Auferstehung. Лев Толстой

Auferstehung - Лев Толстой


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erhob sich unwillkürlich auf seinem Sessel.

      Thatsächlich hatte sie ihn aber gar nicht erkannt, denn sie stieß einen leisen Seufzer aus und wandte ihre Augen dem Präsidenten zu. Auch Nechludoff seufzte und dachte: »Ach, es wäre besser gewesen, wenn sie mich gleich erkannt hätte!«

      Er hatte eine Empfindung, wie er sie manchmal auf der Jagd gehabt, wenn er einen verwundeten Vogel vollends tot geschossen; der verwundete Vogel zappelt in der Jagdtasche, er thut einem leid, man zögert und möchte ihm doch so schnell wie möglich den Garaus machen.

      Gefühle dieser Art erfüllten in dieser Stunde die Seele Nechludoffs, während er auf die Zeugenaussagen hörte.

      Wie absichtlich zog sich die Sache in die Länge. Nachdem man alle Zeugen und den Sachverständigen verhört, und der Staatsanwalt und die Verteidiger wie üblich mit der wichtigsten Miene von der Welt eine Reihe unnützer Fragen, gestellt, forderte der Präsident die Geschworenen auf, von den Beweisstücken Kenntnis zu nehmen, die in etwa zehn Pokalen, dem Filter, mit dem man das Gift untersucht, und einem ungeheuer großen Ringe mit einer Brillantrose, der wohl auf einem Zeigefinger von ungewöhnlicher Dicke gesteckt haben mußte, bestanden. Alle diese Gegenstände waren versiegelt und mit einem Etikett versehen. Die Geschworenen wollten sich bereits von ihren Sitzen erheben, um die Gegenstände zu prüfen, als der Staatsanwalt aufstand und um die Verlesung der an dem Leichnam des verstorbenen Smjelkoff vorgenommenen ärztlichen Untersuchung bat.

      Der Präsident, der die Sache so viel wie möglich beeilte, wußte recht wohl, daß die Verlesung dieser Dokumente keine andere Wirkung hatte, als eine allgemeine Langeweile herbeizuführen. Er wußte, daß der Staatsanwalt die Verlesung nur forderte, weil er das Recht dazu hatte. Er wußte aber ebenso, daß er sich dem nicht widersetzen konnte, und so ordnete er denn die Verlesung an. Der Aktuar nahm Papiere zur Hand und begann mit seiner einschläfernden Stimme zu lesen.

      Aus der Prüfung der Leiche ging folgendes hervor:

      1. Die Größe des Ferapont Smjelkoff betrug zwei Arschin zwölf Werschoks.

      »Ein kräftiger Bursche!« flüsterte der Kaufmann Nechludoff ins Ohr.

      2. Das Alter mußte, soweit man nach äußerlicher Prüfung beurteilen konnte, ungefähr 40 Jahre betragen.

      3. Der Leichnam war stark angeschwollen.

      4. Die Adern waren grünlich und stellenweise schwarz gefleckt.

      5. Die Haut hatte sich von der ganzen Oberfläche des Körpers abgelöst und hing an mehreren Stellen herunter.

      6. Die sehr dichten, dunkelroten Haare lösten sich bei der geringsten Berührung des Fingers von der Haut. 7. Die Augen traten aus den Höhlen, und die Hornhaut war matt.

      8. Aus den Nasenlöchern, der beiden Ohren und dem Munde floß ein eitriger Schaum.

      9. Der Leichnam hatte infolge der Anschwellung des Gesichtes und der Büste fast gar keinen Hals.

      In dieser Weise wurde der aufgedunsene Leichnam des lustigen Smjelkoff vier Seiten lang auf 27 Punkten weiter beschrieben, und als die Verlesung der äußeren Untersuchung endlich beendet war, stieß der Präsident einen Seufzer der Erleichterung aus und erhob den Kopf; doch sofort begann der Aktuar ein zweites Dokument zu lesen; das Protokoll über die innere Untersuchung.

      Der Präsident ließ den Kopf von neuem zurücksinken, lehnte sich auf den Tisch und legte die Hände vor die Augen. Der Kaufmann neben Nechludoff machte gewaltige Anstrengungen, um den Schlummer zu unterdrücken, und ließ von Zeit zu Zeit den Kopf sinken; selbst die Angeklagten und die unbeweglich dasitzenden Gendarmen überfiel die Schlaflust.

      Die innere Untersuchung der Leiche hatte ergeben:

      1. Die Haut der Schädelhöhle hatte sich ohne Spur von Bluterguß von den Knochen gelöst.

      2. Die Schädelknochen waren normal und unberührt.

      3. Auf dem Gehirn befanden sich zwei kleine Flecken von etwa 4 Zoll Größe u.s.w. . . Dann folgten noch 13 Punkte derselben Art.

      Es folgten nun die Namen der bei der Untersuchung anwesenden Zeugen und endlich die Schlußfolgerungen des Gerichtsarztes, welcher erklärte, aus den im Magen und in den Eingeweiden des Kaufmanns Smjelkoff erfolgten Veränderungen gehe aller Wahrscheinlichkeit nach hervor, daß derselbe am Genuß eines gleichzeitig mit Branntwein getrunkenen Giftes gestorben war. Den Namen des Giftes zu nennen, war unmöglich; und daß das Gift gleichzeitig mit dem Branntwein genossen worden war, ging aus dem großen Quantum Branntwein hervor, das sich im Magen des Kaufmanns befunden hatte.

      »Da sieht man, daß er tüchtig trank,« flüsterte der Kaufmann, der plötzlich wieder erwacht war, Nechludoff ins Ohr.

      Die Verlesung dieser Protokolle hatte fast eine Stunde gedauert; doch der Staatsanwalt war unersättlich. Als der Aktuar die Folgerungen des Gerichtsarztes verlesen, sagte der Präsident, sich zu dem Staatsanwalt wendend: »Ich glaube, die Resultate der inneren Teile brauchen wir nicht zu verlesen!«

      »Verzeihung, ich verlange die Verlesung!« sagte der Vertreter des öffentlichen Anklägers in strengem Tone, ohne den Präsidenten anzusehen und beugte sich leicht zur Seite.

      Der Richter mit dem langen Bart spürte von neuem Magendrücken und fragte den Präsidenten:

      »Weshalb diese Verlesung? Damit verlieren wir nur Zeit!«

      Der Richter mit der goldenen Brille sagte nichts. Er starrte mit düsterer, verdrossener Miene vor sich hin, wie ein Mann, der weder von seiner Frau im besonderen, noch vom Leben im allgemeinen etwas Gutes erwartet.

      Die Verlesung des Dokuments begann:

      Am 15. Dezember 188.. haben wir Endesunterzeichnete, auf Befehl der medizinischen Inspektion, und auf Grund des Artikels...,« begann der Aktuar in entschlossenem Tone zu lesen, als wolle er seine eigene Schläfrigkeit und die des ganzen Saales besiegen – »in Gegenwart des Delegierten der oben erwähnten medizinischen Inspektion die Analyse der nachfolgenden Gegenstände vorgenommen:

      1. Der rechten Lunge und des Herzens (in einem sechs Pfund fassenden Pokal befindlich).

      2. Des Inhalts des Magens (in einem Sechspfund-Pokal befindlich).

      3. Des Magens (in einem Sechspfund-Pokal befindlich).

      4. Der Leber, der Galle und Milz (in einem Dreipfund-Pokal befindlich).

      5. Der Eingeweide (in einem sechs Pfund fassenden Glaspokal befindlich).

      Bei dieser Stelle flüsterte der Präsident erst dem einen, dann dem andern Beisitzer etwas ins Ohr. Nachdem er von beiden eine bejahende Antwort erhalten, machte er dem Aktuar ein Zeichen, mit der Verlesung aufzuhören, und erklärte:

      »Der Gerichtshof hält diese Verlesung für unnötig!«

      Der Aktuar schwieg sofort und legte die Blätter des Protokolls zusammen, während sich der Staatsanwalt mit zorniger Miene etwas notierte.

      »Die Herren Geschworene» können jetzt von den Beweisstücken Kenntnis nehmen,« sagte der Präsident.

      Eine große Anzahl der Geschworenen erhoben sich und näherten sich dem Tische, wo sie sich den Ring, die Pokale und den Filter ansahen. Der Kaufmann wagte es sogar, den Ring an den Finger zu stecken und sagte zu Nechludoff, während er wieder auf seinen Platz zurückging:


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