Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


Скачать книгу
muss, wobei er seine Position evtl. ein klein wenig in Richtung der kurzen Seite korrigiert. Zudem kann der Assistent, der dann unter der Lampe am Stativ steht, die Wirkung im Gesicht des Modells selbst beurteilen. Die Lichtquelle auch in Bewegung genau auszurichten, ist daher bei hochfrontalem Licht für den Assistenten sehr viel einfacher zu erlernen als bei Rembrandt- oder Seitenlicht. Auch verzeiht hochfrontales Licht ein knappes »Danebenzielen« viel leichter als das Seitenlicht. Ein kleiner »Fehltritt« ändert nur wenig an der Grundstimmung und es geht kein Akzent auf dem Auge verloren. Bei Seitenlicht sind die Schatten für den Assistenten vom Lampenstativ aus viel schwieriger zu beurteilen, da diese von ihm aus gesehen auf der abgewandten Seite des Modells entstehen. Seitenlicht ist für einen »mobilen« Assistenten eine doppelt schwierige Angelegenheit, da er recht zielgenau das Auge der von ihm abgewandten Seite treffen muss und bereits ein kleines bisschen Fehlpositionierung dieses im Schatten verschwinden lässt. Seitenlicht vergibt dem Assistenten keinen Fehler. Bei Rembrandt- oder Seitenlicht ist es einem unerfahrenen Modell meist nicht möglich, seine Haltung ohne Spiegel selbst zu »kontrollieren« und sich dann auch noch auf seine Rolle und die Regie einzulassen. Erfahrene Modelle und Schauspieler wissen nur dank viel Übung auch bei letztgenannten Lichtarten ihren Kopf so zu halten, dass das Licht perfekt bleibt und sie zugleich auch noch einen Gesichtsausdruck beibehalten, der nicht angestrengt wirkt. Beobachten Sie vor allem Schauspieler in Hollywood-Filmen. Dort finden Sie die bisher beschriebenen Lichtarten meist in großer Perfektion eingesetzt, selbst bei Szenen, in denen sich die Schauspieler frei im Raum bewegen. Übung ist in diesem Fall alles.

Image

      Andrej Kleer

       Andrej Kleers Version der Mona Lisa zeigt wie das Original hochfrontales Licht. Es ist ein wenig seitlich versetzt, wodurch das Gesicht leicht asymmetrisch erscheint. Es steht so steil, dass die Augen gerade noch im Licht liegen. Zusätzlich erstrahlt das Haar dank eines kleinen Gegenlichtes, das in Leonardos Original noch nicht angelegt ist, von der linken Seite aus. Als Hauptlichtquelle diente ein kleiner Schirm mit ca. 50 cm Durchmesser aus etwa zweieinhalb Meter Abstand. Das Bild kommt, in Anlehnung an das Original der Renaissance, ohne Aufhellung aus, wodurch die Schatten bis hinab zum tiefen Schwarz reichen. Und beachten Sie die Regie: Das berühmteste Lächeln der Kunstgeschichte finden Sie in einem Porträt mit hochfrontalem Licht!

Image

      Uta Konopka

       Uta Konopka zitiert in Ihrem Bild die Bildsprache des Barock, in der das – hier perfekt gesetzte – Rembrandtlicht seinen Siegeszug antrat. Als Hauptlichtquelle diente auch hier ein kleiner Schirmreflektor mit ca. 50 cm Durchmesser aus etwa drei Meter Abstand, was zu recht deutlich umrissenen Schattenkanten führt. Zusätzlich wurde mit der Verlängerungsmethode ca. 145° von der Lampe zur Ochsenschnur und darüber hinaus um das Modell herum aufgehellt, also mit leicht plastischer Restwirkung, wodurch die Schattenbereiche nicht komplett schwarz wiedergegeben werden. Die aufgehellten Schatten passen besser zur Bildidee mit der Strahlenkrone, die ja etwas Strahlendes vermitteln soll. Mehr über die unterschiedlichen Aufhellmethoden lernen Sie in Kapitel 4.

Image

      Peter Schwöbel

       Die Eva von Peter Schwöbel zeigt den weiteren dramatischen Verlauf der bekannten Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies – dank des entsprechend eingesetzten Rembrandtlichts. Es ist mit einem kleinen Normalreflektor aus einigem Abstand gesetzt und erzeugt scharf umrissene Schattenkanten. Wenn Sie die Schatten auf Armen und Beinen genau betrachten, sehen Sie, wie diese durch einen flächigen Aufheller in Zangentechnik von links erfasst werden. Dieser flächige Reflektor nutzt das von der Hauptlichtquelle kommende Licht zur Aufhellung. Dabei werden die Beine stärker als das Gesicht aufgehellt, was den künstlichen und theatralen Charakter des Bildes unterstreicht.

Image

      Tobias Müller

       In Tobias Müllers Neufassung des Sündenfalls, frei nach Magritte, wird für den dramatischen Ausgang des Treffens das Rembrandtlicht eingesetzt. Auch wenn der Apfel einen Großteil von Adams Gesicht verdeckt, so lugt das Lichtdreieck unter dem Auge der Schattenseite doch noch hervor. Die Schattenseite ist aufgehellt. Wenn Sie das Gesicht oder den rechten Ärmel betrachten, können Sie auf die verwendete Methode schließen. Es handelt sich um eine Zangenaufhellung. Der störende dunkle, das Gesicht splittende Schatten in der Nasengegend ist normalerweise das Ergebnis dieser Methode, wird aber geschickt durch den Apfel verdeckt.

Image

      Horst Mumper

       Horst Mumpers Doppelselbstporträt zeigt ihn als Fotografen und als »Vertreter«. In dieser ironischen Interpretation eines Businessporträts nutzte er das dafür typische hochfrontale Licht. In der Version des Fotografen verhindert der Helm, dass das Licht die Augen erreicht. Dank der Aufhellung durch Verlängerung des Hauptlichtes, das aus einem Schirmreflektor mit ca. zwei Meter Durchmesser aus nur etwa eineinhalb Meter Entfernung stammt, erhalten die Augen noch genügend Licht, um erkennbar zu bleiben. Die Aufhellung erfolgte durch zwei Styroporplatten, die unter dem Objektiv die Verlängerung der Hauptlichtquelle darstellten. Der Hintergrund ist ohne weitere Lichtquelle gestaltet. Der Reflektorschirm des Hauptlichtes ist mit seinem Hotspot nicht auf das Modell gerichtet, sondern weist fast senkrecht nach unten in Richtung Boden. Dadurch wird der Hintergrund nur noch im unteren Bereich vom Licht des Schirmes erfasst. Mehr dazu erfahren Sie im nächsten Kapitel.

Image Image

      Peter Schwöbel

       In diesen beiden Porträts setzt sich Peter Schwöbel geschickt mit der Bildsprache der Aufnahmen von Hollywooddiven der 1930er-Jahre auseinander. Entsprechend der damals üblichen Technik verwendet er eine sehr kleine Lichtquelle, die als hochfrontales Licht eingesetzt ist. Es handelt sich um einen Normalreflektor mit Grid, der für das Hauptlicht eingesetzt wurde. Dem nichtfrontalen Blick des Modells entsprechend ist das Licht ein kleines bisschen zur kurzen Seite versetzt aufgebaut, wodurch das Ohr des Modells im Schatten liegt und keinen Störakzent mehr darstellt. Die kleine Hauptlichtquelle erzeugt scharfe, wie mit dem Messer geschnittene Schatten unter der Nase des Modells. Diese Schatten sind nicht aufgehellt. Dadurch wird eine sehr markante Strukturwiedergabe erreicht, die jede Falte der Kleider und die samtige Oberfläche der Handschuhe herausarbeitet. Das bei dieser Beleuchtung unweigerliche Glanzlicht auf der Stirn ist nicht zu erkennen, einem guten Make-up sei Dank. Beide Aufnahmen sind mit nur einer Lichtquelle aufgenommen. Der Hotspot ist hier wie dort in etwa auf den Brustbereich des Modells gelegt. Aus dem zusätzlichen Abstand der Knie zur Lichtquelle resultiert ein starker Hell-Dunkel-Verlauf auf dem Modell. Der Abstrahlwinkel der Lichtquelle ist so klein, dass der Lichtkegel auf dem Hintergrund einen starken Verlauf als gestalterisches Element wirksam werden lässt. Dass der Schatten des Modells vor dem weißen Hintergrund nicht komplett schwarz ist, liegt am Hintergrund selbst: Er reflektiert so viel Licht, dass er diesen Schatten wieder aufhellt.

Image

      Konstantin Nemerov

       Die moderne Variante des hochfrontalen Lichtes wird in der Modefotografie immer noch mit sehr kleinen Lichtquellen realisiert, nur dass das Licht deutlich flacher und damit fast schattenfrei eingesetzt wird, wie die Aufnahme von Konstantin Nemerov zeigt. Hierdurch geht die Plastizität


Скачать книгу