Auferstehung. Лев Толстой
traten, wie vorher Cigaretten und zündeten sie an. Das Bewußtsein ihrer falschen und unnatürlichen Lage, das alle mehr oder weniger deutlich empfunden, als sie im Gerichtssaal gesessen hatten, schwand vollständig aus ihrer Seele, sobald sie wieder frei waren und die Cigarette im Munde hielten, und sofort begann eine äußerst lebhafte Auseinandersetzung.
»Die Kleine ist nicht schuldig; sie hat sich 'reinlegen lassen,« erklärte der brave Kaufmann. »Man muß mit ihr Mitleid haben!«
»Das werden wir untersuchen,« versetzte der Obmann, »Hüten wir uns, unsern persönlichen Eindrücken nachzugeben!«
»Der Präsident hat eine sehr schöne Rede gehalten,« bemerkte der Oberst.
»In der That sehr schön, aber wollen Sie glauben, daß ich fast eingeschlafen bin?«
»Die Hauptsache ist, die beiden Dienstboten konnten von dem Gelde des Kaufmanns nichts wissen, wäre die Maslow nicht mit ihnen im Einverständnis gewesen,« sagte der jüdische Kommis.
»Dann hätte sie also Ihrer Ansicht nach gestohlen?« fragte einer der Geschworenen.
»Das werde ich nie glauben,« rief der dicke Kaufmann; »diese Kanaille ohne Wimpern hat alles Böse angerichtet.«
»Schon recht,« behauptete der Oberst, »aber diese Frau behauptet, sie hatte das Zimmer nicht betreten.«
»Und ihr wollen Sie glauben? Ich möchte mich nicht auf eine solche Person verlassen!«
»Na, und was weiter?« fragte der Kommis ironisch; »trotzdem ist es doch wahr, daß die Maslow den Schlüssel hatte!«
»Was beweist das?« rief der Kaufmann.
»Und der Ring?«
»Aber sie hat uns ja die ganze Geschichte erklärt.«
»Darum handelt es sich nicht,« bemerkte Peter Gerassinowitsch, »Die Hauptsache ist, ob sie den ganzen Anschlag vorher überlegt und ausgeführt hat, oder ob es die beiden Diener gewesen sind.«
»Aber die beiden Dienstboten konnten doch nicht ohne sie handeln, sie hatte doch den Schlüssel.«
So ging der Streit ziemlich lange hin und her.
»Gestatten Sie, meine Herren,« sagte endlich der Obmann, »setzen wir uns an den Tisch und beraten wir!«
Darauf gab er das Beispiel, setzte sich in den großen Sessel und sagte dann, mit seinem Bleistift auf den Tisch klopfend:
»Meine Herren, kommen wir zur Sache!«
Alle schwiegen, und der Obmann begann die den Geschworenen vorzulegenden Fragen, die folgendermaßen lauteten:
1. Ist der Bauer Simon Petrowitsch Kartymkin, aus dem Dorfe Borki, Bez. Krapiwo gebürtig, 34 Jahre alt, schuldig, am 16. Oktober 188.. dem Kaufmann Smjelkoff, in der Absicht, ihn zu bestehlen, nach dem Leben gestrebt zu haben? Und ist er schuldig, besagtem Kaufmann, nachdem er ihn mit Hilfe anderer Personen vergiftet, eine Summe von ungefähr 2000 Rubel und einen Brillantring gestohlen zu haben?
2. Ist die Bürgerin, Euphemia Iwanowna Botschkoff, 43 Jahre alt, schuldig, zusammen mit Simon Petrowitsch Kartymkin die in der ersten Frage aufgezählten Handlungen begangen zu haben?
3. Ist Katharina Iwanowna Maslow, 27 Jahre alt, schuldig, im Einverständnis mit den beiden ersten Angeklagten die in der ersten Frage erwähnten Handlungen begangen zu haben?
4. Im Falle Euphemia Botschkoff nicht der in der ersten Frage erwähnten Handlungen für schuldig erklärt wird, ist sie dann schuldig, am 16, Oktober 188.. aus dem verschlossenen Koffer des Smjelkoff eine Summe von 2500 Rubel genommen zu haben?
»Nun, meine Herren, wie wollen Sie den ersten Punkt beantworten?« fragte der Obmann, nachdem er seine Verlesung beendet.
Die Antwort wurde bald gefunden. Alle stimmten bejahend, sowohl im Punkte des Diebstahls, wie auch der Vergiftung. Nur einer der Geschworenen wollte Kartymkin nicht für schuldig halten, ein alter Handwerker, der stets auf alle Fragen verneinend antwortete.
Der Obmann glaubte zuerst, der alte Mann verstände nicht, und fing an, ihm zu erklären, daß Kartymkin und die Botschkoff zweifellos schuldig wären. »Wir sind selbst keine Heiligen,« sagte der Alte, und nichts konnte ihn veranlassen, seine Meinung zu ändern.
Die Antwort auf die zweite Frage, die Botschkoff betreffend, lautete nach langen Beratungen: »Nein, sie ist nicht schuldig.« Es fehlte in der That an Beweisen für ihre Teilnahme am Giftmord, und diesen Punkt hatte ihr Verteidiger auch ausdrücklich hervorgehoben. –
Der Kaufmann, welcher die Maslow als unschuldig hinzustellen versuchte, behauptete von neuem, die Botschkoff wäre die Hauptanstifterin der ganzen Sache. Mehrere Geschworene waren seiner Ansicht bis zu dem Augenblick, da der Obmann, der sich durchaus auf den Boden des Gesetzes stellen wollte, bemerkte, daß ihre Teilnahme am Giftmord jedenfalls materiell nicht bewiesen wäre. Man stritt darüber noch längere Zeit, doch die Ansicht des Obmanns drang durch. Dagegen erklärte man bei der vierten Frage die Botschkoff des Diebstahls für schuldig, setzte jedoch auf die Bitte des Handwerkers hinzu: »mit mildernden Umständen.«
Endlich kam die dritte Frage an die Reihe, die man bis zum Schlusse aufgespart und die zu einer noch heftigeren Auseinandersetzung Anlaß gab, als die drei ersten.
Der Obman behauptete, die Maslow wäre schuldig; der Kaufmann, sie wäre unschuldig, und der Oberst und der Handwerker unterstützten seine Ansicht. Die übrigen Geschworenen schwankten, schienen sich aber der Ansicht des Obmanns zuzuneigen. Das kam aber hauptsächlich daher, daß sie müde waren, und deshalb schlossen sie sich derjenigen Meinung an, die die Sache zum schnellsten Abschluß brachte, und ihnen ihre Freiheit wiedergab.
Nach den Ergebnissen der Verhöre hatte Nechludoff die Ueberzeugung, die Maslow wäre weder des Diebstahls noch der Vergiftung schuldig. Er hatte zuerst geglaubt, alle wären dieser Meinung, mußte aber bald erkennen, daß er sich getäuscht hatte, und daß die Majorität mehr zur Bejahung der Frage neigte. Als er das sah, wollte er das Wort ergreifen; doch es wandelte ihn bei dem Gedanken, sich für Katuscha ins Zeug zu legen, die unklare Furcht an, es könne jeder die Beziehungen, die er mit ihr unterhalten, sofort erraten. Trotzdem sagte er sich, die Sache könne nicht so durchgehen, und er hätte die Pflicht, dazwischen zu treten. Er wurde rot und blaß, und wollte sich schon zu sprechen entschließen, als Peter Gerassimowitsch, den der herrische Ton des Obmanns augenscheinlich ärgerte, in die Besprechung eingriff und genau das sagte, was er sagen wollte.
»Gestatten Sie,« sagte der Professor, »Sie behaupten, sie wäre des Diebstahls schuldig, weil sie den Schlüssel zum Koffer besaß; aber konnten die Hotelbediensteten den Koffer denn nicht mit einem andern Schlüssel öffnen?«
»Ganz recht, ganz recht,« pflichtete der Kaufmann bei.
»Ich bin eher der Meinung, daß ihr Erscheinen im Hotel den beiden Dienstboten erst den Gedanken des Diebstahls eingegeben hat, daß sie die Gelegenheit benutzt und dann die ganze Schuld auf die Maslow abgewälzt haben.«
Peter Gerassimowitsch sprach mit erregter Stimme, und seine Erregtheit ging auf den Obmann über, der immer mehr auf seiner Meinung bestand. Doch Peter Gerassimowitsch sprach so zuversichtlich, daß die Mehrheit sich seiner Meinung zuwandte und anerkannte, die Maslow habe weder an dem Diebstahl des Geldes, noch des Ringes teilgenommen, der letztere wäre ihr vielmehr von dem Kaufmann zum Geschenk gemacht worden.
Jetzt