Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Kerstin war von Professor Albrecht auf den Besuch vorbereitet worden. Ihr Blick war auf die Tür gerichtet, durch die der Junge jetzt hereinkam, von dem riesigen Blumenstrauß fast verdeckt.
Schwester Petra folgte mit dem wassergefüllten Krug. Sie wollte Stefan die Blumen aus den Händen nehmen, aber er machte eine unwillige Bewegung. »Ich stelle sie selbst ins Wasser«, sagte er.
Schwester Petra verschwand wieder. Stefan sah Kerstin kummervoll an.
»Es tut mir so leid«, flüsterte er. Dann stellte er die Blumen vorsichtig in den Krug.
»Der Krug gehört Ihnen auch«, sagte er. »Dass ihn keiner wegnimmt.«
»Er ist wunderschön«, sagte Kerstin und in ihrer Stimme war ein weiches, zärtliches Schwingen.
»Ja, er hat mir gefallen. Die Blumen habe ich auch selbst ausgesucht. Haben Sie Blumen auch gern?«
»Sehr gern, Stefan. Und das sind wunderschöne Blumen, ich danke dir.«
»Ich muss Sie sehr viel um Verzeihung bitten«, sagte Stefan. »Tut es sehr weh?«
»Gar nicht. Dein Papi versorgt mich sehr gut.«
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die er zaghaft ergriff, und dann machte er seine schönste Verbeugung.
»Ich wollte in die Schule«, flüsterte er. »Ich war schon zu spät dran.«
»Und ich habe nicht aufgepasst«, sagte Kerstin. »Ich war schuld, Stefan.«
»Das darfst du nicht sagen.« Er fand, dass es viel einfacher war, du zu sagen und dachte sich dabei nichts, denn Kerstin sah ihn ja so lieb an. »Du hast dich mächtig erschrocken. Ich habe dein Gesicht gesehen.«
»Vergiss es.«
»Kann ich nicht. Das kann ich wirklich nicht.« Tränen drängten sich in seine Augen. »Du hättest gestorben sein können«, flüsterte er. »Und das ist ganz schrecklich. Dann kann man nie mehr sagen, wie leid es einem tut. Meine Omi ist nämlich auch gestorben und ich habe nicht sagen können, wie ganz furchtbar lieb ich sie gehabt habe.«
Zärtlich glitten Kerstins Finger durch sein Lockenhaar, und ein ganz eigentümliches Gefühl bewegte sie.
Wofür lebte sie eigentlich, wenn sie kein Kind hatte? Für wen all der Ehrgeiz? »Ich lebe, und es geht mir gut, Stefan«, sagte sie.
»Und du bist mir nicht böse?«
»Ich bin froh, dass du wohlauf bist.«
Er sah sie lange und nachdenklich an. »Wie ich dich gesehen habe, hast du wie ein Geist ausgesehen, aber jetzt siehst du aus wie eine Prinzessin aus dem Märchen.«
»Das ist das hübscheste Kompliment, das ich je gehört habe«, sagte Kerstin mit einem weichen Lächeln.
»Hat Papi dir noch nicht gesagt, dass du sehr schön aussiehst?«, fragte Stefan naiv.
»Du lieber Himmel, das wäre wohl ein bisschen viel verlangt«, sagte sie und lachte herzhaft auf, aber dieses Lachen verursachte ihr einen stechenden Schmerz in der Brust und sie ächzte leise.
»Tut es weh?«, fragte Stefan aufgeregt. »Ich rufe gleich Papi.« Und ehe sie fähig war, etwas zu sagen, war er schon an der Tür und rief lautstark nach seinem Vater.
Martin war doch in Sorge gewesen, dass der Besuch nicht ganz reibungslos verlaufen könnte – und sofort zur Stelle, als er die ängstliche Stimme seines Sohnes vernahm.
Besorgt beugte er sich über Kerstin. »Es war nur ein Augenblick. Ich musste lachen, und das tat weh.«
Martin sah seinen Sohn mahnend an. »Frau Torstensen hat ein paar Rippen gebrochen, da darf sie nicht lachen«, sagte er mahnend.
»Das kann Stefan doch nicht wissen«, sagte Kerstin.
»Das hättest du mir auch sagen müssen, Papi«, sagte Stefan, »und außerdem konnte ich nicht wissen, dass Frau Torstensen lacht.«
»Verabschiede dich jetzt«, sagte Martin.
»Aber warum denn?«, fragte Kerstin. »Bitte nicht. Stefan trifft doch keine Schuld, wenn ich lache. Er ist so lieb.«
»Und ich habe sie bloß gefragt, ob du ihr noch nicht gesagt hast, dass sie schön ist, Papi.«
Das Blut stieg Martin in die Stirn, aber wie sollte er sich dazu äußern, da Stefan ihn so unschuldvoll anblickte.
»Dazu hatte ich noch keine Gelegenheit, und außerdem darf ein Arzt so etwas nicht zu einer Patientin sagen.«
»Warum denn nicht?«, fragte Stefan.
Zum Glück wurde der Professor jetzt von Oberschwester Erika zu einem Patienten gerufen. Stefan durfte weiterhin bei Kerstin bleiben, und nun erkundigte er sich erst einmal, wie er sie nennen dürfe.
»Sag ruhig Kerstin zu mir. Frau Torstensen ist zu lang. Außerdem bin ich nicht verheiratet.«
»Nein, das finde ich sehr gut. Tante Hella ist auch nicht verheiratet, aber sie will, dass man Frau zu ihr sagt. Sie ist auch schon viel älter als du.« Ein Seufzer schloss sich an, der wohl ausdrücken sollte, wie wenig er Tante Hella zugeneigt war, dann fuhr er rasch fort: »Ein Arzt hat schon viel zu tun. Er kann sich nicht mal richtig unterhalten. Aber Papi ist ein guter Arzt, findest du auch, Kerstin?«
»Ein sehr guter Arzt sogar. Du siehst ja, wie schnell er mich wieder gesund macht.«
»Das wäre ihm aber auch ganz arg gewesen, wenn es noch schlimmer gewesen wäre, wo er doch wusste, dass ich schuld war.«
»Du sollst das nicht sagen, Stefan. Jeder Autofahrer ist verpflichtet, auf Kinder besonders Obacht zu geben.«
»Aber wenn die Kinder nicht aufpassen, kann er nicht schuld sein«, sagte Stefan. »Du bist sehr lieb, Kerstin, und ich schenke dir noch mal was ganz Schönes. Ich muss mich für so viel bedanken bei dir, auch dass ich Dr. Norden kennengelernt habe deswegen, und dass ich darum Lenchen besuchen darf und nicht immer zu Hause bei Tante Hella sein muss.«
Zu gern hätte Kerstin etwas mehr von dieser Tante Hella erfahren, aber Stefan fand das Thema nicht schön. Er wollte sich mit Kerstin lieber über andere Dinge unterhalten, und als dieser Besuch dann doch beendet werden musste, weil Kerstin ärztlich versorgt werden sollte, war er sehr betrübt.
»Du kannst mich ja morgen wieder besuchen«, sagte sie.
»Darf ich? Aber vormittags muss ich zur Schule.«
»Sonntags auch?«, fragte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
Seine Augen leuchteten auf. »Ach, morgen ist ja Sonntag, das habe ich ganz vergessen. Dann komme ich freilich.«
Er winkte ihr von der Tür immer noch zu und warf ihr auch noch eine Kusshand zu. Auf Kerstins Gesicht blieb ein glückliches Lächeln zurück.
Professor Albrecht hatte indessen die zweite Unterhaltung mit Tonio Laurentis geführt. Sie hatte in feindseliger Atmosphäre stattgefunden, nachdem der Professor erklärt hatte, dass Besuche bei Frau Torstensen nach wie vor nicht gestattet wären.
»Sie haben wohl allen Grund, Frau Torstensen abzuschirmen«, sagte Tonio anzüglich. »Es scheint, als wollten Sie vertuschen dass es Ihr Sohn war, der den Unfall verschuldet hat. Aber ich werde dafür sorgen, dass Frau Torstensen zu ihrem Recht kommt.«
Er konnte sich überzeugend aufspielen, und Professor Albrecht war sich im Klaren darüber, dass dieser Mann ein äußerst gefährlicher Gegner sein konnte, aber Kerstin Tortensen wollte nichts von ihm wissen und das zählte.
»Es gibt nichts zu vertuschen. Frau Torstensen wird zu ihrem Recht kommen«, sagte er ruhig. »Wenn Frau Torstensen bereit ist, Sie zu empfangen, werden wir Sie unterrichten.«
Er hatte nicht die geringste Neigung, seine kostbare Zeit für diesen Mann zu verschwenden. Wohl oder übel musste Tonio wieder den Rückzug antreten.
Als