Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan
doch sehr auffällig, daß gerade nur die eine Manschette, wahrscheinlich die an der rechten Hand, die Blutflecke aufweist?«
Maaß hob wieder nur die Schultern. Und nach zwei Minuten, als es ihm einfiel, daß dies ja ganz natürlich wäre, da er sicher mit der rechten Hand nach der blutenden Nase gegriffen hatte – als ihm das einfiel, fragte Hartmuth schon wieder so knifflich, daß Maaß sich zusammennehmen mußte, um ja nichts zu sagen, woraus man ihm wieder ein Glied zur Kette hätte schmieden können.
»Sagen Sie mal, Maaß,« meinte der Kommissar, rasch weitersprechend, denn es lag ihm daran, dem Angeschuldigten keine Zeit zu »Ausreden« zu lassen, »wenn jemand Nasenbluten hat, dann ist doch nicht bloß vorne gerade an der Manschette ein blutiger Rand, denn dann müßte ja das Nasenbluten sofort wieder aufgehört haben, das wäre sozusagen ein Nasenbluten auf Bestellung! Sondern man nimmt ein Taschentuch, irgendeinen Lappen, der natürlich auch blutig wird! Aber davon ist bei Ihnen nicht das geringste gefunden worden! – Wie erklären Sie das?«
»Sehr einfach,« sagte Maaß, dessen Mut und Schlagfertigkeit sich an dem allzu selbstsicheren Wesen des Kommissars scharf schliffen, »die Nase hat mir, da ich wahrscheinlich in meiner Bezechtheit irgendwo angerannt bin, eben nur ein paar Sekunden geblutet. Ich habe halb unbewußt danach hingefaßt und mir dabei die Manschetten rot gemacht ...«
»Nein, nur die eine, bitte, nur die eine!«
»Na ja, nur die eine! ... Wenn ich bloß mit einer Hand hinfasse, so kann ich sie mir doch nicht alle beide schmutzig gemacht haben!«
»Ich wünsche einen etwas bescheideneren Ton, Angeschuldigter!« mischte sich Doktor Birckner jetzt scharf in die Unterredung.
Aber Maaß war wieder einmal zu Ende mit seiner Selbstbeherrschung.
»Mir is das janz ejal, Herr Untersuchungsrichter! Meinetwegen machen Se, was Se wollen! Wenn das noch lange so weiter geht, dann antwort' ich überhaupt nicht mehr!«
Der Untersuchungsrichter warf einen Blick zu Hartmuth hinüber, als wollte er sagen: »Siehst du, was du mit deinen Fragen erreichst?« – Zu Maaß gewendet sagte er mit etwas milderer Strenge:
»Jedenfalls dürfen Sie keinen Augenblick vergessen, wo Sie sich hier befinden ... hm ... hm. Nu sagen Sie mir doch mal aufrichtig Ihre Meinung. Wer hat Ihrer Ansicht nach den Mord vollbracht?«
»Wie soll ich denn das wissen, Herr Untersuchungsrichter! Ich jedenfalls nicht!«
»Das würden wir Ihnen ja auch sehr gerne glauben, wenn wir nur irgendeine plausible Erklärung dafür fänden oder von Ihnen bekämen, wo Sie sich an dem fraglichen Tage zwischen zwei und fünf Uhr aufgehalten haben. Um diese Zeit ist der Mord geschehen, das hat der Sektions- resp. der Befund des Mageninhalts der Toten evident erwiesen ... Aber Sie behaupten, Sie wissen nicht, wo Sie währenddem gewesen sind?«
»Doch, doch, Herr Untersuchungsrichter! ... Das weiß ich! Ganz genau weiß ich das! Ich bin umhergelaufen! Wir hatten uns vormittags im Bureau gezankt, Marquardt und ich. Und da könnt' ich den Menschen nicht mehr seh'n ... Ich wäre verrückt geworden, wenn ich 'n an dem Tage nochmal hätte sehen müssen!«
»Also daß Sie wütend waren auf Ihren Kollegen, das geben Sie jetzt zu?«
Über Maaß kam eine große Verwirrung ... Ja, hatte er denn das schon geleugnet, er erinnerte sich doch gar nicht!
Aber der Untersuchungsrichter, der diese Taktik gern befolgte, um verstockte Angeklagte aus ihrer Gedankenbeherrschung herauszubringen, fragte schnell weiter:
»Sie sind also so voller Wut gegen Marquardt umhergelaufen, daß Sie schließlich, wie von einem Magnet angezogen, in die Nähe seiner Wohnung gekommen sind, nicht wahr?«
Maaß schüttelte den Kopf.
»Sie sind nicht dort gewesen? ... So? ... Wenn wir Ihnen nun Leute gegenüberstellen, einwandsfreie Zeugen, die bekunden werden, daß Sie an dem fraglichen Tage, zu der inkriminierten Zeit, dort gesehen wurden?«
Der Untersuchungsrichter hatte trotz aller Anstrengungen solche Leute bisher nicht ausfindig machen können. Aber es schien ihm, als ob Maaß diese schon mehrfach gestellte Frage sehr nahe ginge. Deshalb tat Doktor Birckner so, als hätte er diese Zeugen in Wirklichkeit zur Verfügung.
»Ich war nicht da.«
Aber des Untersuchungsrichters feines Ohr, das leider nur den Ton der Schuld so sicher, niemals aber den der Unschuld aus der Stimme eines Angeklagten vernahm, hatte recht gehört.
Maaß war dort gewesen. Die Sehnsucht nach der entrissenen Geliebten hatte ihn wirklich dort hinausgetrieben nach dem Norden ... In dem törichten Glauben, sie vielleicht zu sprechen, vielleicht auch nur ihr Angesicht für einen Augenblick hinter einem Fenster aufleuchten zu sehen, hatte er sich da hinausbegeben, unglücklich, elend, mit der Welt und sich zerfallen ... Sie hatte er nicht gesehen, aber auch keinen Bekannten, der ihn hätte verraten können, hatte er dort getroffen, trotzdem er wohl eine Stunde vor ihrem Hause auf und ab patrouilliert war ... Im tiefsten Herzen zitterte er, daß doch vielleicht jemand ihn beobachtet haben und jetzt mit seiner Wissenschaft vortreten könnte, aber er glaubte es nicht ... »Wenn wirklich so ein Zeuge vorhanden wäre,« rechnete er, »so würden sie sich hier wahrlich nicht genieren und ihn mir gegenüberstellen.«
Der Untersuchungsrichter beobachtete seinen Mann, wie eine Schlange das Kaninchen belauert, das sie gleich umstricken wird.
»Kommen Sie mal her, Maaß! ... Hier an den Tisch ran!«
Der Bureaubeamte gehorchte.
»Ist das hier Ihre Handschrift?«
»Ja,« Maaß war sehr bestürzt, »das ist 'n Brief an meine Mutter! ... Warum is 'n der nicht abgeschickt?«
»Nur ruhig,« sagte Doktor Birckner, »seien Sie froh, daß ich Ihnen hierauf nicht noch 'n Prozeß an 'n Hals hänge, mein Lieber! Dieser Brief strotzt von Beleidigungen gegen Gefängnis- und Gerichtsbeamte, so was wird natürlich nicht abgeschickt! ... Wenn Sie einen anständigen, bescheidenen Brief an Ihre Mutter schreiben wollen, so ist dagegen natürlich nichts einzuwenden! Nebenbei wäre das auch die passendste Gelegenheit, ein reumütiges Geständnis abzulegen ... ich meine, in so 'n altes, treues Mutterherz schüttet man seine Schuld und Sünde am besten hinein!«
Der Herr Amtsgerichtsrat sagte diese an sich vielleicht rührenden Worte mit einer so unleidlichen Trockenheit im Ton, so uninteressiert und darum so wirkungslos, daß Maaß, dem bereits das Weinen in der Brust hervorquoll, auf einmal wieder ganz gefaßt und beinah gleichmütig wurde.
»Na, wenn man meine Briefe schon unterschlägt! ...« Der kleine Rothaarige wurde absichtlich impertinent – aber weiter ließ ihn der Untersuchungsrichter nicht kommen.
»Was erlauben Sie sich« schnauzte er ihn an, »ich lasse Sie krumm schließen, bei Wasser und Brot, unten im Keller! ... Sie unverschämter Halunke!«
Maaß verbeugte sich, hochrot im Gesicht: »Danke, gleichfalls!«
»Wa... was, Sie! ... Sie! ...« Dr. Birckner schnappte nach Luft. »Herr Kommissar!«
»Jawohl, Herr Amtsgerichtsrat! ...« Der Kommissar Hartmuth, äußerlich todernst, innerlich aber voll Schadenfreude, gönnte diesem »aufgeblasenen Juristen« den Denkzettel.
»Sie sind Zeuge!« schnaubte der Richter, »Sie haben gehört, was sich dieser Mensch da eben zu sagen erfrecht hat!«
»Jawohl, Herr Untersuchungsrichter.«
»So, na dann setzen wir vorläufig das Verhör fort! ... Das übrige wird sich dann ja schon finden! ... Ist das hier Ihre Handschrift, Angeschuldigter? ... Ja. oder nein?!«
Maaß starrte lange auf das Briefblatt, ehe er »Ja« sagte. Jetzt war er doch voller Angst, was man nun mit ihm machen würde, und hätte Gott weiß was darum gegeben, wenn er dem Untersuchungsrichter diese patzige Antwort nicht gegeben hätte ... Trotzdem gab er sich die größte Mühe, diese neue Angst zu verbergen. Besonders ein Gedanke peinigte ihn: er hatte gehört, daß manchmal die Gefangenen noch in den Bock gespannt und halbtot geschlagen