Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


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Lichtdreieck unter dem Auge und den vom Licht umspielten Mund zu erhalten, erfordert einige Übung. Gute Modelle und Filmschauspieler erlernen das vor einem Spiegel. Setzen auch Sie sich einmal davor und lassen Sie einen Assistenten das Rembrandtlicht für Ihr eigenes Gesicht aufbauen. Schließen Sie das dem Licht zugewandte Auge und bewegen Sie anschließend nicht mehr den Kopf. Versuchen Sie sich zu merken, wo genau Sie jetzt die hinter dem Nasenrücken auftauchende Lampe sehen. Diese steht nun nicht mehr so niedrig wie bei Seitenlicht, sondern höher und knapp hinter dem Nasenrücken in Richtung Augenbrauenansatz. Immer wenn Sie die Lampe dort auftauchen sehen (Sie müssen schon etwas schräg zur Nase schielen), erhalten Sie ein perfektes Rembrandtlicht. Kontrollieren Sie Ihr eigenes Spiegelbild.

      Mit etwas Übung können Schauspieler so selbst das schwierige Rembrandtlicht in einer Szene mit Bewegung perfekt beibehalten. Beobachten Sie einmal in den Hollywoodfilmen die großen Filmdiven bei diesem Spiel, das manchmal etwas »entrückte« Gesten und Haltungen zur Folge hat. Bei »Der Göttlichen«, Greta Garbo, wurde dieses entrückte Agieren vor der Kamera sogar zu einem Markenzeichen.

      Hochfrontales Licht ist unter vielen unterschiedlichen Namen bekannt: Beauty-oder Fashion-Licht, Hollywood- oder Glamourlicht, Marlene-Dietrich-Licht, Schmetterlings- oder Butterfly-Licht, aber auch Skullhead-Licht und so weiter. Es tauchte erstmals, noch sehr vereinfacht, in der spätmittelalterlichen Malerei auf und wurde während der italienischen Renaissance zur Perfektion gebracht und dort sehr oft eingesetzt, zum Beispiel bei der »Mona Lisa« von Leonardo da Vinci. Es entsteht bei einer hoch platzierten Lichtquelle wie zum Beispiel der Mittagssonne in südlichen Ländern. In der niederländischen Malerei, also weiter nördlich, wo die Sonne weit weniger hoch steht, findet man hochfrontales Licht bei Porträts deutlich seltener. Vor allem während des Barock kam hier Rembrandt- oder Seitenlicht weit häufiger zum Einsatz.

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      Abbildung 2–21

      Hochfrontales Licht – erster Schritt

      Das hochfrontale Licht ist einfach zu beherrschen und Sie müssen kaum anatomische Besonderheiten berücksichtigen. Es lässt sich extrem variabel in seiner Wirkung auf den Betrachter modifizieren, etwa durch die Wahl der Lichtquellengröße, durch Aufhellung oder Effektlichter. Es ist das derzeit für Porträts am häufigsten verwendete Licht von allen Lichtarten überhaupt und erzeugt meist eine neutrale bis sonnig strahlende, also eher positive Wirkung im Bild. Nahezu ausnahmslos sind Porträts auf den Covers von Illustrierten mit hochfrontalem Licht fotografiert.

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      Abbildung 2–22

      Hochfrontales Licht – zweiter Schritt

      Hochfrontales Licht erhalten Sie in zwei bis drei Schritten, je nachdem, ob Sie das Modell frontal fotografieren möchten oder einen seitlichen Kamerastandpunkt wählen:

      1 Sie leuchten mit der Lichtquelle frontal auf die Nase des Modells.

      2 Sie bewegen die Lichtquelle so weit nach oben, bis unter der Nase ein Schatten entsteht, dessen Spitze etwa in der Mitte zwischen Nasenansatz und Oberlippe liegt.

      3 Falls Sie das Modell nicht exakt frontal (seitlicher Kamerastandpunkt) fotografieren, sollten Sie die Lichtquelle so weit in Richtung der kurzen Seite verschieben, bis das Ohr der langen Seite gerade eben im Schatten verschwindet.

      Bei hochfrontalem Licht sollten Sie also zunächst immer entscheiden, ob Sie ein frontales Porträt fotografieren möchten oder ob Sie einen seitlichen Standpunkt wählen, da die Lampenposition von dieser Entscheidung abhängt. Ein frontaler Standpunkt bedeutet, dass beide Gesichtshälften im Bild gleich lang sind. Ob dabei ein erhöhter oder ein niedriger Kamerastandpunkt gewählt wird, ist unerheblich.

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      Abbildung 2–23

      Hochfrontales Licht – dritter Schritt

      Wenn Sie das hochfrontale Licht richtig gesetzt haben, entsteht unter der Nase ein Schatten, der die Form eines Schmetterlings hat, welcher auf das Modell zufliegt. Durch diesen namensgebenden Schatten hebt sich die Nase deutlich dreidimensional von den Wangen ab. Zugegeben, manchmal ähnelt der Schatten eher einer auf das Modell zufliegenden Möwe, eventuell sogar mit gebrochenen Flügeln, und manchmal auch einer dicken Hummel. Die Augen wirken bei hochfrontalem Licht plastisch, da die Oberlider »Lidschatten« erhalten. Die Wangenknochen werden durch einen »Rougeschatten« modelliert. Die Oberlippe ist dunkel, die Unterlippe hell und unter der Unterlippe entsteht ein weiterer kleiner Schatten, wodurch die Lippen insgesamt voll und plastisch wirken. Der Hals des Modells liegt im Schatten, wodurch Sie ein möglicherweise vorhandenes Doppelkinn schönen können. Die Wangenränder werden dunkler als die mittigen Gesichtspartien wiedergegeben, wodurch die Rundung des Gesichts plastisch dargestellt wird und zugleich schlanker erscheint.

      Bei einem seitlichen Porträt werden all diese Schatten durch das Verschieben der Lichtquelle zur kurzen Seite hin (bis das Ohr gerade eben im Schatten verschwindet) auf der kamerazugewandten Seite nochmals deutlich verstärkt. Zudem wird der Nasenrücken deutlich plastischer wiedergegeben. Daher sollten Sie die Lichtquelle auch dann zur kurzen Seite verschieben, wenn Sie bei seitlicher Kameraposition das Ohr gar nicht zu sehen bekommen – eventuell ist es durch lange Haare verdeckt. Nutzen Sie das Ohr dennoch, um zu bestimmen, wie weit die Lichtquelle bei seitlicher Kameraposition zur kurzen Seite verschoben werden muss. Es sollte gerade eben im Schatten verschwinden. Dann sind Lidschatten, Lippen und Wange deutlich plastischer modelliert als ohne diesen dritten Schritt. Probieren Sie es aus. Die Lampe muss dazu nur einige Zentimeter von der mittigen Position vor dem Modell zu der Position, bei der das Ohr gerade im Schatten verschwindet, verschoben werden. Beobachten Sie dabei weniger das Ohr, sondern den Lidschatten, die Mundwinkel und den Wangenschatten der langen Seite.

      Akzentsetzung

      Das hochfrontale Licht erzeugt keine deutliche Akzentwirkung innerhalb des Gesichts. Stirn, Wangen, Augen, Nase, Mund und Kinn werden gleichermaßen angestrahlt. Daher wird das Auge des Betrachters auch nicht auf einen besonderen Punkt hin gelenkt, wie das beim Seitenlicht viel deutlicher der Fall ist. Der Blick des Betrachters kann frei im Gesicht »umherwandern« und dabei die Mimik des Modells erkunden.

      Linienführung

      Der Rougeschatten bricht die Wangenpartie, die aus gestalterischer Sicht eine große langweilige Fläche darstellt, mit einer spannend geschwungenen Form, die die Anatomie des Gesichts deutlich werden lässt. Das Gesicht wird von dieser oft schön geschwungenen Linie eingerahmt. Nach unten wird diese Rahmung durch den Halsschatten abgeschlossen. Dadurch hält sich auch der Blick des Betrachters im Gesicht. Die Linienführung bei hochfrontalem Licht rahmt das Gesicht zwar ein, gibt aber den Weg innerhalb der »Erkundungstour« nicht so deutlich vor, wie es beim Rembrandtlicht mit seinem Lichtdreieck der Fall ist.

      Flächenaufteilung

      Das hochfrontale Licht betont die Flächen innerhalb eines Gesichts, während Rembrandtlicht vor allem durch seine Linienführung besticht und das Seitenlicht den Betrachter durch seine Akzentwirkung auf dem Auge des Modells fesselt. Große Flächen wirken oft langweilig und ausdrucksschwach, wenn sie nicht gestalterisch »gebrochen« werden. Daher ist es beim hochfrontalen Licht so wichtig, dass Lidschatten, Rougeschatten, Nasenschatten und die Schatten der Lippen stark genug ausgeprägt sind, um die Flächigkeit des Gesichts zu beleben.

      Der Blick des Betrachters kann frei im Gesicht umherwandern und die Mimik ist komplett erkennbar. Das Gesicht


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