Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan
Weje kommst, sonst laß ich 'n Jendarm holen!«
Heinz Marquardt sah ihn noch einmal mit einem langen Blick an, dann wandte er sich zum Gehen. In der Ladentür traf er die Frau des Vetters.
»Nanu, Herr Marquardt, was machen Sie denn?«
Er aber beachtete die Frau gar nicht und hörte auch nicht mehr die Worte, die der Kolonialwarenhändler seiner Frau zurief. Bloß daß sie sagte:
»Aha! Na, das is gut, daß du ihm nischt jejeben hast!«
Das hörte er noch.
Dann ging er im feinen Staubregen der lauen Witterung hastig die Hauptstraße hinunter, ohne sich umzusehen, immer geradeaus und von dem Wunsche beseelt, sich so schnell als möglich aus dieser Gegend zu entfernen.
Erst wie er beim Botanischen Garten war, verlangsamte er seine Schritte.
Und plötzlich fiel ihm etwas ein, daß er sich an den Kopf faßte und stehenbleibend sich fragte:
»Wie hab' ich daran nur nicht gleich denken können!«
Es war gut, daß der Weg, den Heinz Marquardt zu machen hatte, nicht gar so weit war, seine Kräfte wären dem nicht gewachsen gewesen. Als er in der Maaßenstraße 87 ankam, zitterten ihm die Knie, und er fühlte den Schlag seines Herzens bis in den Hals hinauf. Etwas mochte auch seine seelische Aufregung daran schuld sein, die bange Ungewißheit, ob er hier die Unterstützung finden würde, ohne die er sein schweres Werk nicht ausführen konnte.
Das hohe Vestibül des sehr vornehmen Hauses mit seinen in die Marmorwände eingelassenen Riesenspiegeln machte ihn noch ängstlicher. Und mit zager Hand zog er den Bronzegriff der Klingel.
Ein Bedienter öffnete, ein englisch frisierter junger Mann im knappen Jackett mit Perlmutterknöpfen an den engen Hosen.
»Sie wünschen?«
»Ich möchte Fräulein Hilda Boras sprechen.«
»Bedaure sehr! ... Das gnädige Fräulein empfängt jetzt nicht.«
Heinz Marquardt bekam einen großen Schreck. Und wie er in seiner Bestürzung gar nicht wußte, was er sagen sollte, wollte der Diener ihm schon die Tür vor der Nase zumachen. Aber da zog er hastig die Karte vor, die er damals von ihr bekommen hatte. Und mit einer fast bittenden Gebärde sagte er:
»Aber sie hat es mir ja selbst gesagt! ... Da seh'n Sie doch mal! ...«
Der Diener betrachtete mißtrauisch die Karte, dann meinte er sehr zurückhaltend:
»Na, ich werde fragen ...«
Wie er aber zurückkam, war er recht höflich.
»Darf ich bitten?«
Und half dem Gast den Mantel ablegen und öffnete mit beflissenem Lächeln die Salontür.
Die schöne Bewohnerin dieser kostbar eingerichteten Räume kam Heinz Marquardt mit wirklicher Freundlichkeit entgegen.
»Sie Armer! ... Ich habe von Ihrem Unglück in den Zeitungen gelesen! ... Wären Sie doch damals nur gleich mit uns mitgegangen! ... Denken Sie doch, wenn Graf Saarwald nicht zurückgegangen wäre mit dem Kommissar ...«
»Da wär ich sicher nicht mit dem Leben davongekommen! ... Aber vielleicht wäre das besser für mich ...«
Er hatte auf ihre Bitte in einem der mit silbergetöntem Gobelinstoff bezogenen Fauteuils Platz genommen und sah trübselig vor sich nieder.
Mit einer beschwichtigenden Bewegung ihrer ideal geformten Hand, deren leuchtender Schmelz durch kostbare Ringe noch gehoben wurde, tröstete sie ihn.
»Sie sollten sich vor allen Dingen von diesen traurigen Gedanken befreien! ...« Und mit einem mitleidigen Blick ihres schimmernden, im Ausdruck so rasch wechselnden Augenpaares setzte sie hinzu:
»Aber das wird Ihnen gewiß recht schwer, in Ihrem jetzigen Zustand! ... Sagen Sie, haben denn die Ärzte Sie so herausgelassen aus dem Krankenhaus? ... Sie können doch so gar nichts unternehmen! ...«
»Oh!« sagte er, und auf seinem abgemagerten Gesicht zeigten sich die roten Flecken der Aufregung, »ich kann! Ich kann alles, gnädiges Fräulein! Mein Leben hat nur noch den einen einzigen Zweck! ... Wenn es wirklich dahin kommen sollte, daß ich das, was ich mir vorgenommen habe, nicht mehr ausführen kann, dann häng' ich mich auf!«
Sie verschloß ihm die Lippen mit ihren schlanken Fingern, die er in einer Regung leidenschaftlicher Dankbarkeit inbrünstig küßte ... Wer weiß, ob sie ihm Geld geben konnte und wollte, aber auf jeden Fall nahm sie Anteil an seinem Geschick – schon das erquickte ihn und machte ihn ihr ganz und gar ergeben.
»Und nun erzählen Sie mir von ihr!« sagte das schöne Mädchen, das in ein Gewand aus weicher, dunkelgrüner Seide gekleidet, in seiner raffinierten Einfachheit nur den Schmuck der roten, goldglänzenden Haare als Kontrast dagegen stellte.
»Wie gut, wie lieb und wie schön muß Ihre Frau gewesen sein, daß Sie ihr so die Treue halten!«
Er sagte nichts, nur seine Tränen sprachen.
»Haben Sie sie lange besessen?«
»Ein halbes Jahr.«
Sie ließ ihn ruhig sich in seine Erinnerungen versinken, dann sagte sie mit ihrer leisen, wie fernlockende Musik klingenden Stimme:
»Dachten Sie nie daran, welch' ein Glück in so kurzem Besitz liegt ... wie süß es ist, nur Liebe gegeben und nur Liebe empfangen zu haben ... ohne den geringsten Tropfen Haß! ... Ohne ein hartes Wort! ... Immer nur Liebe – dachten Sie nie daran?«
Er horchte auf, doch grollend sagte er:
»Aber es hätte darum doch so bald nicht enden brauchen!«
»Bald? ... Bald? ... Das Glück ist nur ein Augenblick ... ein Hauch, der verweht im Winde ... eine süße Illusion, nichts weiter ...«
Ihre Stimme gab eine Ahnung von diesem Glück, sie schien körperlos, wie Geisternähe.
»Sie sind doch glücklich! ... Sie tragen sie ja noch immer in sich, diese Glut, die nicht verlöschen kann! ... Wissen Sie nicht, daß unsere Herzen im Leben sterben und im Tode leben?!«
Er sah sie an und trank den Balsam ihrer Worte wie ein Verdurstender. Und dann fiel ihm ein, daß er ja hergekommen war, um Geld von ihr zu fordern. Und die Angst von vorhin erfaßte ihn zwiefach, weil er einsah, daß er jetzt nicht imstande sein würde, sie zu bitten.
Es schien, als sähe sie die Furcht hinter seiner Stirne zittern und sich verstecken. Sie sagte plötzlich mit ganz verändertem, hellklingendem Ton, der ein Lächeln auf seine Lippen zauberte:
»Aber Sie brauchen Geld, nicht wahr?«
»Ja, woher wissen Sie denn?« stammelte er.
»Aber das stand doch auch in der Zeitung, daß Ihnen diese schrecklichen Menschen Ihre Brieftasche, alles, was Sie besessen, genommen haben ... nicht wahr, Herr Marquardt, Sie werden meine Hilfe nicht zurückweisen? ... Ich komme so selten in die Lage, wirklich etwas Gutes zu tun ... hier kann ich es mal.«
Er war auf die Knie gesunken und verbarg seine nassen Augen in ihrem Kleide. Sie lächelte, daß all der Schmelz, alle Jugend wieder in ihr Gesicht kam, und blickte verstohlen in den großen Kristallspiegel und fand sich selbst mit dem vor ihr knienden Manne in der Pose der Barmherzigkeit und der Rührung, welche die Wahrheit waren, ganz bezaubernd.
Indem klopfte es.
Heinz Marquardt sprang verwirrt auf.
Und nach einer Pause, in der die Schöne ihrem Besucher Zeit ließ, sich zu sammeln, trat der Diener auf ihr »Herein« in den Salon und meldete Herrn Schindler.
Da lachte sie hell auf.
Diese Lustigkeit hatte etwas so Ansteckendes, daß auch Heinz Marquardts Gesicht gleich hell wurde.
»Passen Sie auf,« flüsterte sie, »in fünf Minuten haben Sie Ihr Geld ... wieviel brauchen