Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
wem es gehörte. Heute nun wusste er es.
Es war ein Haus, das ihm gleich aufgefallen war, als er es zum ersten Mal gesehen hatte. Es hatte Stil.
Hoffentlich hat die böse Tante Hella dem Jungen nicht zu sehr zugesetzt, dachte Daniel, dann hielt er wenig später vor einem der hypermodernen Bungalows am Ende der Straße, von denen einer dem andern wie ein Ei glich.
»Endlich kommen Sie«, empfing ihn eine schlanke Frau mit hektisch geröteten Wangen. »Ich warte schon lange.«
»Tut mir leid, Frau Hanke, aber ich habe erst unterwegs erfahren, dass Sie angerufen haben«, erwiderte er ruhig.
»Christian hat entsetzlich hohes Fieber. In einem solchen Notfall müsste man doch erwarten, dass der Hausarzt sofort kommt.«
Solche Patienten gab es auch und nicht zu wenig. Dr. Norden kannte Frau Hanke. Sie rief ihn wegen jeder Bagatelle, wenn es um sie selbst ging. Bei ihrem Sohn war sie da nicht so schnell. Und dass es dem Jungen sehr schlecht ging, sah er sogleich.
»Dieses hohe Fieber kann Christian doch nicht erst seit einer Stunde haben«, stellte er fest.
»Schon ein paar Tage«, flüsterte der Junge apathisch. »Aber Mama hat gesagt, ich simuliere, weil ich nicht in die Schule gehen will.«
»War er heute etwa in der Schule?«, fragte Daniel.
»Es ging ihm nicht schlecht«, sagte Frau Hanke ungehalten. »Er schwänzt öfter. Da weiß man dann gar nicht mehr, ob ihm etwas fehlt oder nicht.«
In Daniel gärte es, aber er musste sich beherrschen. »Lungenentzündung«, sagte er. »Ich bin dafür, ihn in die Klinik zu bringen. Er muss ständig überwacht werden.«
»Das kann ich auch. Sein Vater wird nicht einverstanden sein, wenn er in die Klinik kommt.«
»Das werde ich mit Ihrem Mann besprechen, Frau Hanke«, sagte Daniel. Dann schob er sie aus dem Zimmer. »Christians Zustand ist bedenklich. Das kann ich Ihnen nicht verschweigen. Sie hätten mich sofort rufen müssen.«
»Und wenn ich Sie anrufe, kommen Sie nicht«, beschwerte sie sich,
»Ich bin sofort gekommen. Wir haben eine Grippeepidemie. Ich bin seit vier Uhr unterwegs, Frau Hanke. Aber wenn Sie heute vormittag angerufen hätten, wäre ich längst hiergewesen.«
»Das sagen Sie jetzt«, warf sie ihm vor.
Nun begann es in Daniel zu brodeln, doch er vermeinte Fees warnende Stimme zu hören, die da sagte: »Halt die Luft an, Daniel.« Fee hatte schon genug mit dieser Frau Hanke auszustehen gehabt, die es als persönliche Kränkung empfunden hatte, als »ihr« Dr. Norden Fee heiratete. Und nicht nur mit Frau Hanke war es ihr so ergangen. Doch deswegen konnte er den Jungen nicht im Stich lassen.
»Ich halte es für richtig, dass Christian schnellstens in die Klinik kommt und wenn Sie sich weigern, Frau Hanke, geben Sie es mir bitte schriftlich«, sagte er energisch.
Der Junge begann zu husten, und es kostete ihn gewaltige Anstrengung. Dr. Norden ging zum Telefon. Die Räumlichkeiten kannte er schon recht genau. Auch Herr Hanke war sein Patient, ein biederer braver Mann, der es vom einfachen Mechaniker zum Unternehmer gebracht hatte. Dies war seine zweite Frau: Christians Mutter war bei der Geburt gestorben, und er hatte eine Stiefmutter im sprichwörtlichen Sinne bekommen.
Dies alles war nebensächlich in diesem Augenblick. Christians Leben stand auf dem Spiel, für Dr. Norden war es die dritte dramatische Situation an diesem Tage und während er den Krankenwagen herbeirief, dachte er entsagungsvoll, dass aller schlechten Dinge drei wären, und nicht der guten Dinge.
Christian war jedenfalls kein Fall für die Behnisch-Klinik, er musste in das Kinderspital gebracht werden. Bei Dr. Derringer würde er in guten Händen sein.
Frau Hankes Gerede war verstummt. Unter halbgeschlossenen Lidern sah sie Dr. Norden an.
»Wenn Christian mich nicht so oft hinters Licht geführt hätte, wäre das nicht passiert«, sagte sie. »Aber es ist so wie bei den Hunden. Wenn sie unnütz bellen, hört man nicht mehr darauf.«
Daniel fand es impertinent, ein krankes Kind mit einem Hund zu vergleichen.
Es war schon komisch. Man sagte den Ärzten immer nach, dass einer den andern decken würde, wenn mal ein Fehler unterlief und in vielen Fällen mochte dies auch zutreffen. Aber wenn sich ein Arzt einer aufdringlichen Patientin erwehren musste und die wollte ihm einen Strick drehen, dann war die öffentliche Meinung auch gegen den Arzt, obgleich er keine Schuld trug.
»Wann kommt Ihr Mann heim?«, fragte er.
»Gar nicht. Er ist verreist«, erwiderte Frau Hanke gereizt.
Eigentlich hätte er sich das denken müssen, denn Herr Hanke hätte seinen einzigen Sohn bestimmt nicht in Lebensgefahr geraten lassen. Er war ein fürsorglicher Vater, wenn seine Geschäfte ihn auch mehr als genug beanspruchten.
Und in diesem Zusammenhang musste Daniel wieder an Professor Albrecht denken.
Und dann, als Christian in der Klinik untergebracht war und Dr. Derringer sich um ihn bemühte, dachte Daniel auch wieder an den dramatischen Anfang dieses Tages. Auf jeden Fall musste er sich noch erkundigen, wie es Frau Fichte ging.
*
Es war fast elf Uhr, als er heimkam. Fee hatte es sich bequem gemacht, aber sie war noch putzmunter, obgleich auch sie einen anstrengenden Tag hinter sich hatte.
»Da reden sie immer davon, dass es zu viele Ärzte gibt«, sagte sie, nachdem sie ihren Mann mit einem zärtlichen Kuss begrüßt hatte, der ihn mit aller Unbill des Tages versöhnte. »Diesmal war es wohl kein Fehlalarm bei Frau Hanke?«
»Christian hat Lungenentzündung. Diese grässliche Frau hätte mich viel früher rufen müssen.«
Wenn er mal so harte Ausdrücke in den Mund nahm, musste es schon sehr schlimm sein. Fee war besorgt. »Sie ist eben eine Stiefmutter. Es gibt solche immer noch.«
»Wir wollen nicht sagen, dass alle Mütter fürsorglich sind, aber mit ihr hat Herr Hanke sich wahrhaftig vergriffen. Ich habe den Jungen in die Klinik bringen lassen, obwohl sie fast geplatzt ist. Wenn sie mir was anhängen kann, tut sie es, Fee.«
»Dann hänge ich ihr aber auch was an«, ereiferte sich Fee. »Ich habe sie neulich tête à tête mit unserem neuen Hausverwalter gesehen. Diese falsche Schlange. Sie giftet sich doch nur, weil du ihren Reizen nicht erlegen bist.«
»Hat sie denn welche?«, fragte Daniel sarkastisch. »Lassen wir das Thema. Ich hoffe nur, dass Christian noch mal davonkommt. Der Junge hat mir ohnehin schon genug Sorgen gemacht. Ich war dann schnell noch bei Frau Fichte«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. »Gott sei Dank geht es ihr besser. Sie spricht gut auf das fremde Blut an und auch auf die Infusionen.«
»Und das Kind?«, fragte Fee.
»Ist mobil. Ein kräftiges Kerlchen. Was diese kleinen Wesen doch zäh sind.«
»Und so muss man sich immer wieder fragen, woran es liegt, dass manche bei durchaus normalen Geburten doch nicht überleben«, sagte Fee gedankenvoll.
»Es ist ein großes Fragezeichen, Feelein. Bedenken wir, dass Jahrtausende eine Geburt einfach ein Naturereignis war und der Tod eines Kindes ebenfalls. Wie in der Natur, bei den Tieren, gab man den Schwachen keine Chance. Ein schwaches Kind war sogar als Makel betrachtet worden. Und wenn wir daran denken, was der gute Ignaz Semmelweis vor hundert Jahren ausstehen musste, weil er die Ursache des Kindbettfiebers bei der Unsauberkeit unserer damaligen werten Kollegen und des Pflegepersonals entdeckte, müssen wir hübsch still sein. Meinst du, dass ein Gynäkologe zugeben würde, er hätte etwas versäumt? Aber wie wenig Zeit nehmen sich die meisten, um die werdenden Mütter genügend aufzuklären. Es gibt so viele Einflüsse, die dem werdenden Kind schaden können, von den organischen Beschwerden ganz abgesehen. Frau Fichte hat sich bei dem Umzug übernommen. Sie ist eine natürliche, gesunde Frau und hat kleine Anzeichen nicht tragisch genommen. Außerdem ist ihr Mann eine Mimose. Sie wollte ihn nicht aufregen. Ich habe noch ein