Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan

Hans Hyan-Krimis: Der Rächer,  Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström - Hans Hyan


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stritt mit dem Ohr, das des Pastors Worte immer wieder ergriff.

      »Es wird gesagt,« klang es stark und voll von dem aufgeworfenen Sandhügel, »wenn das Opfer des Mörders begraben wird, dann kann der, der seine Hand mit dem schuldlosen Blute befleckt hat, den Drang nicht zügeln, dorthin zu eilen, an die offene Grube, um noch einmal hinabzusehen auf den Leichnam. Ist das so und ist er vielleicht hier unter euch Andächtigen ...?«

      »Ja!« kreischte plötzlich eine gellende Weiberstimme und ein Arm reckte aus der Menge, »ja, da ist er! ... Da drüben steht er!«

      7

       Inhaltsverzeichnis

      Nun entstand eine wahre Panik! Die Menschen stießen und drängten sich wie wahnsinnig. Sie fielen über die Gräber, Frauen wurden zur Erde geworfen, man trat auf die Kinder, und der ganze Friedhof hallte von Wehgeschrei und wütenden Rufen.

      Die Polizeibeamten, die der Aufschrei des Mädchens in die wildeste Aufregung versetzte, drängten durch die Menge nach dem Mörder, von dem ja keiner wußte, wie er aussah, und sie umringten das Mädchen, Aufklärung fordernd, auf sie einschreiend, wodurch sie die zitternde Ernestine um den letzten Rest ruhiger Überlegung brachten.

      Ein nervöses Fieber schien die Ärmste gepackt zu haben. Sie weinte und schluchzte, und irgendetwas Vernünftiges aus ihr herauszubringen war ganz unmöglich.

      Nun stürzte ein Teil der Beamten nach dem Ausgang, aber die Menschenmenge, von der nur ein ganz geringer Teil wußte, worum es sich handelte – die Fernstehenden hatten ja weder des Pfarrers Worte noch Ernestines Gekreisch verstanden –, die Menge brandete gegen das Eisengitter, heulend und schreiend, wollte selbst hinaus und arbeitete sich in der Angst, totgedrückt zu werden, brutal zurück, damit immer größere Verwirrung anrichtend.

      Einige wollten nachher einen Mann über die ziemlich hohe Mauer des Kirchhofs klettern gesehen haben. Aber die Beschreibungen dieser Leute widersprachen sich, die Polizei war allein auf Ernestine Augst und deren Wissenschaft angewiesen.

      Die hatte sich zu dem Pastor geflüchtet, und wie ein echter Mittler zwischen dem Mitleid des Allgütigen und dem elendesten seiner Kinder hielt der noch immer auf dem Sandhügel stehende Geistliche seine Hände über der Knienden.

      »Lassen Sie sie!« wehrte er dem Kommissar Hartmuth, der das Mädchen sofort verhaften wollte, »mir wird sie alles sagen!«

      »Ja, ja!« schluchzte Ernestine, »Ihnen, Herr Pastor, bloß Ihnen!«

      Und durch die Menge, die sich allmählich beruhigt hatte und scheu zurückwich, ging der Priester mit der Dirne, wie einst der unsterbliche Galiläer mit der großen Sünderin ...

      Die Nacht war herabgesunken, und ein kaltes Wehen erhob sich. Durch die wieder geöffneten Tore schoben sich die Menschen, mehr geängstigt als erschüttert von der furchtbaren Nähe des Verbrechers.

      Die Ärzte im Krankenhaus »Friedrichshain« hatten dem Patienten auf keinen Fall die Erlaubnis geben wollen, jetzt schon die Anstalt zu verlassen. Aber Heinz Marquardt ließ sich nicht halten. Das Gesicht und den Kopf mit Pflastern beklebt und den linken Arm, den er im Kampfe mit den Verbrechern zur Abwehr vorgestreckt hatte und der daher am ärgsten mitgenommen war, noch in der Binde, verließ er das Krankenhaus, bleich wie der Tod und mit jenen unnatürlich glänzenden Augen, die den Fieberkranken etwas so Unheimliches geben.

      Die unbeugsame Energie seines Willens, dieser Wille, der nur noch ein Ziel auf Erden kannte, und der durch nichts zu brechen war, der jeden anderen Wunsch in ihm verzehrte und jede Schwäche überwand – der war wie der Befehl einer geheimnisvollen und grausamen Gottheit, die den Unglücklichen rastlos vorwärtstreibt und ihm erlaubt, seine Menschlichkeit abzustreifen und als verkörperter Rachegeist seinem finsteren Idol zu folgen.

      Die Frau, bei der er jetzt wohnte, schrie laut auf bei seinem Anblick.

      »Mein Gott!« Dabei rang sie ihre runzligen, von vieler Arbeit harten Hände.

      »Wat ham se denn mit Ihn' jemacht, Herr Marquardt?!«

      Sie redete noch immer, als ihr Mieter schon längst die Treppe hinunter war. Dann klopfte sie bei der Nachbarin.

      »Ham Se 'n Momang Zeit, Frau Schulze?«

      Marquardt ging langsamer wie sonst. Er hatte zu Hause bei sich einen Brief vorgefunden, der ihn beschäftigte.

      Der Brief enthielt seine Kündigung. Da seine Anstellung erst in zwei Jahren erfolgt wäre, hatte die Behörde das volle Recht, ihn zu entlassen.

      Er grämte sich wenig darüber. Er würde das Geld, was ihm noch zustand, mitnehmen und im übrigen höchstens noch einen Besuch bei dem Direktor Weckerlin machen, um sich vorläufig auf unbestimmte Zeit krank zu melden.

      Schlimm war nur, daß er die vierhundert Mark, die er dann noch zu kriegen hatte, erst in Monaten erheben durfte.

      Bei dem nächtlichen Streit, dessen Folgen er noch in allen Gliedern spürte, war auch das erborgte Geld verschwunden ... wer weiß, ob die Kerle ihn nicht nur deshalb mißhandelt haben, um ihm dabei sein Geld fortzunehmen. Und hätte er an jenem Abend sofort der Polizei Anzeige von seinem Verlust machen können, so wäre er vielleicht noch wieder zu seinem Eigentum gekommen, ebenso wie jener reiche Herr sein Armband zurückerhalten hatte. So hatten die Beamten nur die Achseln gezuckt: jetzt nach acht Tagen noch bares Geld bei diesem Gesindel finden, nein, das ist wirklich mehr, als man verlangen kann!

      Und Geld mußte Marquardt haben, woher immer!

      So entschloß er sich, noch einmal zu seinen Verwandten nach Schöneberg hinaus zu pilgern.

      Aber der Vetter ließ ihn gar nicht zu Worte kommen.

      »Geld willst du haben? ... Nochmal Geld?! ...« Der Mann lachte laut auf. »Ich glaube, du bist nicht mehr ganz gesund hier!« wobei er heftig gegen seine Stirn klopfte. »Ich habe geglaubt, du bringst mir meine hundert Taler zurück, und da kommst du und willst mich noch mal anbetteln! ... Nee, mein Junge, daraus wird nichts, glaubst du vielleicht, ich stehl' es? ... Hier, hier!« Er hielt Marquardt seine roten Hände dicht unter die Nase: »Damit muß ich mir's erarbeiten! Ich sitze nich auf'n Kontorschemel und starre in die Luft wie ihr in eurem faulen Büro! ... Ich sage dir, sei froh, daß du meine Frau nich zu Hause triffst, die hätte dir 'n Marsch jeblasen, daß de ein für allemal die Nase voll jehabt hättest! ...« Er sprach unaufhörlich schnell und mit entrüsteter Stimme: »Nein, ich kann dir bloß sagen, schlag dir diese verrückten Ideen aus dem Kopf! Einmal biste nu beinah dran kaputtgegangen! Das kannst du doch nich ... du bist doch zu dumm dazu!«

      »Zu dumm?« sagte Heinz, der zuerst verlegen, dann störrisch und schließlich richtig böse wurde.

      »Hör' mal, du, ich verbitt' mir sowas ... Du natürlich, was verstehst du denn davon! Du sitzt hier und bändigst deine Heringe! Wie sollst du auch wissen, wie einem Menschen wie mir zumute is!«

      Der andere wurde grün vor Ärger.

      »Na, warum kommste denn her? ... Was? ... Du, wenn de so anfängst, dann wer' ich da auch mal was sagen, was ich glaube!«

      »Das interessiert mich wenig!«

      »Aber mich interessiert es! Weil's sich um mein Geld handelt, du, verstehste?! ... Du denkst ganz einfach, ich bin so dumm und merk' das nich, daß du mich neppen willst! ... Aber da irrste dich! Ich bin schlauer, als du denkst!«

      »Na, na!«

      »Jawoll, du! ... Du denkst, laß dir man immer Jeld jeben von dem Schafskopp. Wiederkriejen tut er's doch nich! Und denn jehste hin und verjuckst es! Jawoll, mein Junge, dich hab' ich jetzt erkannt!«

      Heinz Marquardt stützte sich schwer auf den Ladentisch.

      »Was tu' ich?« sagte er tief aufatmend, »was tu' ich?«


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