Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch
also nie für sich alleine, sondern immer im Kontext der weiteren Bildgestaltung.
Tobias Müller
Tobias Müller setzt sich in diesen beiden Bildern, wieder ein Auszug aus einer größeren Serie, mit klinischen Ängsten von Menschen auseinander. Der Mann hat Angst vor Gewitter, die Frau vor Umweltzerstörung. Beides wird dargestellt durch tatsächliche Eingriffe im Bild, die im wahrsten Sinne des Wortes das Weltbild der Betroffenen zu zerstören drohen. Der Bedrohung des aufreißenden Himmels entsprechend ist der Mann in Seitenlicht dargestellt, das aus dem Himmel zu kommen scheint. Die Frau stellt sich der Zerstörung ihrer Umwelt entgegen und wird in dieser guten Absicht engelhaft mit hochfrontalem Licht dargestellt. Dieses wird durch Gegenlicht in seiner Wirkung gesteigert. Das Gegenlicht ist so stark, dass die Frau in die »Zange« genommen wird. Der Mann stand bei der Aufnahme auf der Straße und die Hauptlichtquelle war ein Studioblitz. Der Normalreflektor mit Grid erzeugte einen schmalen Lichtkegel, der sich auf dem Boden abzeichnet und einen Verfolgerspot nachahmt. Die Aufhellung erfolgte durch das diffuse Tageslicht des bewölkten Himmels. Die Lampe wurde anschließend aus dem Bild herausretuschiert, das fertige Bild dann ausgedruckt, eingerissen und erneut fotografiert.
Rolf Franke
Die beiden Bilder von Rolf Franke zeigen einen eher symbolischen Einsatz von Licht. Der Mann vor dem Fahrstuhl wird von einem niedrigen, leicht zur kurzen Seite versetzten hochfrontalen Licht erleuchtet, als ob es ihm einen Weg weisen wolle. Das Licht als ein Hinweis auf den richtigen Weg ist ein sehr altes Symbol, das bereits bei den Ägyptern auftritt und nicht zuletzt in der katholischen Kirche verankert ist. In der anderen Aufnahme symbolisiert das Licht eher die »Erleuchtung« durch eine Idee, ebenfalls ein in unserer Kultur tief verwurzelter Gedanke. Beide Bilder sind komplett ohne Aufhellung entstanden, wodurch die Schatten sehr schwarz und dramatisch zur Geltung kommen.
Tobias Müller
Ebenfalls mit der Bildsprache des Films setzt sich Tobias Müller in dieser verkürzt dargestellten Bildergeschichte auseinander. Er zitiert Lichteffekte, die auf Friedrich Wilhelm Murnau zurückgehen. Der Schatten der Hand im Lichtkegel tauchte bereits 1922 in »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« auf und hat sich tief im kollektiven Gedächtnis verankert. So ist die Lichtwirkung und damit die Lichtgestaltung unter anderem auch kulturell bedingt. Bei dem Porträt wird der spannungsreichen Lektüre entsprechend ein dramatisches, dynamisches Rembrandtlicht eingesetzt. Das Licht der Stehlampe würde aber nur ein Seitenlicht auf dem Modell erzeugen, ohne das Auge der Schattenseite beleuchten zu können. Der Standpunkt der Lampe und die Kopfhaltung verbieten das. So steht das tatsächliche Hauptlicht für das Modell knapp neben dem rechten Bildrand, der Schatten des Beines auf dem Sofa weist Ihnen die Richtung. Die Schatten sind ohne Plastizität durch die weißen Wände des Raumes aufgehellt.
Kathrin Kolbow
Das Doppelporträt von Kathrin Kolbow zeigt eher die seelischen Abgründe und verwendet dementsprechend das Seitenlicht. Es spiegelt den inneren Zustand des Modells wider. Lichtquelle war ein Wohnzimmerfenster, das bei geschickter Kopfhaltung und Ausrichtung auch für jede andere Lichtart und damit Stimmung genutzt werden kann. Die Aufhellung erfolgte wieder durch die weiß gestrichenen Zimmerwände.
Melanie Jörns
Dieses Porträt von Melanie Jörns halte ich für ungemein stark – und zwar obwohl oder gerade weil das Licht leicht erhöht, aber im Wesentlichen doch frontal aus Kamerarichtung auf die lange Seite des Modells fällt. Damit werden alle Grundregeln gebrochen, die ich Ihnen in diesem Buch zunächst ans Herz lege. Das Gesicht erscheint nahezu schattenfrei und damit unplastisch. Es erinnert eher an einen Scherenschnitt, und das macht einen Teil des Bildwitzes aus. Melanie Jörns vermeidet das bei dieser Ausleuchtung unvermeidliche Glanzlicht auf der Haut durch ein ausgetüfteltes Make-up. Mittels entsprechender Lidschatten und dezentem Rouge wird zudem die fehlende Plastizität im Augenbereich wiederhergestellt. Der durch die Ausleuchtung von der langen Seite unvermeidliche Störakzent des Ohres wird durch die Haube vermieden. Der Akzent liegt durch den Lippenstift auf dem Mund. So begegnet Melanie geschickt allen Problemen, die diese Ausleuchtung mit sich bringt, und nutzt die Vorteile der makellosen, schattenfreien Darstellung der porzellanartigen Haut.
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