Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


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wie ein Operationssaal, sondern wie ein Gefängnis, in dem die Unglückliche gefangen ist. Das Licht ähnelt den Belegfotos der »Vorher-Nachher-Fotos« bei solchen Operationen. Es stammt in diesem Fall von einem »Multilight« mit ca. zwei Meter Durchmesser und ist direkt hinter der Fotografin aufgebaut – ein Licht, das auch gerne für echte Modefotografie verwendet wird.

Image

      Konstantin Nemerov

       In diesem Modefoto von Konstantin Nemerov wird das Licht wieder sehr knapp oberhalb der optischen Achse und ein wenig nach links versetzt eingesetzt. Zur Aufhellung der ohnehin sehr schmalen Schlagschatten ist eine Softbox unterhalb der optischen Achse verwendet. Geschickt setzt Konstantin Nemerov hier die Farbgestaltung und die dynamische Linienführung als Kontrast ein, um das ansonsten zu flächige, sachliche Licht aus der Bildmitte heraus mit Leben zu füllen.

      2. Kapitel

      Die drei Hauptlichtarten

       Seitenlicht, Rembrandtlicht und hochfrontales Licht erzeugen unterschiedliche Stimmungen, Grundthemen oder Aussagen im Bild. In diesem Kapitel werde ich Ihnen diese drei klassischen Hauptlichtarten vorstellen. Zu Hauptlichtarten sind sie im Laufe der Jahrhunderte bereits in der Malerei geworden, da sie eine sehr natürliche Anmutung haben. Sie ahmen natürliches Licht nach, wie es zu unterschiedlichen Tageszeiten entsteht. Zur Morgendämmerung oder bei Sonnenuntergang steht die Sonne sehr tief und wirft lange, sehr ausgeprägte Schatten, wodurch die Motive düster und unheimlich erscheinen und dem Bild eine bedrohliche, unheimliche oder auch melancholische Grundstimmung verleihen. Im Laufe eines Tages wechselt die Höhe, aus der die Motive von der Sonne angestrahlt werden, und damit auch die Wirkung, die die dabei entstehenden Schatten beim Betrachter auslösen. Zur Mittagszeit sind nur noch sehr wenige und kleine Schatten vorhanden, die Motive erstrahlen vor unseren Augen und sind deutlich erkennbar. Bilder bei diesem Licht haben daher oft einen beschreibenden, sachlichen und je nach Höhe und Richtung auch strahlenden bis sonnigen Charakter.

      Über diese Hauptlichtarten hinaus gibt es das Gegenlicht, welches ebenfalls eine sehr natürliche Wirkung hat, aber für sich alleine in der Fotografie eher wie ein Effektlicht zu behandeln ist, da es fast immer in Kombination mit einer der Hauptlichtarten verwendet wird. Daher widme ich dieser Lichtart und ihren Besonderheiten ein eigenes Kapitel. Es gibt noch weitere häufig vorkommende Lichtarten, die aber nicht unbedingt natürlich wirken. Ein Beispiel ist das im vorigen Kapitel bereits erwähnte Unterlicht, das in der Natur ohne künstliche Lichtquellen nicht vorkommt, da die Sonne niemals tiefer als der Horizont steht. Auch der Ringblitz oder die Zangenbeleuchtung erzeugt eine Lichtstimmung, die in der Natur nicht zu finden ist, und werden daher in gesonderten Abschnitten behandelt.

      Die Sonne, die für die drei Hauptlichtarten Pate stand, ist fotografisch gesehen eine sehr kleine Lichtquelle. Sie lässt sich bei gestrecktem Arm hinter dem Daumen verstecken. Daher werde ich Ihnen in Anlehnung an diese Tatsache die Hauptlichtarten zunächst mit sehr kleinen Lichtquellen, die wie die Sonne deutlich erkennbare, scharf umrissene Schatten liefern, vorstellen. Das ermöglicht es mir, Ihnen die auftretenden Effekte klar und deutlich vor Augen zu führen.

      Ich empfehle Ihnen, die vorgestellten Hauptlichtarten zum ersten Kennenlernen ebenfalls mit kleinen Lichtquellen nachzuvollziehen. Zum Ausprobieren der erläuterten Aspekte geeignet sind zum Beispiel Baulampen, Schreibtischleuchten, einfache nackte Glühlampen, Sparlampen, Taschenlampen oder jede andere kleine, leichte und handliche Dauerlichtquelle. Sie können die Sonne auch mit einem kleinen »Normalreflektor«, wie er für Studioblitzanlagen zur Verfügung steht, nachstellen. Mit diesen kleinen Lichtquellen erhalten Sie deutlich erkennbare Schatten und können die vorgestellten Aspekte einfacher nachvollziehen. Die Sonne mit diesen künstlichen Lichtquellen nachzuahmen, hat den Vorteil, dass Sie Licht in Händen halten, das Sie selbst positionieren können, wobei Sie unabhängig von Tageszeit und Witterung sind. Haben Sie zunächst in aller Ruhe im trockenen Studio, das auch ein einfaches abgedunkeltes Wohnzimmer sein kann, die Hauptlichtarten und deren Effekte nachvollzogen und Ihre Wahrnehmung geschärft, ist es nur noch ein einfacher kleiner Schritt, das Gelernte auch bei echtem Tageslicht anzuwenden.

      Allerdings ergeben sich durch all diese kleinen Lichtquellen Aufnahmen mit wenig Plastizität und meist zu hohem Kontrast, also mit sehr schwarzen und somit »ungezeichneten« Schattenpartien. Wählen Sie die Belichtung manuell so, dass die angestrahlte Gesichtshälfte ansprechend dargestellt wird. Bei dieser Einstellung werden die Schattenbereiche mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei Ihnen schwarz wiedergegeben. Dieser erste Schritt soll Sie zunächst mit grundlegenden Eigenschaften der vorgestellten Hauptlichtarten vertraut machen. In den anschließenden Kapiteln stelle ich Ihnen weitere – vor allem größere – Lichtquellen und Aufhelltechniken vor, mit denen Sie die unterschiedlichen Kontraste und die Plastizität so weit manipulieren und ausdifferenzieren können, dass Sie auch fotografisch ausformulierte, ausdrucksstarke sowie technisch gut »gezeichnete« Aufnahmen erhalten, bei denen die Schatten nicht mehr nur einfach »schwarz« wiedergegeben werden.

      Die Bilder in diesem Kapitel sollen Ihnen eine Vorstellung davon vermitteln, was Sie in der Praxis erleben werden, wenn Sie das Beschriebene selber aufbauen, was ich Ihnen hiermit wärmstens empfehlen möchte. Das Modell ist zudem nicht gepudert, nur minimal geschminkt und nicht retuschiert, damit Sie die entstehenden Schatten und Glanzlichter in »Reinform« sehen können und nicht von Lidschatten, Rouge oder Puder in die Irre geführt werden. Idealerweise folgen Sie diesem Beispiel bei Ihren ersten Experimenten.

      Die Lampe wurde mit ihrem Mittelstrahl direkt in Richtung Modell gedreht, wodurch nur sehr wenig Licht den Hintergrund erreichte. Ich verwendete einen dunkelgrauen Papierhintergrund, der dadurch fast schwarz wiedergegeben wird. Wählen Sie nach Möglichkeit einen ruhigen Bildhintergrund, zum Beispiel eine weiße Wand, und halten Sie ein wenig Abstand zu dieser Wand, damit diese nicht zu stark angeleuchtet wird. So wird der Hintergrund ebenfalls recht dunkel und wenig störend im Bild ausfallen und Sie können sich voll auf das Lichtspiel auf Ihrem Modell konzentrieren.

      Das am einfachsten zu erlernende Licht ist das Seitenlicht. Bilder, die mit Seitenlicht aufgenommen werden, wirken oft düster, melancholisch, gefährlich, gedrückt oder unheimlich, da ein Großteil des Gesichts im Dunkeln liegt und dadurch – je nach Kameraposition – kaum etwas von der Mimik des Modells erkennbar wird. Bei Menschen, deren Mimik nicht erkennbar ist, legt uns unsere Wahrnehmung nahe, erst einmal vorsichtig zu sein und unser Gegenüber als potenzielle Gefahr wahrzunehmen. Die niedrige Lampenposition erinnert zudem an die letzten Strahlen bei Sonnenuntergang. Es ist der Moment vor der Nacht, in der das »Unheimliche« die Regie übernimmt. Haben Sie das Seitenlicht einmal gut gesetzt, können Sie diese Grundstimmung durch eine größere Lichtquelle, eine eventuelle »Aufhellung« und die Wahl unterschiedlicher Helligkeiten für den Hintergrund stark variieren (siehe dazu die folgenden Kapitel). Die hier gezeigten Schritte führen Sie zunächst zum Seitenlicht und zeigen auf, wie die Lichtquelle im Verhältnis zum Modell positioniert sein sollte. Die Kameraposition ist dabei mehr oder weniger frei wählbar. Ob Sie das Licht dabei links oder rechts positionieren (von der Kamera aus gesehen), ist ebenfalls frei wählbar und hängt davon ab, ob Sie die Bildaussage in Richtung Zukunft oder Vergangenheit ausrichten wollen. Sie müssen dazu nur die Wirkung der »Zeitachse« im Bild berücksichtigen (siehe voriges Kapitel).

      Seitenlicht erhalten Sie in drei bis vier einzelnen Schritten:

      1 Leuchten Sie mit der Lichtquelle so in das Ohr auf der kurzen Seite, dass das Licht »aus dem Ohr der langen Seite wieder heraustritt«.

      2 Bewegen Sie die Lichtquelle anschließend so weit nach vorne, bis auf dem oberen Augenlid der Schattenseite gerade ein kleiner Lichtfleck auftaucht.

      3 Verschieben Sie die Lichtquelle so weit nach oben, bis der Lichtfleck das Oberlid und das Unterlid etwa gleich hell beleuchtet.

      4 Sofern


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