Wyatt Earp Paket 3 – Western. William Mark D.
hole ich mir!« keuchte der Mann mit verkniffenem Gesicht.
»Doc Holliday wird dich bis in die Felsenberge und bis in den Sand von Texas verfolgen, wenn du den Marshal ermordest, Ed!« wimmerte die Frau.
Da fuhr der Mann herum und versetzte ihr eine Ohrfeige, die sie zurücktaumeln ließ.
»Ermordet?« keuchte er heiser. »Bist du wahnsinnig! Dieser Hund hat Pete erschossen! Pete, meinen Freund Pete Spence! Nie gab es einen besseren Burschen als ihn! Der Marshal hat ihn ausgelöscht…«
Wieder schlug der Mann zu, rücksichtslos, brutal.
Zwei Kinder schrien ängstlich in einer Ecke des Zimmers auf.
»Mutter!«
Als Ed ›Captain‹ Baxter den Kopf wieder herumwarf, war auch der Marshal auf dem Vorbau und damit aus dem Blickfeld des Heckenschützen verschwunden.
Doc Holliday stieß die schweren Schwingarme der Pendeltür auseinander und blickte in das Halbdunkel des großen Schankraumes.
Da er aus der gleißenden Helle der Straße kam, noch geblendet von der untergehenden Sonne, mußte er sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen, das in der Schenke herrschte, deren Fenster von schweren rotsamtenen Vorhängen halb verhangen waren.
Er hielt die beiden Schwingarme einen Augenblick auf.
Der Geruch von Whisky und Tabak, Leder, Pferdeschweiß und staubigem Plüsch schlug ihm entgegen.
Jetzt hatten sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt.
Der große, mit grünen Samtstoffen und Goldborten ausgeschlagene Vorderraum des Crystal Palace war leer.
Völlig leer.
Cass Claiborne war als erster gegangen.
Curly Bill dachte nicht daran, zu gehen. Erst als er von hinten rauh angestoßen worden war, sich umblickte und in die schiefergrauen, seltsam hellen Augen Kirk McLowerys sah, lief ihm plötzlich ein eisiger Schauer über den Rücken.
»Was willst du?« knurrte er.
»Wir gehen!« sagte der Mann aus dem San Pedro Valley.
»Weshalb?«
»Weil der Fight erst morgen früh ist…«
So fand der Georgier einen völlig leeren Schankraum vor. Er trat in dem Augenblick an die überladen wirkende, bombastische Theke, als die Gestalt des Marshals den Eingang verdunkelte.
Holliday sah seine Silhouette im Thekenspiegel, vom grellen rotgoldenen Licht der Straße umflutet.
»Hier sind offenbar sämtliche Quellen versiegt«, stellte der Spieler klirrend fest.
Wyatt Earp blieb im Eingang stehen.
»Keeper!« rief der Spieler.
Da schob sich der Froschschädel Jim Dawsons durch die Perlenschnüre des Flurvorhanges.
»Einen Brandy!«
»Sehr wohl, Doc! Sofort, Doc! Eine Sekunde nur!« Er stürzte an die Theke, riß eine Klappe auf und nahm eine neue Flasche heraus.
Das Glas, das er vom Bord nahm, wischte er eigens noch einmal mit seinem Gläsertuch aus.
»Spülen!« verlangte der Georgier, da er die ›Sauberkeit‹ der Gläsertücher kannte.
Dawson nickte untertänig und tauchte das Glas mehrmals in das Wasserbecken.
»Nicht abtrocknen! Einschenken!«
»Sehr wohl!«
Der Gambler nippte an dem Brandy und nickte dann wohlgefällig
Die eisige Angst, die sein Anblick in das Hasenherz des Keepers gesenkt hatte, zerschmolz allmählich.
»Ein guter Tropfen, nicht wahr, Doc? Ich hatte ihn mir…« Er hielt inne, sah sich um, trat an den Vorhang und lugte in den Flur hinaus. Als er wieder an die Theke zurückkam, fuhr er leiser fort:
»Ich hatte ihn eigens für Sie zurückgelegt.«
»Für mich?« entgegnete der Gambler finster.
»Ja, oder sagen sie besser, für einen Kenner wie Sie, Doc!«
Holliday trank den Brandy aus, warf zwei Geldstücke aufs Thekenblech und wandte sich dem Eingang zu.
Wyatt ließ ihn vorbei. »Na, war es ein guter Brandy?«
»Yeah, ein sehr guter sogar.«
Sie stiegen in die Sättel, verließen die ungastliche Allenstreet und ritten zum Russian House hinunter, zu Nellie Cashmans berühmtem Hotel.
Damals, als sie zum erstenmal in der Stadt gewesen waren, lag das Etablissement der ebenso tatkräftigen wie hübschen Lady am Südostrand Tombstones – heute schien es fast mitten in der Stadt zu liegen. Viele neue Häuser waren dahinter zu sehen.
Wyatt stieg ab und gab dem Negerjungen, der auf ihn zulief, die Zügel des Falbhengstes.
»Na, Boy, wie heißt du denn?«
»Sammy.«
»Dachte ich mir’s doch. Well, dann stell mal unsere Pferde in den Stall, Sammy. Und wenn es geht, so, daß sie nicht allzuweit von der Stalltür entfernt sind.«
Der kleine Sammy sah ihn aus runden Jungenaugen an.
»Sie haben es eilig, wegzukommen, Massa?«
»Das auch. Aber deshalb ist es nicht – es kann nur sein, daß wir die Pferde rasch brauchen, weil andere Leute es vielleicht eilig haben, aus der Stadt zu kommen.«
Der ebenholzfarbene Bursche grinste und bleckte ein gewaltiges Gebiß.
»Verstehe.«
Holliday sah sich um.
»Am liebsten wäre ich wieder in mein altes Domizil gezogen. Aber wer weiß, wie es den beiden Quartors seitdem ergangen ist, zum Dank dafür, daß Doc Holliday damals bei ihnen gewohnt hat.«
»Eben. Sie können sie ja mal besuchen. Und außerdem: besser als bei Nellie Cashman können Sie in Tombstone gar nicht aufgehoben sein.«
Da wurde im Eingang des Hotels eine schlanke, vielleicht sechsundzwanzigjährige Frau mit schwarzem Haar und wundervollen Augen sichtbar.
»Mister Earp…!«
»Hallo, Miß Nellie!«
Der Marshal trat auf die Inhaberin des Hotels zu, zog seinen staubigen Hut und begrüßte sie. Bemerkte er nicht die übergroße Freude der Frau? Ihre tiefe, warme Herzlichkeit? Die helle Röte, die ihr etwas blasses Antlitz übergoß? Das Strahlen in ihren Augen?
Doc Holliday nahm ebenfalls seinen Hut ab und begrüßte Miß Cashman mit ausgesprochener Höflichkeit.
Sie maß ihn mit einem forschenden Blick.
»Sie wollen diesmal wirklich bei mir wohnen, Doc?«
Der Georgier blickte den Marshal an. »Habe ich es nicht gesagt: sie ist und bleibt eine Spötterin.«
»Ich glaube, daß ich da mit Ihnen nicht ganz mithalten kann, Doktor«, entgegnete die Frau, während ihre Augen wieder bei dem Marshal waren.
»Na, das wird ja einen Wirbel in der Stadt geben!«
»Der ist schon im Gange«, meinte Wyatt, während er mit dem Spieler durch den Eingang trat und, wie jedesmal, wenn er das gastliche Haus Nellie Cashmans besuchte, die geschmackvolle Einrichtung der Halle bewunderte.
Nachdem sich die beiden vom Staub des weiten Rittes gesäubert und erfrischt hatten, folgten sie der Einladung der Hausherrin zum Abendbrot im Nebenzimmer hinter dem großen Speiseraum.
Kein Wort wurde über die Vergangenheit gesprochen, über den Tag, an dem die Schüsse im O.K. Corral gefallen waren und auch nicht über die Nacht, in der der junge Morgan Earp in jenem Billard Saloon ermordet worden