Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan

Hans Hyan-Krimis: Der Rächer,  Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström - Hans Hyan


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für Trude Marquardt bereitete Grab die Hügel nicht sah. Wo immer die kleinen Eisenkreuze, die mit schon verwischten Namen beschriebenen Porzellanbibeln und seltener, viel seltener, Marmor- oder Granittafeln aus dem Efeu der Gräber, zwischen Gras und dürren Kränzen hervorragten, überall standen und bewegten sich Menschen. Männer und Frauen und selbst Kinder, die gefühllos umherschnüffelten; die, rings umgeben vom Tode, sich nicht für einen Augenblick von den lächerlichen und törichten Angewohnheiten ihres Lebens befreien konnten.

      Übrigens patrouillierten auch viele Schutzleute auf den breiten Wegen, welche den Kirchhof rechtwinklig durchschnitten, und ihre Kameraden in Zivil, die ihre Räder beim Totengräber eingestellt hatten, halfen denen in Uniform, offenbar auf der Suche nach bekannten Gesichtern.

      Die Pforten des Kirchhofs waren wieder unauffällig geschlossen worden. – Die Menge wartete, da noch immer der helle Ton der doch nur in der nächsten Nähe verständlichen Predigerworte herüberklang.

      Endlich vernahm man von drüben das dumpfe Schollern der Erde: jenes Grab wurde zugeschaufelt.

      Der Prediger ging zurück zur Leichenhalle.

      Die Volksmasse drängte nach, als sollte ihr dieser Mann, wie weiland Jesus von Nazareth, ein Wunder zeigen; und es war doch nur eine arme ermordete Frau, die in einem schlichten Sarge lag, den nicht einmal die Liebe der Hinterbliebenen ihr gespendet hatte.

      Denn der Gatte, der auf dieser Welt allein ihr gehört hatte, lag von den Genossen desjenigen, der sie um ihr junges Leben gebracht hatte, verwundet und halb zertreten in Fieberphantasien im Krankenhause ...

      Von Angehörigen waren nur Herr und Frau Lehmann, jenes Kolonialwarenhändler-Ehepaar, erschienen, bei dem sich Heinz Marquardt Geld geliehen hatte, um den Mörder seiner Frau zu finden.

      Diese guten Leute hielten sich dicht an den Pastor, einen untersetzten, noch jugendlichen Mann, dessen Schwärmergesicht doch nichts zu sehen schien von dem widrigen Troß, der in schamloser Schaulust hinter ihm herdrängte.

      Herr Lehmann, der um den Ärmel seines braunen Winterpaletots einen Flor und einen sehr schmalkrempigen hohen Zylinder trug, hielt das in Samt mit Silberbeschlägen gebundene Konfirmationsgesangbuch in der Linken, während er am rechten Arm seine Frau führte, eine fette Blondine, die über ihrem schwarzen Kleide ein Pelzcape aus imitiertem Chinchilla trug.

      Sie trauerten beide aufrichtig, wahrscheinlich mehr um den Vetter, dessen Leben nun auch in Gefahr schwebte, als um die Ermordete, die sie ja kaum gekannt hatten, und – begreiflicherweise – auch wohl um ihr Geld, das sie schon nicht mehr wiederzukriegen fürchten.

      Und noch jemand war da, der Marquardt und auch die Verewigte gekannt hatte: Ernestine Augst.

      Aber nicht allein die große Zuneigung zu dem Verwitweten trieb das Mädchen hier hinaus, da waren eine ganze Menge von anderen Gründen, wegen deren sie an dem Leichenbegängnis teilgenommen hätte, auch wenn sie sich auf allen Vieren hätte nach Britz schleppen müssen.

      Bei ihr war es aber weder Neugier, noch die Sucht nach Veränderung, was sie nicht auf einem Platz bleiben ließ. Sie suchte jemand. Einen Menschen, dem sie ihre Beobachtungen hätte mitteilen können. Einmal glaubte sie, diesen Menschen gefunden zu haben in dem Kolonialwarenhändler.

      Aber kaum machte sie Miene, an ihn heranzutreten, als Frau Lehmann, die den zweifelhaften Charakter des Mädchens mit dem sicheren Blick der Kleinbürgersfrau und Ladeninhaberin sofort erkannte, ihren Mann so ostentativ beiseite zog, daß Ernestine zu einem zweiten Versuch nicht den Mut fand.

      Sie hatte übrigens auch wohl bemerkt – die kleine Szene spielte sich vorher, als der Geistliche noch an jenem anderen Grabe beschäftigt war, ab –, daß die Frau ihren Mann derb ausschalt, jedenfalls weil sie ihn im Verdacht hatte, die Annäherung des Mädchens habe eine für den Kaufmann nicht eben rühmliche Vorgeschichte.

      Die kleine, runde Ernestine fieberte vor innerer Erregung! ... War denn niemand hier, dem sie ihre Beobachtungen mitteilen konnte? Der Polizei, das wäre das allereinfachste gewesen! – Aber davor scheute sie sich. Aus allen möglichen Gründen. Der Gedanke an die Polizei war ihr so unangenehm, wie all den Leuten, die aus irgendwelchen Ursachen nicht gern etwas mit den »Behelmten« zu tun haben. Und dann fürchtete sie sich vor der Rache derer, die sie verraten mußte.

      Noch glaubte sie unbemerkt geblieben zu sein von jenen beiden Männern, die sie selbst mit so atemloser Spannung verfolgte.

      Diese beiden Leute bewegten sich hin und her unter dem Publikum. Wenn Ernestine noch eben ihre ziemlich ähnlichen hellbraunen und steifen Filzhüte zu sehen geglaubt hatte, so waren sie im nächsten Augenblick unter der Menge verschwunden. Aber jetzt, jetzt sah sie sie wieder! –

      Nein, nur den einen! – – –

      Das war ihrer! – – –

      Eben trat er auf einen Hügel, um besser sehen zu können.

      Sie duckte sich, von rasender Angst ergriffen. Die Narbe, die ihren üppigroten Mund zerschnitt, brannte wie Feuer.

      Eine rasende Wut kam über das Mädchen. Ein Zorn sondergleichen, der eine seltsame Mischung von Haß und Bewunderung und Ärger war, daß er ihr jetzt nicht mehr gehörte. Aber dann dachte sie wieder an Marquardt, an den Mann, der sie verschmäht hatte und den sie doch liebte mit jener tiefen innigen Zuneigung, die zu jedem Opfer bereit ist.

      Da richtete sie sich auf, und wie ihr früherer Geliebter in diesem Augenblick auch gerade herübersah, trafen sich ihre Augen – in denen des Mädchens war nur eine finster drohende Verachtung, während er höhnisch lächelte.

      Er verschwand aber gleich vom Hügel.

      Der Geistliche fing an zu sprechen.

      Das blasse Asketengesicht hinaufgekehrt zu dem grauwolkigen Winterhimmel, der finsterer und immer finsterer wurde, hob der Priester seine große Hand auf und rief mehr, als er sprach:

      »Andächtige!«

      Und als sei ein Beschwörungswort ausgesprochen von diesen frommen Lippen, so bannte plötzlich das Schweigen die Tausende, die den Gottesacker belebten.

      »Da liegt eine, die ermordet ist!«

      Die Hand, die in dem Schatten des Abends immer größer wurde, zeigte dräuend auf den Sarg.

      »Ermordet von einem Bruder, von einem Menschen, den Gott auch gemacht hat, und der das Herz seines Gottes mit heiligem Groll erfüllt über diesen Frevel!«

      Die Worte klangen nicht mehr, als kämen sie aus dem Munde des einen Mannes, sie kamen vom Himmel herunter, von dem schwarzgrauen, lastenden Winterhimmel, der im Niedergang wie Brandfackeln leuchtete.

      Und die anklagende Stimme wurde noch lauter:

      »Wer hat das getan? ... Wer ist so verrucht, so aufrührerisch gegen seinen Schöpfer, daß er es wagt, ein Leben zu zertreten, das Gott gemacht hatte, damit es blühen sollte und Früchte tragen für die, die es liebten?!«

      Der Geistliche hob seine beiden Arme hoch gen Himmel und schleuderte noch einmal seinen Zornesruf über die Menge hinweg:

      »Wer hat das getan?! ...«

      Da begannen die Frauen ringsum im Kreise zu schluchzen. Und die Männer, die sich nicht so ans Herz fassen wollten, wischten doch mit dem Rücken der Hand über die Augen.

      Auch in Ernestines Augen perlten Tränen. Aber sie trocknete sie schnell wieder fort, denn eben tauchte ihr


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