Die böhmische Großmutter. Dietmar Grieser

Die böhmische Großmutter - Dietmar Grieser


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und restauriert das in klassizistischer Manier gestaltete Grabmal, das bis heute von jener inzwischen hochaufragenden Esche behütet wird, die noch die vorerwähnte Baronin Cavalcabo gepflanzt hat. Böhmen, das schon dem Vater des Verstorbenen so viel bedeutet, ja ungleich mehr an Verehrung entgegengebracht hat als dessen Sterbeort Wien, erweist sich also auch des Sohnes würdig und tut dies nach wie vor: Kein Kurgast, der auf seinen Karlsbader Spaziergängen nicht auch einen Abstecher zum heutigen Mozartpark unternähme.

      Mozart selbst kommt schon als Knabe von elf Jahren mit dem Nachbarland in Berührung. In Wien ist eine Pockenepidemie ausgebrochen; die Familie will der Ansteckung entgehen, indem man für eine Weile nach Brünn ausweicht. Das Gesundheitliche klug mit dem Pekuniären verbindend, soll die Reise in die mährische Hauptstadt auch gleich dazu genutzt werden, den dortigen Musikfreunden das Klaviertalent von Wolferl und Nannerl vorzuführen. Doch der eigentliche Zweck des Unternehmens wird verfehlt: Als Leopold Mozart und die beiden Kinder in Olmütz, der zweiten Station ihrer Reise, eintreffen, sind auch sie längst infiziert und müssen – unter der Obhut des Prälaten Leopold Anton Graf Podstatsky-Lichtenstein – im Gebäude der Kapiteldechantei in ärztliche Pflege gegeben werden. Zehn Wochen nimmt die Kur in Anspruch, dann kehren die Mozarts per Postkutsche nach Wien zurück.

      Daß bis zu Mozarts erster Reise nach Prag fast zwanzig Jahre verstreichen werden, wird durch den schier überbordenden Enthusiasmus wettgemacht, der dem nunmehr Einunddreißigjährigen in der böhmischen Hauptstadt entgegenschlägt. Den Boden dafür bereitet hat der große Erfolg seiner Oper »Die Entführung aus dem Serail«, die die »Schau- und Singspielgesellschaft« des Impresarios Carl Wahr anno 1783 im Theater auf dem Carolinplatz aufgeführt hat. Jetzt, im Dezember 1786, ist es die Truppe des Theaterdirektors Pasquale Bondini, die die Prager Musikwelt mit »Figaros Hochzeit« in einen Taumel des Entzückens versetzt. In allen Gassen und Gärten kann man die Leute »Figaro«-Melodien singen hören, kein Straßenmusikant darf auf einen Obolus hoffen, wenn er nicht das »Non più andrai« in seinem Repertoire hat, und die Ballorchester plündern Mozarts Partitur, indem sie deren »Hits« in Contretänze umwandeln, zu deren Klängen die feine Gesellschaft das Tanzbein schwingt. Es ist übrigens nicht nur die sprichwörtliche Musikalität der Böhmen, die sie so sehr für Mozart einnimmt, sondern hat auch versteckte politische Gründe: Die unverhohlen kritischen Töne, die in Lorenzo da Pontes Libretto anklingen, hört niemand klarer heraus als die aufmüpfigen Prager, die sich von Wien im allgemeinen und von den Habsburgern im besonderen unterjocht fühlen und daher für jedes kleinste Zeichen des Aufbegehrens gegen höfische Konvention empfänglich, ja dankbar sind.

      In dieser Situation allgemeiner Prager Mozart-Seligkeit mehren sich die Stimmen, die auf einen persönlichen Besuch des Meisters in der Stadt seiner Triumphe drängen. Johann Joseph Anton Graf von Thun ist es, der die Einladung ausspricht; in seinem Palais auf der Prager Kleinseite läßt er das Logis für den hohen Gast und dessen Begleitung herrichten. Am 11. Jänner 1787, einem kalten Wintertag, treffen Mozart, Gattin Konstanze, deren künftiger Schwager Franz Hofer, die Violinvirtuosin Anna Antonia Crux, der Klarinettist Anton Stadler und der Geiger Kaspar Ramlo nach dreitägiger Fahrt in Prag ein. Auch Mozarts Diener Joseph und das geliebte Hündchen Gauckerl sind mit von der Partie – man reist in zwei Kutschen an. Die Reisegesellschaft ist bester Laune, man scherzt und gibt einander die übermütigsten Spitznamen: Aus Wolferl wird Punkitititi, aus Konstanze Schabla Pumfa.

      Gleich nach der Ankunft werden die Mozarts von ihren Gastgebern auf einen Faschingsball »verschleppt«; während des vierwöchigen Aufenthalts folgen Visiten in der Bibliothek der Jesuiten und im Physikalischen Kabinett im Klementinum Begegnungen mit Mitgliedern der Prager Freimaurerlogen sowie vor allem der Abschluß eines Vertrages mit Theaterdirektor Bondini, der Mozart zur Komposition einer neuen Oper verpflichtet (die dann der »Don Giovanni« sein wird).

      Jetzt aber geht es erst einmal darum, das anhaltende Prager »Figaro«-Fieber zu nutzen. Beehrt der Meister die Vorstellung vom 17. Jänner bloß mit seiner Anwesenheit (wofür ihn das Publikum, als es seiner gewahr wird, mit Jubelrufen überschüttet), so tritt Mozart drei Tage darauf auch selbst in Aktion und dirigiert vom Cembalo aus Orchester und Bühne. Eigentlicher Höhepunkt seines ersten Prag-Aufenthaltes ist jedoch die »Musikalische Akademie« im Nationaltheater, bei der er seine dreisätzige D-Dur Symphonie aus der Taufe hebt. Einer der Zeugen des denkwürdigen Ereignisses berichtet darüber:

       »Zum Schlusse phantasierte Mozart auf dem Pianoforte eine gute halbe Stunde und steigerte dadurch den Enthusiasmus aufs höchste, so daß er gezwungen war, sich nochmals ans Klavier zu setzen. Der Strom dieser neuen Phantasie wirkte noch gewaltiger und hatte zur Folge, daß er von den entbrannten Zuhörern zum dritten Male bestürmt wurde. Mozart erschien, und innige Zufriedenheit strahlte aus seinem Antlitz. «

      Erst Mitte Februar treten der Meister und die Seinen die Heimreise an – tiefbeglückt von den Sympathiebezeugungen der Prager Musikfreunde. Auch über den neuen Opernauftrag freut er sich, wenngleich die 100 Dukaten, die man als Gage vereinbart hat, nicht gerade ein fürstliches Honorar zu nennen sind …

      Wien zeigt sich von den Erfolgsmeldungen aus Prag wenig beeindruckt: Hier setzt man nach wie vor auf den herkömmlichen italienischen Opernstil. Als neuer Halbgott tritt außerdem Karl Ditters von Dittersdorf auf den Plan, der einen Singspielauftrag nach dem anderen einheimst. Mozart fühlt sich zurückgesetzt. Auch der wachsende Schuldenberg sowie der plötzliche Tod des Vaters verdüstern sein Gemüt. Da sind es vor allem die glücklichen Erinnerungen an Prag, die ihm neue Kraft zuführen: Der Einunddreißigjährige macht sich an die Arbeit, das bestellte Werk zu kreieren. Lorenzo da Ponte, der ihm dazu das Libretto liefern soll, bittet allerdings um Geduld: Er muß zuvor noch die Texte für zwei andere Opern zu Papier bringen, darunter Antonio Salieris »Assur Re d’Ormus«. Um den »Don Giovanni«-Stoff zu bewältigen, ist da Ponte außerdem auf die Zuhilfenahme von Stimulanzien angewiesen:

       »Ein Fläschchen Tokayer zur Rechten, in der Mitte mein Schreibzeug, eine Dose mit Tabak von Sevilla zu meiner Linken. Ein sehr schönes sechzehnjähriges Mädchen, die ich nur gleich einer Tochter lieben wollte, aber – wohnte in meinem Hause, besorgte die häuslichen Geschäfte und kam sogleich in mein Zimmer, wenn ich die Glocke schellte, und dies geschah in Wahrheit sehr oft, wenn ich merkte, daß mein poetisches Feuer erkalten wollte …«

      Anfang Juni kann Mozart darangehen, da Pontes Libretto zu vertonen. Nach vier Monaten ist der Hauptteil vollendet; nur die Ouvertüre, die Tafelmusik fürs Finale des zweiten Aktes, das Duett Zerline-Masetto und die Arie des aufbegehrenden Maset-to hebt er sich für Prag auf. Denn inzwischen steht für ihn fest, daß er ein weiteres Mal in die böhmische Metropole reisen wird – und nicht nur, um dort den »Don Giovanni« persönlich aus der Taufe zu heben, sondern auch, um das Werk in der ihm so zuträglichen Umgebung zu vollenden. Diesmal ist nur Frau Konstanze an seiner Seite. Die Vierundzwanzigjährige befindet sich erneut »in gesegneten Umständen«, der drei Jahre alte Sohn Carl wird zur Pflege nach Perchtoldsdorf verbracht.

      In Prag ist unterdes alles für das Wohl der Gäste Nötige vorbereitet: Josepha Duschek, Tochter des wohlhabenden Apothekers Anton Adam Hambacher und Gattin des angesehenen Musikpädagogen Franz Xaver Duschek, macht es sich zur Ehre, den Meister aus Wien zu beherbergen, und stellt Mozart sowohl das Haus »Zu den drei goldenen Löwen« auf dem Kohlmarkt wie ihren Landsitz an einem der Hügel der Vorortgemeinde Smíchov, die berühmte »Bertramka«, zur Verfügung. Man kennt einander seit Jahren: Im Sommer 1777 sind die frischvermählten Duscheks zu einem Verwandtenbesuch nach Salzburg gereist und haben bei dieser Gelegenheit den Mozarts ihre Aufwartung gemacht. Im Tanzmeistersaal von Vater Leopold Mozarts Salzburger Wohnung hat Josepha Duschek, eine anerkannte Sängerin und temperamentvoll-übermütige Person, ihren schönen Sopran erklingen lassen, und bei einem Wiedersehen in Wien hat Mozart die drei Jahre Ältere sogar am Klavier begleitet, als sie bei einer Akademie im Burgtheater auftrat.

      Nun also, im Herbst 1787 – die Premiere des »Don Giovanni« ist auf den 29. Oktober festgesetzt – ist Josepha Duschek Mozarts Prager Gastgeberin: In der Stille ihres Weinberg-Retiros vor den Toren der Stadt soll der Meister letzte Hand an die noch unfertige Partitur legen. Zwei Zimmer sind für ihn und Konstanze bereitgestellt, und wenn es bei den nächtlichen Gelagen im Weinkeller beim Tempelgäßchen spät wird (denen mitunter noch eine aufmunternde Einkehr


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