Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


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und Intensität ab.

      Praxistipp

      Bei von Natur aus stark asymmetrischen Gesichtern können Sie durch hochfrontales Licht, das Sie leicht seitlich versetzen, den Eindruck von Symmetrie wiederherstellen.

      Die Lampenposition ist für eine natürlich wirkende und plastische Ausleuchtung dann zu niedrig gewählt, wenn zumindest einer der folgenden Schatten völlig verschwindet:

      1 Der Lidschatten fehlt, wodurch die Augen flach erscheinen.

      2 Der Wangenschatten fehlt (das »Rouge«), wodurch das Gesicht flach oder platt aussieht.

      3 Die Plastizität der Lippen fehlt (der »Lippenstift«).

      4 Der Nasenschatten fehlt (der »Schmetterling«).

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      Abbildung 2–29

      Bei zu niedrig eingesetztem hochfrontalem Licht verliert das Gesicht seine Schatten und damit seine Modellierung sowie das Gesamtbild an Kontrast.

      Bei dem für die Beispielbilder verwendeten Modell verschwindet zunächst der Lidschatten. Je nach Gesichtsanatomie des Modells kann auch der Rougeschatten oder die Plastizität der Lippen als Erstes verloren gehen. Sammeln Sie Erfahrungen mit unterschiedlichen Modellen und beobachten Sie die jeweiligen Effekte bei verschiedenen Anatomien aufmerksam. Befindet sich die Lichtquelle bei einem frontalen Porträt nahe der optischen Achse, gehen schließlich alle Schatten verloren.

      Ist die Lichtquelle derart niedrig eingesetzt, wird das Modell zudem geblendet, sodass es schmerzende Augen bekommt und die Augen zuzukneifen beginnt, was eine vernünftige Regie unmöglich macht. Versucht das Modell trotzdem die Augen offen zu halten, beginnen nach kurzer Zeit die Augen zu tränen. Abhilfe schafft dann ein Blitz. So ist das Modell bis zur eigentlichen Aufnahme nicht geblendet und kann sich entspannen. Bei einer Studioblitzanlage ließe sich das Einstelllicht deutlich dimmen, um die Blendung des Modells zu reduzieren.

      Ein Systemblitz, der direkt auf der Kamera oder sehr nahe am Objektiv verwendet wird, erzeugt dieses niedrige Licht. Hiermit erzielt man den Charakter eines Polizeifotos. Daher wird dieses Licht gerne bei Modefotos verwendet, die einen gewissen »Trash«-Look bekommen sollen. Auch erinnert es an spontane Partyfotos, was ebenfalls gerne in der Modefotografie ausgenutzt wird.

      Weegee alias Arthur Fellig war ein amerikanischer Fotograf, der in den 1920er-Jahren mit Tatortfotos in New York berühmt wurde. Er verwendete einen Aufsteckblitz nahe der optischen Achse und erlangte damit Weltruhm. Nicht immer ist ein niedrig eingesetztes hochfrontales Licht also schlecht. Es wirkt nur nicht sehr natürlich und erzeugt wenig Plastizität. Entscheidend ist, was für einen Effekt bzw. welche Aussage Sie im Bild beabsichtigen.

      Zu hohes hochfrontales Licht

      Die Position der Lichtquelle ist für ein natürlich wirkendes Licht dann zu hoch, wenn entweder die Augen des Modells im Schatten untergehen, wodurch diese »tot« erscheinen, oder wenn der Nasenschatten die Oberlippe berührt, was dann wie eine Hasenscharte oder ein kleiner Schnauzbart ausschaut. Bereits bevor das Licht so steil steht, werden eventuell vorhandene Augenringe oder Tränensäcke so deutlich betont, dass es nicht mehr vorteilhaft ist. Durchaus gewünscht kann dagegen der sich immer stärker ausprägende Rougeschatten bei steiler werdender Lampenposition sein, der das Gesicht sehr markant und schlank erscheinen lässt. Allerdings kippt die Stimmung ab einer bestimmten Höhe der Lichtquelle: Wenn die Augen nicht mehr leuchten, nur noch schwarze Augenhöhlen zu sehen sind und der Schatten auf den Wangen bereits so deutlich und großflächig wird, dass die Wangen eingefallen aussehen, beginnt fast jedes Gesicht einem Totenschädel zu ähneln. Aus einem Beauty- wird dann ein Skullhead-Licht, das Totenschädellicht.

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      Abbildung 2–30

      Sehr steil eingesetztes hochfrontales Licht lässt das Gesicht sehr markant erscheinen, birgt aber auch die Gefahr von Schatten, die die Augen komplett verdunkeln können.

      Bei sehr tief liegenden Augen kann es Ihnen passieren, dass Sie für eine ausreichende plastische Wiedergabe von Lippen und Wangen die Lampe nicht hoch genug platzieren können, da sonst die Augen im Schatten liegen. Dies lässt sich eventuell durch Aufheller oder den Einsatz einer großen Lichtquelle abmildern. Bei sehr hervorstehenden Augen hingegen benötigen Sie eine recht hohe Lampenposition, um die Augen nicht flächig erscheinen zu lassen. Im Fall von gleichzeitig ausgeprägten Wangenknochen kann dann aber der »Rougeschatten« so dominant werden, dass das Gesicht abgemagert oder wie ein Totenschädel wirkt. Abhilfe schafft hier wieder die Wahl einer größeren Lichtquelle, einer Aufhellung oder einer anderen Hauptlichtart.

      Praxistipp

      Übertreiben Sie die Schattenwirkungen bei der Ausleuchtung mit dem Hauptlicht zunächst, da sie in den weiteren Schritten abgemildert werden können. Zu schwache Hauptlichtwirkung anschließend noch zu verstärken, ist dagegen meist nicht mehr möglich.

      Da hochfrontales Licht so wandelbar und variantenreich ist, können Sie es für unterschiedliche Grundstimmungen und verschiedenartige Bildaussagen einsetzen. Der Ausdruck des Modells ist bei diesem Licht in allen Einzelheiten erkennbar; nichts lässt sich im Schatten verbergen. In diesem Sinne ist hochfrontales Licht recht gnadenlos und wenig anfängergeeignet. Da es von sich aus neutral bis strahlend positiv wirkt, lässt es sich mit den unterschiedlichsten, meist eher positiven Ausdrücken eines Modells verbinden und durch weitere Gestaltungselemente verstärken.

       Exkurs

      Marlene Dietrich hatte recht weit vorne im Schädel liegende Augen und in ihren frühen Jahren ein etwas rundliches Gesicht. Daher konnte hochfrontales Licht bei ihr sehr steil eingesetzt werden, was ihr Gesicht unverkennbar machte. Im Alter ließ sie sich sogar die Backenzähne ziehen, um die Wangenschatten noch deutlicher werden zu lassen. In fast allen Filmszenen wird sie mit hochfrontalem Licht gezeigt, das meist sehr steil eingesetzt war, da die Schauspielerin sich weigerte, in einem anderen Licht dargestellt zu werden. Als Marlene Dietrich später Chansons sang, wurde sie ausnahmslos mit einem Verfolgerspot beleuchtet, der sie frontal und sehr steil anstrahlte. Ihr Auftritt erfolgte immer durch den Vorhang in der Mitte der Bühne und sie ging rückwärts ab, um jederzeit in perfektem hochfrontalem Licht zu stehen.

      Niemals ging sie seitlich auf die Bühne; der Verfolgerspot hätte ihr Gesicht direkt auf der langen Seite erwischt und dieses schattenfrei, flächig und damit wenig markant aussehen lassen. Beim Singen drehte sie ihren Kopf nie zur Seite, um zu verhindern, dass das Licht auf die lange Seite fiel. In ihrer Villa ließ die gebürtige Berlinerin einen Spot oberhalb der Eingangstür einbauen, der immer dann eingeschaltet wurde, wenn sich Besuch ankündigte. Sie stand hinter der Tür, und wenn sich diese öffnete, erstrahlte Marlene Dietrich in perfektem hochfrontalem Licht, um ihre Gäste zu empfangen. Auch wenn das hochfrontale Licht bereits in der Renaissance Einzug in die Malerei gehalten hatte, war es »ihr« Licht. Daher hat sich für diese Hauptlichtart auch der Name Marlene-Dietrich-Licht eingebürgert.

      Hochfrontales Licht ist für ein unerfahrenes Modell zudem recht gut geeignet, um es mit dem Phänomen Licht vertraut zu machen. Weisen Sie es einfach an, seine Nase immer in Richtung Hauptlichtquelle zu drehen und anschließend ein kleines bisschen zurück zur Kamera. So erhalten Sie bei korrekter Höhe der aufgestellten Lampe immer eine perfekte Ausleuchtung und das Modell gewinnt ein wenig Bewegungsfreiheit zurück, da es sich nun ohne Weiteres selbstständig korrekt zum Licht ausrichten kann und somit zwischendurch einmal lockern und frei bewegen darf.

      In der Modefotografie werden Modelle öfter in Bewegung fotografiert. Dann bewegt ein Assistent die Hauptlichtquelle der Bewegung des Modells entsprechend mit. Auch hier ist hochfrontales Licht ein guter Einstieg,


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