Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


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      Penn ist ein Meister des Porträts und fast alle seine Aufnahmen zeigen die Modelle mit Licht von der langen Seite aus beleuchtet. Er achtet dabei sehr genau auf plastische Bildwirkung, Akzentsetzung, Linienführung und darauf, wie der Blick des Betrachters gelenkt wird. Weichen auch Sie von der Regel ab, dass ein Porträt eher auf der kurzen Seite beleuchtet werden sollte, so ist es sinnvoll, wenn Sie auf all diese Aspekte bewusst Ihr Augenmerk legen. Auch in der Malerei des Barock sind zahlreiche Porträts mit Licht auf der langen Seite der Modelle entstanden. Diese tragen oft Perücken, Hüte, Federn, Schals oder Fächer, die das Ohr als störenden Akzent verdecken, Schatten auf die erleuchtete Wange werfen und diese dadurch brechen. Bei den Damen wird die flächig beleuchtete Wange durch ein auffälliges Rouge plastisch modelliert. Der Schönheitsfleck bricht zudem die sonst flächige Wange und bietet dem Auge des Betrachters Halt. Bei den Herren wird die beleuchtete Wange der langen Seite mit einem zarten Schattenwurf gemalt, der sich bei dieser Ausleuchtung nicht ergeben würde. Stellen Sie ein solches Porträt nach, ergeben sich in einem Foto dort kaum Schatten, wo der Maler sie zur plastischen Modellierung in künstlerischer Freiheit sehr einfach annehmen kann. Geben Sie einfach »Porträt Barock Malerei« in die Bildersuche bei Google ein oder nutzen Sie den nebenstehenden QR-Code.

      Dennoch möchte ich erwähnen, dass Licht auf der langen Seite großartige Bilder möglich macht, wenn Sie sich der damit verbundenen gestalterischen Schwierigkeiten bewusst sind und diese zu nutzen oder zu umgehen verstehen.

      Licht auf der kurzen Seite ist krisensicher, da es von sich aus keine derartigen zu korrigierenden Aspekte schafft. Versuchen Sie also zunächst all die positiven Effekte kennenzulernen, die eine Ausleuchtung von der kurzen Seite mit sich bringt. Und wenn Sie im Erkennen von Lichtwirkungen sicher sind, experimentieren Sie selbst ganz frei und entdecken Sie, was sich Ihnen noch bietet, indem Sie aufmerksam beobachten.

      Zu weit hinten platziertes Seitenlicht

      Der wohl am häufigsten vorkommende »Fehler« ist das zu weit hinten platzierte Seitenlicht. Sie finden es in vielen Onlineforen oder auch Lehrbüchern über Licht beschrieben und ich selbst hatte Lehrer, die es mir in dieser Form beigebracht haben. Es entsteht, wenn man die Lampe so positioniert, dass sie »in das eine Ohr des Modells hineinleuchtet und das Licht zur anderen Seite wieder herauskommt«, ohne die zwei bis drei weiteren Schritte, wie oben beschrieben, auszuführen.

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      Abbildung 2–7

      Zu weit hinten platziertes Seitenlicht

      Das Licht kann in dieser Position nicht mehr über den Nasenrücken hinweg das Auge der Schattenseite erreichen und es ergeben sich folgende Nachteile:

      1 Die Akzentuierung des Auges der Schattenseite geht verloren und der Betrachter wird nicht mehr von diesem Auge angezogen. Das Modell wirkt einäugig.

      2 Die Schattenlinie auf der Stirn teilt diese exakt in der Mitte, wodurch das Gesicht visuell in zwei Teile »zerrissen« wird.

      3 Die Schattenlinie im Gesicht verläuft nicht mäandernd in S-Kurven, wodurch die Formen nicht mehr betont werden.

      4 Die Schattenlinie läuft mittig zwischen den Augen des Modells hindurch in einer langen Geraden abwärts. Der Blick des Betrachters wird daher leicht von den Augen des Modells weg nach unten aus dem Bild herausgeführt.

      5 Die Schattenseite wird nicht mehr von einem Akzent, dem Auge, durchbrochen und die Fläche erscheint leer, düster und langweilig, da sie dem Auge des Betrachters nichts mehr zu bieten hat.

      Die Modelle sehen in diesem Fall »zwiegespalten« aus, was ab und an gewünscht sein kann, wenn Sie eine verstörende Wirkung mit Ihrem Bild erzielen wollen. Daher findet sich Seitenlicht in dieser Form auch gerne in Horrorfilmen, wo es einen erschreckenden oder diabolischen Effekt auslösen soll.

      Das im Schatten untergegangene Auge stellt mit dem Betrachter keinen Blickkontakt mehr her. Die so Dargestellten scheinen weniger Kontakt zur Außenwelt zu haben und in ihrer eigenen Welt abzutauchen. Möchten Sie die dramatische, melancholische und geheimnisvolle Natur des Seitenlichtes nutzen, den Betrachter im Bild halten und die Augen des Modells akzentuieren, dann ist diese Variante des Seitenlichtes eher kontraproduktiv.

      Zu weit vorne platziertes Seitenlicht

      Wird die Lichtquelle zu weit vorne platziert, leuchtet das Licht zu weit über den Nasenrücken hinweg in Richtung Auge der Schattenseite und es entstehen Lichtflecke auf dem Wangenknochen oder in der Nähe des Mundwinkels. Diese ziehen das Auge des Betrachters durch ihre Akzentwirkung stark an und lenken es so von den Augen des Modells weg. Steht die Lampe noch weiter vorne, entsteht oft ein Lichtfleck mit einer Form, die wie ein Schmiss ausschaut. Beides halte ich für wenig hilfreich auf dem Weg zu einem ansprechenden Porträt.

      Ich höre von unseren Studierenden oft, dass sie das Licht deshalb so weit vorne platzierten, weil sie mehr von der Schattenseite erkennen wollten. Dafür sollten Sie aber nicht diese ablenkenden Flecke in Kauf nehmen.

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      Abbildung 2–8

      Zu weit vorne platziertes Seitenlicht

      Möchten Sie tatsächlich mehr von der Schattenseite des Modells erkennen, so können Sie zu Aufhellern greifen (siehe nächstes Kapitel) oder eine andere Hauptlichtart wählen, bei der von vornherein mehr Licht auf der langen Seite zu sehen ist und von Natur aus keine Störakzente erkennbar werden.

      Zu weit oben platziertes Seitenlicht

      Bei zu hoch gesetztem Seitenlicht wird eventuell noch das Auge des Modells, aber nicht mehr dessen Oberlid beleuchtet. Das Unterlid wird dadurch deutlich betont, aber nicht mehr durch das leuchtende Oberlid in Balance gebracht. Dadurch zieht es den Blick des Betrachters nach unten, das Augenlid wirkt wie ein »Tränensack« und lässt den Blick des Modells gedrückt erscheinen. Wird das Licht noch höher gesetzt, liegt das Auge des Modells irgendwann komplett im Schatten und der Lichtfleck erscheint auf der Wange, wo es meist wenig Interessantes zu entdecken gibt.

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      Abbildung 2–9

      Zu weit oben platziertes Seitenlicht

      Zu weit unten platziertes Seitenlicht

      Je nachdem, wie tief die Lichtquelle platziert wird, erreicht das Licht gerade noch das Auge auf der Schattenseite oder dieses liegt komplett im Schatten. In jedem Fall wird aber das Oberlid mehr und das Unterlid weniger Licht bekommen. Hierdurch wird das Oberlid zum starken Akzent und das Unterlid schafft es dann nicht mehr, als schwacher Akzent das optische Gleichgewicht zu halten. Der Blick des Betrachters wird unweigerlich vom Auge weg zum Oberlid gezogen, das dadurch wie ein »Schlupflid« ausschauen kann.

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      Abbildung 2–10

      Zu tief gesetztes Seitenlicht

       Das Ober- und das Unterlid sollten etwa gleich hell sein, um dem Auge des Modells einen stabilen Blick zu verleihen.

      Seitenlicht funktioniert nicht bei jedem Modell in idealer Weise. Sobald das Auge der Schattenseite korrekt beleuchtet wird, entstehen bei einigen Modellen am Mundwinkel kleine Lichtflecke, die im Bild als störende Akzente in der dunklen Gesichtshälfte erscheinen. Das Auge des Betrachters wird dann von den Augen des Modells weg und hin


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