Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan

Hans Hyan-Krimis: Der Rächer,  Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström - Hans Hyan


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einer Schuld bewußt sind.

      Die zwölf Schutzleute standen mit dem Gesicht der Menge zugekehrt. Sie hatten mit der linken Hand in den Gurt des Nebenmannes gefaßt, in der Rechten hielten sie die blanke Waffe.

      Die Stimme des Offiziers scholl in den tobenden Lärm der Menge hinein:

      »Meine Leute machen von der Waffe Gebrauch, sobald der erste Angriff auf den Gefangenen stattfindet.«

      Nun drängten die vordersten aus Angst vor den blitzenden Säbeln zurück, die hinteren wollten vorwärts, es gab Streitigkeiten in der Menge selbst, die dadurch für einen Augenblick von dem Gegenstande ihrer Wut abgelenkt wurde.

      Diesen Augenblick benutzten die Kommissare, Maaß in die Droschke zu schieben.

      Nur ein Stein flog, der einen der Beamten gegen den Helm traf, dann wollten ein paar der Wilden noch an die Droschke heran, aber der Kutscher hieb rücksichtslos auf die Pferde ein; die Menge stob schreiend auseinander, und unter dem Geschrei und Gejohle der Zurückbleibenden fuhr der Wagen davon.

      Als ein wenig später Staatsanwalt und Untersuchungsrichter die Morgue verließen, waren es nur noch ganz wenige Menschen, offenbar beschäftigungslose Leute, die nichts Besseres zu tun hatten, wie hier herumzulungern.

      »Sie sind wirklich der Ansicht, verehrter Herr Kollege, daß dieser Mensch der Täter ist?« fragte Herr v. Marzahn.

      Der andere sah zur Seite:

      »Irgend jemand muß es doch gewesen sein!«

      »Unbestreitbar, aber der Mann macht auf mich, offen gestanden, ganz und gar nicht den Eindruck eines Mörders.«

      Der Untersuchungsrichter schwieg einige Augenblicke, dann sagte er in leicht hingeworfenem Tone:

      »Man ist höheren Orts sehr interessiert daran, daß diese Untat ihre Sühne findet. Der Herr Oberstaatsanwalt Dr. Mauernbrecher, mit dem ich gestern noch sprach, sagte mir, ich möchte doch ja nichts versäumen in dieser Angelegenheit, was zur Erforschung der Wahrheit dienen könnte ...«

      »Der Wahrheit ...« wiederholte Herr v. Marzahn leise.

      »Ja, der Wahrheit«, sagte der Untersuchungsrichter noch einmal. »Das heißt mit anderen Worten das, was wir Menschen mit unserem so sehr beschränkten Urteils- und Erkenntnisvermögen dafür halten ... Sie werden vielleicht auch schon gehört haben, daß man den Ausgang dieses Prozesses gespannt verfolgt ... Es handelt sich hier eben um eine junge, sehr schöne, und wie man sagt, treue Frau. Das interessiert überall ... das regt auf, und man erwartet bestimmt eine Verurteilung! ... Wenn auch ich ... na ja ... hm, ich bin da vielleicht nicht ganz derselben Ansicht ...«

      »Wieso meinen Sie?« fragte der Staatsanwalt.

      »Na, was die Treue der Ermordeten anbelangt ...«

      »Ah so ... na, meinen Sie mit Maaß?«

      »... Ich weiß nicht, jedenfalls ...,« der Ton des Untersuchungsrichters wurde plötzlich sehr hart und fest, »jedenfalls erscheint mir dieser Mensch höchst verdächtig.«

      Damit sahen sich die beiden Männer gegenseitig an und sahen einander bis auf den Grund ihrer Seele. Aber was sie da erspäht, davon redete ihr Mund nicht, ja, nicht einmal der Ausdruck ihres Gesichts gab Kunde von ihren stillen Beobachtungen.

      Der Untersuchungsrichter rief eine Droschke an.

      »Fahren Sie mit, Herr Kollege?«

      Aber der Staatsanwalt dankte höflich, er hätte noch einen Gang zu erledigen.

      Und als sie sich trennten, zuckte die Hand des Herrn Dr. Birkner wohl ein wenig vor, da aber die des Staatsanwalts so kühl in der Reserve blieb, bewegten sich auch die schmalen, blutlosen Finger des jungen Untersuchungsrichters, dem alle seine Bekannten eine große Karriere prophezeiten, nicht weiter vorwärts.

      Einige Tage später empfing Staatsanwalt v. Marzahn von seiner vorgesetzten Behörde ein Schreiben, in dem ihm mitgeteilt wurde, die Anklage in dem großen Falschmünzerprozeß, der in der nächsten Zeit die 14. Strafkammer beschäftigen würde, sei ihm übertragen. Seine tiefe Kenntnis der Materie, ebenso sein bei der Behörde wohlbekannter unermüdlicher Fleiß und seine seltene Arbeitskraft hätten die Wahl auf ihn fallen lassen. Man hätte sich deshalb auch veranlaßt gesehen, ihn von den mit dem Mordprozeß Marquardt verknüpften Geschäften zu entbinden.

      Herr v. Marzahn lächelte bitter.

      Noch am selben Tage schrieb er sein Entlassungsgesuch, nahm unter der Begründung, er fühle sich krank, sofortigen Urlaub und war vierzehn Tage später Privatmann. Als reicher Mann konnte er das. Seinen Freunden sagte er, er fahre nach Rußland zur Bärenjagd, nebenbei wolle er auch vergleichende Studien zwischen deutschen und russischen Rechtsverhältnissen anstellen.

      Das Gefolge, das die so jäh aus dem Leben gerissene Trude Marquardt zu Grabe geleitete, war fast unabsehbar; aber da war nicht die lange Reihe dunkler, mit schwarzen Pferden bespannter Trauerwagen hinter der Galakutsche, welche unter versilbertem Baldachin einen prunkvollen Sarg birgt, keine rauschende Weisen spielende Musikkapelle ließ sich in diesem traurigen Zuge vernehmen, und selbst die Feierlichkeit, die von wahrem oder erheucheltem Schmerz diktierte Stille fehlte diesem Begängnis.

      Wie bei den Heerhaufen in alter Zeit, die sich truppweise, hier und dorthin verstreut, fortbewegten, zogen die Ansammlungen arbeitsloser, neugieriger und skandallüsterner Menschen dahin, vor und hinter dem Sarge, den ein schmuckloser Wagen in hastiger Gangart fortzog.

      Selbst Radfahrer waren im Zuge, und die auch hier nicht fehlenden Verbrecher der verschiedenen Kategorien erkannten in einigen von den Radlern schnell ihre guten Bekannten vom Polizeipräsidium.

      Der Britzer Emmauskirchhof, zu dessen Parochie die Verstorbene gehörte, war, als der Kondukt anlangte, von uniformierten Polizisten abgesperrt.

      Es war ein nebliger Tag. Eine große Traurigkeit lag über den Totenfeldern.

      Die Beerdigung war, mancherlei Formalitäten wegen, erst spät am Tage vor sich gegangen, und als man draußen auf dem Gottesacker ankam, hatte der amtierende Geistliche noch zwei frische Gräber einzusegnen, ehe er sich dieser Toten, der er erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken beabsichtigte, zuwenden konnte.

      Drüben auf den Feldern trieben sich zahllose Krähen umher, die jetzt, da der Tag schon zur Neige ging, und die Sonne sich langsam in ihr flammendes Pfühl vergrub, abstrichen und mit lautem Gekrächz über die Ruhestätte der Geschiedenen dahinschwebten.

      Ein grandioses und zugleich schauerliches Bild, diese ungeheure Ebene, in der Friedhof sich an Friedhof reihte, mit ihrem gelben unfruchtbaren Boden, in den unablässig die menschliche Saat hineingesenkt wurde, von der es heißt, daß sie einst aufblühen soll zu neuer unvergänglicher Schönheit.

      Aber das empfand die Menge nicht, die man vorsichtig, wie Bestien in ihrem Zwinger, zu Paaren durch das von Wachtmännern flankierte Friedhofstor hineinließ.

      Wie eine Ermordete beerdigt wird, das wollten sie sehen, darum hatten sie den weiten Weg gemacht, zu Fuß an diesem kalten Wintertage der aussah, als sollte es nimmermehr Frühling werden.

      Als ein Teil der Leute drinnen war, verschloß man einfach das Tor, so die in weitaus größerer Anzahl draußen Harrenden zum Murren bringend, das sich bald zu Schimpfworten und lauten Verwünschungen steigerte.

      Der Polizeihauptmann, der hier den Sicherheitsdienst leitete, trat alle Augenblicke vor das Tor und spähte nach den Schreiern aus, die sich dann sofort in der Menge duckten und zurückwichen.

      Aber plötzlich schien dieser Gewaltige anderen Sinnes geworden zu sein. Ein Herr in Zivil war an ihn herangetreten und hatte leise einige Worte mit dem Offizier gesprochen. Daraufhin ließ dieser die Torflügel beide weit aufmachen und, nachdem die Menge, wie in einem plötzlich aufsteigenden Mißtrauen, einige Augenblicke gezögert hatte, drängte sie mit doppelter Gewalt in breitem Strom durch das Tor, an dem linksstehenden Blumenparterre des Totengräbers und dem Beinhause vorüber, dann zwischen den Gräbern zerrinnend und in kurzer Zeit fast den ganzen Kirchhof mit ihrer durch den Ernst des Ortes kaum gedämpften,


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