Jüngling in die innere Jackettasche greifend, suchte sie nach seinem Portefeuille.
»Nee, Jott sei Dank,« meckerte er, »da is es nich! Draußen im Paletot ...« Er ging zur Klingel.
»Na, das hätt' ich wissen sollen,« scherzte sie, »da hätt' ich Sie wegen der Lappalie erst gar nicht lange angestrengt!«
Der Diener kam und brachte auf Hildas Befehl den Überrock des jungen Mannes.
»Da Sie schon gerade dabei sind, Emilchen, lassen Sie gefälligst gleich noch einen braunen Lappen raus, ich habe meiner Putzmacherin für morgen 'ne kleine Abschlagszahlung versprochen ... so, my boy, schönsten Dank! Und hier, lieber Herr Marquardt, haben Sie Ihr Eigentum zurück ... wenn der Herr es Ihnen auch nicht gerade genommen hat, so war doch sein Vater darin groß, im Nehmen, meine ich ...«
»Aber Hilda!«
»Aber Emil! ... Ich behaupte ja auch nicht, daß Ihr verehrter Papa jemals etwas gestohlen hat ... nein, nur genommen, und zwar Prozente, zweihundert und darüber ... So, lieber Emil, und jetzt, nachdem Sie Ihre Schuldigkeit voll und ganz getan haben, jetzt können Sie wieder gehen ... Morgen um diese Zeit bin ich für Sie zu sprechen, der heutige Tag gehört meinem armen Freunde hier, der mich nötiger braucht wie Ihr alle zusammen! ... Und grüßen Sie den Grafen, wenn Sie ihn sehen!«
Der kleine Herr wollte lamentieren und legte sich schließlich aufs Bitten, aber es nützte ihm alles nichts, sie führte ihn selbst hinaus.
Dann zu Marquardt zurückkehrend, scherzte sie:
»Na, was sagen Sie nun zu mir? Bin ich nicht ein herzloses Ungeheuer, das die Männer ausraubt wie ein Vampir? ... Ach, lieber Freund! ... Im Grunde genommen macht mir das alles keinen Spaß! ... Ich möchte nicht in Dürftigkeit leben, da würde ich eine zugemachte Ofenklappe oder etwas Blausäure vorziehen, aber das Verschwenden wird auf die Dauer auch langweilig ...«
Sie dehnte ihren schlanken Körper, breitete die Arme weit aus und mit ihren goldfarbenen Augen in Weiten starrend, von denen der Mann, der vor ihr saß, nichts ahnte, sagte sie mit ihrer süßen Stimme so leise schwebend, daß es war, als redete das Unsichtbare, das Schweigen selber:
»Ich habe Sehnsucht ... wonach weiß ich nicht ... mein Hunger ist nicht zu stillen, weil ich meine Speise nicht finde ... vielleicht die Liebe, die ich nicht kenne ... wer sie mich lehren würde! ... Wer sie mich lehren würde! ...«
Und dann trat sie in einer jäh erwachenden Regung an Marquardt heran:
»Du Armer! ... Du hattest sie gefunden und hast sie verloren! Und nun suchst du ... aber die Sterne fallen nur einen Augenblick ... dann verlöschen sie für immer ... und sucht man die toten Sterne? ...«
Sie beugte sich über ihn und küßte seine fiebrigen Lippen, daß er erschauerte.
»Dich könnte ich lieben, aber nur so, wie du jetzt bist, so elend, so traurig um die Tote! So bist du anbetungswürdig, so ...«
Er starrte sie fassungslos an. Er verstand dieses Suchen nach Sensationen, dieses Tasten einer bis ins Abnorme verfeinerten Seelenspitze nicht. Und sie sah das und berauschte sich doppelt an seinem Staunen.
Dann erhob sie sich und sagte:
»Geh jetzt ... aber ja, eins noch, wenn dir einmal auf deinen finsteren Wegen ein Mensch mit Namen Erwin Boras aufstoßen sollte ...«
Sie besann sich:
»Nein, vergiß den Namen lieber wieder, er hat ihn vielleicht schon selbst vergessen ... aber achtgeben kannst du doch: er ist groß wie ich, nein, noch größer, hat glänzend schwarzes, sehr glattes Haar und ein starres, düsteres Auge ... Wer er war? Auch das will ich dir sagen: er war mein Bruder ... Und solltest du ihn finden, so nenne ihm nicht meinen Namen, sage überhaupt nichts von mir, sondern sprich bloß zu mir von ihm! Ich weiß nicht, wie du ihn finden wirst, aber ich fürchte ...«
Sie unterbrach sich plötzlich.
»Ich glaube, daß ich ihn trotz alledem lieb haben müßte, wenn er wiederkäme ...«
Und plötzlich, sich wie eine furchtsame, frierende kleine Katze auf einen seidenen Puff niederkauernd, sagte sie leise:
»... Wir rannten immer zusammen durch die Straßen, der kleine Junge und ich ... wir bettelten, bis sie uns eines Tages beide ins Waisenhaus brachten. Aber er blieb nicht, er riß aus ... Und dann kam er eines Tages zu den Leuten, wo ich Kammermädchen war und bat mich um Geld ... ich gab ihm auch welches, aber sie fingen ihn doch ein ...«
Ihre traurigen Augen schienen weit hinaus nach dem Verlorenen zu suchen.
»... Wie wir uns wiedersahen,